Desinfektionsmittel zu hohen Preisen

Den nachfolgenden Beitrag von Georg Watzlawek und Holger Crump über die womöglich zweifelhaften Geschäfte des Bergisch Gladbacher Stadtrats und Unternehmer Samirae entnehmen wir dem Bürgerportal Bergisch Gladbach, in-gl.de:

Frank Samirae ist Parteivorsitzender, Mitglied des Stadtrats und des Integrationsrats sowie Unternehmer

Jetzt ist er bei Desinfektionsmitteln eingestiegen.

Von Georg Watzlawek und Holger Crump

Desinfektionsschutzmittel sind in den Drogerien ausverkauft und kosten auch in einigen Apotheken viel Geld. Im Internet kann man sie in größeren Mengen bestellen – zu sehr unterschiedlichen Preisen. Zum Beispiel auf der Plattform Ebay.

Dort bietet „mradler“ Desinfektionsmittel der Sorte „StericoV“ in Größen von 1 bis 10 Liter an. Als „Lösung zur hygienischen Händedesinfektion“, mit den Inhaltsstoffen Ethanol, Glycerol und Wasser.

Bei der Mengenauswahl für das 10-Liter-Gebinde sind laut Bestellmaske bis zu 97 Stück bestellbar. Der 10-L-Kanister kostet 229,90 Euro, der 5-L-Kanister 134,99 Euro und die Literflasche 33,49 Euro.

Die Preise für die Grundstoffe zur Herstellung sind ebenso wie die fertigen Produkte in den vergangenen Wochen deutlich angezogen, im Internet werden mitunter hohe Preise verlangt.

Hohe Differenzen

Eine Recherche des Bürgerportals zeigt, dass Markenprodukte zum Beispiel beim Anbieter Hygi für weniger als zehn Euro pro Liter bzw. 52 Euro für fünf Liter im Netz angeboten werden. Die Preise haben wir am 25. März erhoben, sie ändern sich ebenso wie die Verfügbarkeit ständig. Sie liegen aber in jedem Fall deutlich unter denen, die „mradler“ aufrief.

Wer „mradler“ ist, lässt sich auf Ebay einsehen. Das Nutzerprofil weist als Anbieter Frank Samirae aus, mit einer Adresse in Refrath.

Screenshot des Ebay-Profils, Daten wurden durch die Redaktion unkenntlich gemacht Die Bewertungen bei Ebay (zu 100 Prozent positiv) zeigen, dass er seit Februar 2020 als Verkäufer von Desinfektionsmittel und Mundschutzmasken auftritt, bis dahin vor allem als Käufer, in der Regel offenbar von Elektronikzubehör.

Laut seiner Unternehmenswebsite betreibt Frank Samirae einen EDV-Service. Auch hier ist als erste Adresse die Straße in Refrath angegeben.

Parteigründer, Stadtrat, Integrationsrat

Samirae ist allerdings vor allem als Vorsitzender der Partei „Bürgerpartei GL“ bekannt, für die er im Stadtrat sitzt, wo er eine Fraktion mit der Linken bildet. Zudem hat er einem Sitz im Integrationsrat, den er häufig in Ausschusssitzungen vertritt.

Auf Anfrage des Bürgerportals bestätigt Frank Samirae, sich mit Desinfektionsmitteln zu beschäftigen. Er schreibt per Email:

„Es trifft zu, dass ich mich beteiligt habe an einem Handel mit Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken. Ausschlaggebend war für mich der Umstand, dass Atemmasken unsere Mitmenschen schützen, wenn wir selbst husten. Ich trage Atemmasken öfters während der Arbeit um meine Kunden zu schützen. Das brachte mich auf die Idee Mundschutzmasken anzubieten. Wir schützen unsere Mitmenschen. Ich hoffe dazu beitragen zu können, den Bedarf den wir in unserer Gesellschaft haben, damit zu decken. Das Gleiche gilt auch für Desinfektionsmittel.“

Die Gewinnspannen dabei seien, so Samirae weiter, nicht besonders hoch:

„Es ist keineswegs so als wären damit gewaltige Gewinne zu erzielen wie Sie es mit Ihrer Anfrage fälschlicherweise unterstellen. Die Einkaufspreise sind hoch. Die Marge ist nicht besonders hoch.“

In einer zweiten Anfrage haben wir Samirae mit den Vergleichspreisen konfrontiert und gefragt, ob er Differenzen von 300 Prozent für vertretbar hält.

Darauf geht er in der Antwort nicht direkt ein. Sondern verweist darauf, dass Desinfektionsmittel in Apotheken für bis zu sieben Euro pro 100 ML verkauft würden – was hochgerechnet noch teurer sei. Zudem führt er die Fläschchen an, die die Schloss Apotheke nach eigenen Angaben zum Selbstkostenpreis von 1,40 Euro pro 50 ML verkauft – woraus sich ein Literpreis von 28 Euro ergebe.

Damit vergleicht er Liter-Flaschen und Kanistern mit kleinsten Glasflaschen, die in der Schloss Apotheke zudem kostenlos nachgefüllt werden. Auf den Vergleich zu Produkten in gleichen Gebinden geht Samirae nicht ein. Auch die Fragen, ob er oder seine Mitarbeiter die Mittel selbst herstellen und ob sie eine Befähigung dafür haben, beantwortet er nicht.

Unternehmenssitz in Monheim

Diese Fragen kann auch die Stadt Bergisch Gladbach nicht beantworten, denn Samirae hatte vor einiger Zeit den Hauptsitz seines Unternehmens nach Monheim verlegt.

Samirae hatte jedoch selbst an anderer Stelle berichtet, dass er sich eine große Menge Alkohol und eine Genehmigung geholt habe und mit einem Chemiker zusammenarbeite: und zwar in einem Telefonanruf am 23. März bei einem Apotheker. Diesem wollte er das Desinfektionsmittel für 30 Euro pro Liter (20 Prozent Rabatt ab 100 Liter) verkaufen.

Der Apotheker, Markus Kerckhoff von der Schloss Apotheke Bensberg, lehnte empört ab. Er fertigte ein Gesprächsprotokoll an, informierte die Stadtverwaltung und ist auch heute noch empört.

Bei einem Einstandspreis von maximal fünf Euro pro Liter Alkohol sei ein Verkaufspreis von 30 Euro pro Liter überzogen. „Gerade Desinfektionsmittel sind in der jetzigen Zeit ein ethisches Produkt. Aus meiner Sicht verbietet sich jegliche Art von Spekulation mit diesem Produkt“, sagt Kerckhoff.

Der Verkauf von Desinfektionsmitteln und Schutzmasken auf Online-Plattformen sei grundsätzlich nicht geeignet, eine sachgerechte Versorgung mit diesen in der Corona-Krise wichtigen Materialien sicherzustellen. Weil diese Plattformen in der Regel keine festen Preise kennen, sondern sich an Angebot und Nachfrage orientieren, erläutert der Apotheker.

Die Stadt Bergisch Gladbach erklärte sich formal für nicht zuständig, weil der Sitz des Unternehmens in Monheim liege.

Die Stadt Monheim sagt, dass sie sich nicht zu Einzelfällen äußert. Allerdings stelle sie immer Ermittlungen an, wenn Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten vorliegen, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage.

„Ich schäme mich“

Weniger formal reagierte Bergisch Gladbachs Bürgermeister Lutz Urbach. Auf seiner Facebook-Seite schreibt er:

„Ich schäme mich, dass ein Ratsmitglied aus Bergisch Gladbach – für die „Bürgerpartei“! mit der Notsituation so umgeht: 5 Liter Desinfektionsmittel für 119,95 Euro!“

Urbach kennzeichnet den Beitrag ausdrücklich als „privat“. Die Resonanz ist dennoch groß.

Die Verbraucherzentrale NRW nimmt zum Einzelfall keine Stellung. Ob Wucher vorliege, hänge davon ab, ob eine Notlage oder die Unerfahrenheit des Käufers ausgenutzt werde. Wer Bestände stark nachgefragter Artikel habe und meine, daraus einen übertriebenen Profit machen zu können, solle sich bewusst sein, dass die Verbraucherzentrale das genau auf Wucher prüfen werde, sagt Georg Tryba, Sprecher der Verbraucherzentrale NRW.

Rudolf Pick, Apotheker in Paffrath und Sprecher des Apothekerverbands Nordrhein e.V. für den Rheinisch-Bergischen-Kreis, nimmt ebenfalls nicht Stellung zum konkreten Fall. Klar sei aber, dass mit der Not der Patienten kein Schindluder getrieben werden dürfe.

Hintergrund: Wie wir arbeiten

Berichte über Unternehmen unterliegen einer besonderen Sorgfaltspflicht. Daher haben wir Frank Samirae Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Zum ersten Mal am 23. März, mit Antwort am 24. März. Heute früh haben wir nachgefragt und eine zweite Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, mit der Bitte um Antwort innerhalb von sechs Stunden. Darauf hat Samirae prompt reagiert, die Beantwortung der Fragen (siehe oben) in der Kürze der Zeit jedoch abgelehnt. Mit der Veröffentlichung des Artikels haben wir ihm noch einmal angeboten, Stellung zu nehmen.

Korrektur: In einer ersten Fassung des Beitrags hatten wir die Preisdifferenz zwischen Samiraes Produkten und denen von Hygi in einem Prozentwert angegeben. Diese Zahlen haben wir bei einer Überprüfung zurückgezogen, weil die Inhaltsstoffe unter Umständen nicht identisch sind. (27.3., 9:30 Uhr).

Warum wir über diesen Fall berichten? Als Ratsmitglied und Mitglied des Integrationsrats ist Samirae eine öffentliche Person. Der Handel mit Desinfektionsmitteln ist in dieser Zeit ein Thema von großer Bedeutung und hohem öffentlichen Interesse. Daher sehen wir es als journalistische Pflicht, den Gerüchten, die seit Tagen in der Stadt umlaufen, auf den Grund zu gehen.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

  1. Pressemitteilung, 26.3.2020

    Widerliche Machenschaften mit der Angst vor COVID-19

    Heute wurde bekannt, dass ein Mitglied des Stadtrats Bergisch Gladbach versucht sich in der COVID-19 Krise an der Angst und der Not der Menschen zu bereichern. Frank Samirae ist Vorsitzender der Bürgerpartei GL und versucht über die Verkaufsplattform EBAY völlig überteuertes Desinfektionsmittel zu verkaufen. Die Nachfrage ist in den letzten Wochen stark angestiegen und auch viele Krankenhäuser, Einzelhändler und Supermärkte benötigen Desinfektionsmittel, um sich und die Menschen wirksam vor Viren zu schützen.

    Tomás M. Santillán (Mitglied des Stadtrats für DIE LINKE.) distanziert sich schon länger von der Bürgerpartei GL und ihren rechten Machenschaften:

    „Alle Mitglieder des Stadtrats haben sich verpflichtet den Menschen zu dienen und dazu beizutragen Schaden von ihnen abzuwenden. So verstehe ich jedenfalls meine ehrenamtliche Tätigkeit. Die Abzocke mit völlig überhöhten Preisen widerspricht dieser Verpflichtung und ist moralisch verwerflich. Leider entspricht es aber genau der Mentalität, die wir seit Jahren von der Bürgerpartei GL aus diesem Stadtrat kennen. Herr Samirae hat vorher nie Desinfektionsmittel verkauft und zum Glück gibt es andere Anbieter, die diese Produkte zu deutlich geringeren Preisen verkaufen.
    Aus reinen Profitinteressen steigt Herr Samirae plötzlich in diesen Markt ein. Herr Samirae will sich so an der Angst vor COVID-19 der Not der Menschen persönlich bereichern. Das ist einfach nur widerlich! Wer die Bürgerinnen und Bürger so menschenverachtend ausnutzt, hat nichts in einem Stadtrat zu suchen!“

    Weiteres Infos zur Bürgerpartei Gl finden sie hier in einem Dossier:
    https://www.santillan.de/2015/04/15/bürgerpartei-gl-vorsicht-rechte-partei/

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.