Deutsch
VON WOLFGANG HORN
Nein, es ist nicht alles gut, was mit der Vorsilbe “Bio” versehen wird. Bio, Kurzform für biologisch, wird bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Kleidung verwendet, um eine ökologische verantwortliche und sozial gebotene Herstellungsweise zu kennzeichnen, um sich von herkömmlicher industrieller Produktionsweise abzusetzen.
Bio im Politik-Jargon hat hingegen einen unangenehm-unappetitlichen Geschmack, etwa, wenn zur Kennzeichnung von Ethnien oder Nationalitäten das Wörtchen Bio Deutsche herausheben soll, die keinen Migrationsbezug haben, solche, die seit Generationen schon hier leben und nicht erst seit einigen Jahrzehnten. Menschen, die oder deren Familien erst vor einigen Jahren oder Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, Arbeitsmigranten, Flüchtlinge, Aussiedler – sie alle sind nach diesem schrecklichen Sprachgebrauch keine Bio-Deutschen. In ihren Adern fließt kein bio-deutsches Blut. Bio-Deutsch ist ein Begriff aus der Sprache der Blut-und-Boden-Deutschen, der Sprache von Rassisten.
Das völkische Gedankengut, die rassistische Sprache, ein spaltarischer Ton dringen immer weiter in die Gesellschaft ein, werden gesellschaftsfähig, weil sich auch Menschen der vermeintlich bürgerlichen Mitte daran beteiligen, völkisches Gedankengut in einer unsäglichen und bislang unsagbaren Sprache hoffähig zu machen.
Annette Ramelsberger schrieb gestern in der Süddeutschen: “Wenn die nationalsozialistische Schreckensherrschaft mit ihren Millionen Toten nur noch ein ‘Vogelschiss’ der erfolgreichen deutschen Geschichte gewesen sein soll. Wo vom ‘Denkmal der Schande’ die Rede ist, wenn es um das Mahnmal für die Toten des Holocaust geht. Wenn ständig dazu aufgerufen wird, das deutsche Volk müsse sich wehren gegen demokratische Politiker, die es, wahlweise, ausrotten oder verkaufen oder versklaven wollten, und gegen Ausländer, die angeblich die Vorherrschaft in Europa anstreben – dann fühlen sich rechtsradikale Gewalttäter dazu legitimiert, genau das zu tun: sich zu wehren, mit Waffengewalt.”
Wenn ein Fraktionsvorsitzender im Wermelskirchener Stadtrat in Facebook verschwörungstheoretisch raunt, auf Parteitagen und in den Parlamenten werde nicht mehr entschieden, sondern lediglich noch in “obskuren Zirkeln des Systems Merkel”, dann macht er sich ebenso mitschuldig an der Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, das die Heckenschützen auf den Plan ruft, die Killer, die Sonderlinge, die sich in ihrem Wahn lange schon von der gesellschaftlichen Wirklichkeit verabschiedet haben.
Der nämliche Fraktionsvorsitzende hat, ebenfalls auf Facebook, seinerzeit diesen Satz formuliert: „Jedem Grünen und Tiefroten scheint bei jedem ankommenden Flüchtling hier vor lauter Freude die Sonne aus dem Hintern, weil sie damit ihrem Ziel, unseren Staat und unsere Gesellschaft mittels Multikulti kaputt zu machen, einen Schritt näher kommen.“ Eine derartig beleidigende, menschenverachtende und vor lauter Verschwörungsideen triefende Formulierung ließe man nicht einmal jemandem aus dem Fußvolk einer rechten Partei durchgehen. Aus den Reihen seiner Fraktion oder seiner Partei war indes keine einzige Stimme zu vernehmen, die sich vom Gedankengut des Fraktionsvorsitzenden deutlich absetzte. Der Autor dieses Satzes und alle, die ihn durchgehen ließen, haben sich an der Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas in unserem Land vergangen.
Noch einmal Annette Ramelsberger: “Diejenigen, die diese Verschwörungstheorien befeuern, die diese Ideologien verbreiten, sollten wissen, was sie tun: Sie leisten dem Terror Vorschub.” So gelten Spinner und Idioten auf einmal “nicht mehr als verrückt, verschroben oder allein, sondern als wichtig: quasi als militärischer Arm einer völkischen Bewegung.”
Die demokratische Öffentlichkeit muß sich dieser Entwicklung entschieden entgegenstellen. Wir müssen die Angstmacher zurückgedrängen. Wir müssen die Ressentiments gegen Fremde bekämpfen, gegen Flüchtlinge, gegen Menschen anderen kulturellen Hintergrunds. Wir müssen das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft schützen. Unsere Gesellschaft ist in Wirklichkeit schon sehr viel weiter, sie hat sehr viel mehr Kraft, als es uns rechte Demagogen immer wieder weismachen möchten.
Die vierzehnjährige Schülerin Jana Eschmann schrieb im Buch der Wermelskirchener Künstlerin, Autorin und ehemaligen Lehrerin der Hauptschule folgendes Gedicht:
Ja, ich weine
„Ich drücke gläserne Tropfen der Wut und Verzweiflung aus meinen Seelenfenstern.
Sie zerspringen am Boden der Schuld, auf dem ich stehe
und die Regenbogensplitter bohren sich in die Erde;
Auf dass sie die mächtigen Menschen dieser Welt treffen.
Nicht alle, dies geb’ ich gerne zu, verdienten einen solchen Dolchstoß.
Jedoch immer noch genug.“
Marie-Louise Lichtenberg (Hg.) • Ein Gefühl von Zukunft. Menschen verlassen ihre Heimat, überschreiten Grenzen, betreten Neuland • Allitera Verlag München 2019 • 240 Seiten • ISBN 978-3-96233-154-2 • www.allitera.de • € 19,90
Ich habe einen kleinen Text zu diesem Buch beigesteuert, der den Alltag in Wermelskirchen beschreibt. Alltag gemeinsam mit ganz unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft:
Der beste Cutter, mit dem ich je zusammengearbeitet habe, als ich noch Filme fürs Fernsehen produzierte und als Autor tätig war, stammt aus Bergisch Gladbach, hört auf den typisch deutschen Namen „Goran“ und besaß lange Zeit neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch noch die serbische.
Als Tonassistent arbeitete bei solchen Projekten oft ein hünenhafter Kubaner mit, der mit dem schönen Namen „Lenin“ gesegnet ist und dessen schlohweißes Haar wunderbar kontrastiert zur typisch kubanischen Hautfarbe „kaffeebraun“.
Die Menschen, von denen wir das Haus in Wermelskirchen gekauft haben, in dem wir seit 32 Jahren leben, sind eine iranisch-deutsche Mischfamilie, deren ältester Sohn „Amir“ heißt und selbstverständlich Deutscher ist. Meine Lederjacke habe ich neulich bei einem Änderungsschneider aufarbeiten lassen, der ursprünglich aus einem der Nachfolgestaaten Jugoslawiens stammt, seit langer Zeit aber hier in Wermelskirchen heimisch ist.
Eines meiner Lieblingsrestaurants in meiner Heimatstadt ist „der Grieche“, Waios, den hier wirklich jeder kennt, weil er ein so ungeheuer freundlicher, stets lächelnder Zeitgenosse ist. Eine andere Stätte besonderer Gastlichkeit nennt sich „ToscAnna“ und wird von Anna und Emidio Fanelli betrieben. Wie ihre Namen verraten, sind sie keine „Bio-Deutschen“, wie Nationalkonservative und Rechte das mittlerweile formulieren.
Das Display meines Handys habe ich kürzlich in der Telegrafenstraße bei einem türkischstämmigen Händler reparieren lassen. Eine Zeit lang hat uns eine Frau geholfen, unser Haus sauber zu halten, die aus Polen stammt. Bulbul, mein junger Freund aus Bangladesch, mittlerweile anerkannter Flüchtling, hat uns bei der Renovierung unseres Wohnzimmers einen großen Freundschaftsdienst geleistet und die Wände gestrichen.
Der beste Freund meines Sohnes hat in England sein Abitur gemacht und dort studiert. Ich habe Filme gedreht in Russland und der Türkei, in Griechenland oder Frankreich. Die Töchter meines alten Freundes und ehemaligen Arbeitskollegen Hannes haben in Kanada und Neuseeland gelebt, dort studiert und einen Hochschulabschluß erworben.
Mein Freund Kay lebt und arbeitet seit einigen Wochen in Paris als Journalist. Vor ein paar Jahren hatte er sein Domizil in Brüssel aufgeschlagen, hernach in Berlin. Meine Nichte hat in Kanada nach kanadischem Recht geheiratet. In meinem Lieblingsfußballverein, dem SV 09/35 Wermelskirchen, kicken seit jeher neben deutschen Spielern auch solche aus der Türkei, Spanien, Jugoslawien, aus Polen oder Albanien, aus allen möglichen europäischen Ländern. Kosta war einst einer dieser Kicker und ist heute stadtbekannter Gastwirt mit ungeheurem Zulauf. Heute Morgen hat mir ein aus der Ukraine stammender Bote eine Bestellung ausgeliefert, die mich aus den USA erreicht.
Menschen verlassen ihre Heimat, überschreiten die Grenzen ihres Landes und betreten Neuland. Aus sehr vielen unterschiedlichen Gründen. Immer. Immer wieder. Und sie werden heimisch. Hier. Und anderswo. Das war schon seit jeher so und das wird auch so bleiben. Gottlob. Gibt es wirklich etwas Normaleres als der beständige Kontakt mit Menschen, die nicht in diesem schönen Land geboren wurden, hier aber ihre Heimat gefunden haben? Kann ich Menschen Hilfe verweigern, weil sie nicht „von hier“ sind, ohne jeden Anstand zu verlieren? Man muß sich nicht unbedingt engagieren, etwa in der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuung. Auf jeden Fall aber muß man sich seine Menschlichkeit bewahren. Immer. Damit ist viel geholfen.