Gedanken zur Krise

VON WOLFGANG HORN

Nein, es ist nicht der Staat, der versagt, wenn Eltern mit ihren vorübergehend von der Schulpflicht befreiten oder fürs Erste nicht mehr in der Kindertagesstätte betreuten Kindern Eis leckend durch die Einkaufszentren flanieren oder sich in Parks gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern und Freunden auf engstem Raum zusammenhocken und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen genießen. Es ist nicht der Staat, der versagt, wenn Menschen am Coronavirus erkranken. Wir befinden uns mitten in einer der schwersten Krisen des Landes, nein der Welt, seit dem letzten großen Weltkrieg. Einer Krise, die wir derzeit noch nicht beherrschen, und in der wir uns dem Ratschlag von Experten folgend verhalten sollten. Allesamt. 

Stattdessen mutiert ein zugegeben kleiner Teil der Bürgerinnen und Bürger zu Hyperexperten, ganz ohne jede Gnade für die Empfehlungen der Fachleute und die Maßnahmen der Verantwortlichen in Regierungen und Verwaltungen. Mehr noch und schlimmer noch: Zynischer Egoismus bricht sich Bahn, man kauft den Nachbarn und Mitbürgern weg, was diese ebenfalls benötigen, als gäbe es morgen keinen Nachschub mehr in den Läden. Me First. Ich zuerst. Und dann erst alle anderen. Nach mir die Sintflut. Das ist nicht christlich, das ist nicht aufgeklärt, das ist nicht bürgerlich, das ist nicht zivilisiert. Zur Krise des Coronavirus gesellt sich die Krise der Zivilität und des Anstandes. Gewiß nur bei einigen, ganz gewiß nicht bei der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger. Aber unter den wenigen leiden die vielen. Wenn in Kürze Ausgangssperren verfügt werden sollten, bekommen alle die Quittung für das Verhalten weniger. 

Hier im Forum Wermelskirchen hat uns ein Kommentar erreicht, der lauthals „Staatsversagen“ schreit und dies damit begründet, daß täglich „Hunderte von Asylanten ohne Kontrolle“ ins Land kämen. Nichts ist wahr an diesem Kommentar. Wie man das Auftreten eines Virus in ganz Europa, in Italien und Spanien mit derzeit noch schlimmeren Folgen als in unserem Land, mit der nicht belegbaren Einreise Asylsuchender nach Deutschland begründen kann, wird nicht nur mir ein Rätsel bleiben. An den Einschränkungen unseres Lebens, mit denen wir der Pandemie zu begegnen suchen, tragen die Flüchtlinge, Asylsuchende, die Geschundenen und Verfolgten keine Schuld. Keine. Wer die Coronakrise nutzt, um Ressentiments zu schüren, hat sich ebenfalls von bürgerlichem Anstand und Zivilität verabschiedet. Wir haben den Kommentar nicht  veröffentlicht, weil wir uns im Forum Wermelskirchen an Hetze gegen Minderheiten nicht beteiligen.

Zuguterletzt: Wir werden gut informiert. Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen liefern alle Informationen, die man derzeit braucht. Im Internet, in Foren, in den sozialen Medien findet man alles, um sich in Zeiten der Krise zurechtzufinden. Und: Wir werden gut regiert. Bundes- und Landesregierung, der Rheinisch-Bergische Kreis und die kommunale Verwaltung liefern alle Informationen, handeln transparent und nachvollziehbar, lassen Empathie erkennen für die unbequemen Folgen der Maßnahmen, die sie exekutieren müssen. 

Und: Anders als zu Zeiten der Bankenkrise, als man Wenigen mit dem Geld der Vielen das Überleben sicherte, steht in der Coronakrise das Wohl der Risikogruppen ganz oben, der Älteren, der Menschen mit Vorerkrankungen, behinderter Bürgerinnen und Bürger. In dieser Krise wird deutlich, was, wenn die Gefahr gebannt sein und es den entsprechenden medikamentösen Schutz geben wird, was nach der Krise erforderlich ist. Das Gesundheits- und Pflegesystem darf nicht mehr nur kapitalistischer Logik folgen, darf nicht mehr nur als Quelle von Profit, von privatem Profit begriffen werden. Und: Das Land braucht einen starken Staat. Immer. Neoliberales Mimimi hat wirklich ausgedient. Ohne einen handlungsfähigen Staat kommt die bürgerliche Zivilgesellschaft an ihr Ende. Wir werden, wiewohl man Globalisierung nicht zurückdrängen kann, auch über klügere Lösungen unserer Produktionsweisen gründlich nachdenken müssen. Warum Medikamente nur noch in Asien produziert werden können, ist doch nicht wirklich einzusehen. Es gibt gesellschaftliche Bereiche, die wir dem kapitalistischen Diktat der Profitmaximierung entziehen müssen. Bildung, das Gesundheitsystem, die Daseinsfürsorge, Energie, Wasser, Volksbildung, vielleicht Grund und Boden. 

Letzter Gedanke: Vielleicht kommt die nächste Krise mit ähnlichen oder vergleichbaren Einschränkungen für unseren Alltag schneller, als uns lieb sein kann. Die Krise des Klimas. Die Krise des Planeten.

Kommentare (5) Schreibe einen Kommentar

    • Horst Rosen
    • 18.03.20, 21:47 Uhr

    Dazu passt ein Kernsatz unserer Bundeskanzlerin in ihrer heutigen Fernsehansprache:
    “Wir sind eine Demokratie. Wir leben nicht von Zwang, sondern von geteiltem Wissen und Mitwirkung. Dies ist eine historische Aufgabe und sie ist nur gemeinsam zu bewältigen.”
    Man muss wirklich kein Fan von ihr oder ihrer Partei sein. Zu unserer freiheitlichen Demokratie gibt es keine Alternative.

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    • stefan wiersbin
    • 18.03.20, 21:54 Uhr

    Danke für diese Gedanken, Wolfgang!

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    • Marga Ottersbach
    • 18.03.20, 22:25 Uhr

    Dickes DANKE Wolfgang!!!

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    • Heike Ernst
    • 18.03.20, 22:57 Uhr

    Ich habe mich schon länger gefragt: Was machen die nur mit dem ganzen Toilettenpapier?
    Was für eine gestörte Gesellschaft sind wir, wo es in den Läden kein Toilettenpapier zu kaufen gibt und andere auf eBay und Amazon einen schwunghaften Handel zu überteuerten Preisen betreiben.

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    • Marie-Louise Lichtenberg
    • 19.03.20, 12:11 Uhr

    Vielen Dank für diesen Text, dem ich voll und ganz zustimme.

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