In diesen Zeiten – mehr Fragen als Antworten

Ein Wort zum Montag, dem 16. März 2020

VON CORNELIA SENG

Es ist auffallend ruhig heute Morgen auf der großen Straße nahe unserem Haus. Busse fahren, aber kaum Autos. Diese Ruhe kenne ich sonst nur aus Jerusalem, wenn Shabbat ist. Auszeit! – Es scheint, als habe sich die Erde eine Auszeit genommen. Der Flugverkehr ist eingeschränkt, die Kreuzfahrtschiffe bleiben im Hafen, der Autoverkehr reduziert. Kann es sein, dass uns die Erde sagen will: „Ihr seid nicht die Herren, – ihr seid nur Gäste auf Erden“?
Werden wir aus dieser Zeit lernen?

„Wie kann man leben mit dem Wissen, dass man sterben muss?“, das war der Titel eines philosophischen Vortrags vor Kurzem in Kassel. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, heißt es in der Bibel (Ps.90,12). Klug ist es, in diesen Zeiten auf die Wissenschaft zu hören und „sozialen Abstand“ zu halten, um mich und andere nicht in Gefahr zu bringen. Das fällt mir schwer. Ich gehe gern unter Menschen, ich höre gerne zu. Begegnungen und gute Gespräche fehlen mir. Aber ich halte mich an „sozialen Abstand“ und bleibe zu Hause. Wie lange werde ich mit dieser Einschränkung leben können? Finde ich andere Wege der Kommunikation?

Und wie geht es eigentlich Menschen, die sich nicht „sozial distanzieren“ können, wie ich es kann? Weil sie in Lagern und Heimen leben, dichtgedrängt? Wie geht es den Flüchtlingen in Griechenland, die in völlig überfüllten Lagern leben müssen? Niemand scheint noch nach ihnen zu fragen. Wie kann ich die Frage nach ihrem Leiden wachhalten?

Christen nennen diese Zeit vor Ostern „Passionszeit“. In Bibeltexten und Andachten bedenken sie das Leiden Jesu Christi. In Jesus erlebt Gott selbst Schmach, Ausgrenzung, Folter, Schmerzen und den Tod. Das ist schwer zu erklären, aber Herzstück des christlichen Glaubens.

Auch in diesen Zeiten sitzt Gott nicht gelassen im Himmel und schaut sich das aufgeregte Treiben der Menschen an, die mit der Pandemie irgendwie versuchen klarzukommen. Im Gegenteil! Er leidet mit. Er nimmt teil. Das ist die Botschaft der Passionszeit. Und das glaube ich.

Im Vertrauen auf Gottes Nähe lebe ich einfach Tag für Tag, mit mehr Fragen als Antworten.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

    • Elisabeth Schnocks
    • 16.03.20, 19:35 Uhr

    Mir ist am Samstag ein Text von Jochen Klepper in die Hände gefallen. Auch hier geht es um die Anteilnahme Gottes. Wie schwierig ist es manchmal in diesen unsicheren Zeiten an Gott festzuhalten. Es kostet manchmal Kraft. Die Worte von Jochen Klepper haben mich da sehr getröstet:
    “Glaubst du auch nicht, bleibt er doch treu,
    er hält, was er verkündet.
    Er wird Geschöpf und schafft dich neu,
    den er im Unheil findet. (…)
    Er hat sich selbst gebunden.
    Er sucht: Du wirst gefunden.”

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