Haltung

VON WOLFGANG HORN

Der Tabubruch von Erfurt läßt sich weder wegbeschließen, wie es ZEIT-Online heute formulierte, noch mittels einer Vertrauensabstimmung heilen. Mag sein, daß die Abstimmung im Bundesvorstand der FDP Christian Lindner ein wenig Beinfreiheit beschert. Es bleibt aber, daß der von hier stammende FDP-Vorsitzende verantwortlich ist für den Tiefpunkt des Liberalismus in jüngster Zeit.

“Was in Thüringen geschehen ist, war eine demokratische Zäsur und ein Tiefpunkt in der Geschichte des Nachkriegsliberalismus. Beides lässt sich nicht durch den Kurzfristrücktritt des Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich überdecken.” So schrieb es heute Robert Pausch in der ZEIT. 

Wahr ist: Ein noch junger Mann, der Zeit seines Lebens – nach dem Schulbesuch – nichts anderes gemacht als Politik, auf den höchsten Parteiebenen in Land und Bund, hat kläglich versagt, als es darum ging, eine Haltung an den Tag zu legen. Strategisch und taktisch ist er von Rechtsextremisten der völkisch-nationalistischen Partei düpiert worden. Weil er gezockt hat, gegambelt, laviert hat wie beim Pokern. Daß man sich nicht mit den Stimmen von rechtsextremistisch-nationalistischen Kräften in ein Staatsamt hieven läßt, ist eine Grundhaltung, die gespeist wird aus der richtigen Analyse und Bewertung deutscher Geschichte und der entsprechenden moralischen Grundüberzeugungen. Das tut man nicht. Ein Satz, den man auch als Bundespolitiker nicht vergessen darf. Man läßt sich auf keinen Fall von AfD-Funktionären zum Ministerpräsidenten wählen. Wäre dieser Satz auch nur ein einziges Mal in den Beratungen der Freidemokraten zwischen Erfurt und Berlin deutlichst formuliert worden, vom Vorsitzenden, hätte selbst der aus Aachen stammende Oberliberale in Thüringen gewußt, was und wie er auf die Frage: “Nehmen Sie die Wahl an?” zu antworten gehabt hätte, nämlich: Nein. Die einzig richtige Antwort ist: Nein. Nur dort, wo es keine Haltung gibt, keinen Grundwert, mit Rechtsextremen auf keinen Fall zu paktieren, nur dort kann die Antwort auch “Ja” lauten. Nur dort also, wo die Beliebigkeit herrscht, die Taktiererei vor Grundwerten rangiert, wo Verantwortung durch Marketing und Design, durch öffentlichen Anschein und gute Rhetorik ersetzt wird, ist die gegebene Antwort der Freidemokraten möglich.

Christian Lindner hat sich weiß Gott große Verdienste um die Wiederbelebung der FDP erworben. Ihm vor allem und zuvörderst sind der Wiedereinzug der Liberalen in den Bundestag nach dem Desaster mit Westerwelle, Rösler oder Niebel und die nachfolgenden Wahlerfolge in den Bundesländern zu verdanken. Das wird immer der persönliche Erfolg des Christian Lindner bleiben. Aber: Im Erfolg des Einzelkämpfers Christian Lindner ist auch die erneute Krise der Freidemokraten bereits angelegt. Im Bundestagswahlkampf bestand die FDP lediglich aus Christian Lindner. Mal im Feinripp-Unterhemd, mal lässig an die Wand eines Hörsaals gelehnt, mal nächtens im fahlen Licht eines Laptop-Bildschirms, immer modische Zeitgeist-Slogans absondernd, die Liberalität suggerieren sollten: Bedenken Second. Neben oder hinter Lindner war meilenweit niemand Gleichrangiges zu entdecken, allenfalls dem FDP-Urgestein Kubicki gelang es bisweilen, die FDP ebenfalls in den Medien zu repräsentieren. Lindner war und ist der Alleinunterhalter der blau-gelben bis gelb-magenta-farbenen Partei. Mit dem Recht und der Möglichkeit, die FDP an die rechte Seite der CDU zu bugsieren. In der Flüchtlingsfrage, in der Klimapolitik, in der Wirtschaft- und Sozialpolitik ist die FDP eine Partei am rechten Rand der CDU und am linken Rand der AfD. Nichts blieb vom vor Jahren noch angekündigten “mitfühlenden” Liberalismus. Die Vorkämpfer für Bürgerrechte, die einst neben wirtschaftsliberalen Positionen ebenfalls ihren Platz in der FDP hatten, die Baums und die Hamm-Brüchers, die Dahrendorfs und die Hirschs, sind nie wieder heimisch geworden in der Lindnerschen FDP. 

Und trotz dieses Kurses an die rechte Seite der CDU nahm er Reißaus, als es darum ging, politische Verantwortung in einer Bundesregierung mit CDU und den Grünen zu übernehmen. Wie man vor diesem Hintergrund mit dem legendären Linderschen Satz: Lieber nicht regieren, als falsch regieren“ zulassen kann, daß ein Freidemokrat von der AfD gewählt wird, bleibt schleierhaft.

Aber: Liegt es wirklich am Alter, daß beispielsweise die ehemalige Generalsekretärin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, unmittelbar nach dem fatalen Wahlgang in Erfurt von einem politischen Fehler sprach, Lindner stattdessen eierte und SPD und Grüne zur Unterstützung der FDP aufforderte? Nein, am Alter liegt es nicht, denn Wolfgang Kubicki gratulierte den Thüringer Kumpanen freudig. Es liegt an der Haltung. Der Haltung, die Frau Strack-Zimmermann hat, offenbar, wie andere Liberale auch, Alexander Lambsdorff beispielsweise oder Marco Frommenkord aus Wermelskirchen, mit dem ich unmittelbar nach der Wahlentscheidung darüber telefoniert habe, Lindner oder Kubicki indessen nicht.

“Man muss es so deutlich sagen: Dass es führende Kräfte einer liberalen Partei nicht unmittelbar als unerträglich empfinden, wenn einer der ihren von Rechtsradikalen ins Amt gewählt wird, ist erschreckend. Und diese Desorientierung hat der Parteichef nicht verhindert, sondern befördert.” So Robert Pausch heute im liberalen Zentralorgan ZEIT. Er fährt fort: “Christian Lindner hätte wissen müssen, (…) dass all das routinierte Beschwören von ‘Brandmauern’ zur leeren Formel verkommt, wenn man zuschaut, wie das Feuer übergreift. Und dass niemand von einem ‘Kandidaten der Mitte’ sprechen kann, wenn dieser bereit ist, sich von der AfD wählen zu lassen. All das bedarf im Übrigen keiner höheren Strategie, sondern bloß Moral plus ein wenig Mathematik.”

Die FDP stehe für “Weltoffenheit und Freiheit und Fortschrittsgeist” klappert die Lindnersche Gebetsmühle seit Stunden, und damit gegen alles, was die AfD verkörpere. Aber: Seit Monaten ist Lindner eifrig an sprachlicher Eskalation beteiligt, “bei der es längst nicht mehr darum geht, was jemand wirklich gefordert hat, sondern vielmehr darum, was man den anderen unterstellen kann, um selbst ein bisschen besser dazustehen”. So Robert Pausch in die ZEIT. Und weiter: “Lindner warnt davor, dass die Grünen die Autoindustrie ‘enthaupten’ wollten, er befürchtet, dass Klimademonstranten die Deutschen ‘umerziehen’ wollten, er sorgt sich vor jenen Kräften, die Deutschland zu einem Land der ‘veganen Radfahrer’ machen wollten. Die Beispiele allein aus den vergangenen Wochen ließen sich fortsetzen. Gelegentlich fragte man sich, ob Lindner wirklich glaubt, was er dort erzählt, und die ernüchternde Antwort ist wohl oft: nein.” 

Politik wird ersetzt. Durch Affekte, Emotionen, Provokationen. Es geht um Darstellung, nicht um Substanz. Die Kandidatur des Erfurters mit den Cowboy-Stiefeln zum Amt des Ministerpräsidenten sollte laut Lindner “ein Signal” senden. Ein Signal zu senden, wird dem Ernst einer Ministerpräsidentenwahl in einer hochkomplizierten politischen Lage im Landtag indes keineswegs gerecht. Eine Finte zumal, die nach hinten losging, weil man vor lauter Überheblichkeit und Dünkel nicht eingerechnet hat, daß andere in unangemessen-unparlamentarischer Täuscherei, im Fach Taschenspielertricks und Finten mehr drauf haben könnten.

“Der Liberalismus ist ortlos, die Partei verunsichert und der Vorsitzende nicht mal selbst mehr in der Lage, eine eigene Führungsstärke zu behaupten.” So endet der Artikel von Robert Pausch. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Ich wünsche mir lediglich, dass die Liberalen in Wermelskirchen trotz des Desasters den Weg weiter gehen werden, den sie in den letzten Wochen auch öffentlich erkennbar beschritten haben, als sie etwa an der Manifestation vor dem Rathaus am Holcaust-Gedenktag teilnahmen oder im Umwelt-Ausschuss für ein Klimaschutzpaket in Wermelskirchen eintraten. Ohne starken Liberalismus wird der Kampf für den Erhalt der Demokratie schwerer.

Kommentare (6) Schreibe einen Kommentar

    • Andreas Müßener
    • 08.02.20, 15:16 Uhr

    Christian Lindner hätte zurücktreten müssen. Das ist nicht passiert und er wurde aber nicht abgewählt, weil kurzfristig kein Personal verfügbar war. Die FDP Wermelskirchen hat sich so weit, wie es nur möglich sein kann, von den Vorgängen in Thüringen distanziert. Aber nicht von Lindner, der dem Pakt mit Höcke zugestimmt hatte.

    Vielleicht kommt ja noch eine klärende Stellungnahme der FDP. Hier steht die gesamte Glaubwürdigkeit des Ortsverbandes auf dem Spiel!

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    • Grauganz
    • 08.02.20, 15:24 Uhr

    Das sagt und schreibt jemand, der auf dem Ticket der AfD in den Stadtrat gewählt wurde. Später hat er die Partei verlassen bzw. mehrfach gewechselt. Sein Mandat aber hat er behalten. Er sitzt heute noch im Stadtrat. Ich bin nicht sicher, daß dieser Lebenslauf bereits dazu ertüchtigt, anderen Menschen aus anderen politischen Parteien grundlegende Ratschläge in Sachen Demokratie und glaubwürdiges Verhalten zu erteilen. Und: Nein, die Glaubwürdigkeit des Ortsverbandes der FDP steht nicht auf dem Spiel. Der hat sich eindeutig erklärt. Ein Ortsverband kann keinen Bundesvorsitzenden entmachten. Wichtige hier handelnde Personen haben eine unzweideutige Position eingenommen. Chapeau.

    Wolfgang Horn

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    • Andreas Müßener
    • 08.02.20, 15:41 Uhr

    Leider intellektuell tiefstes Niveau. Oder reiner Linkspopulismus, wer weiß!

    Ich simplifiziere jetzt maximal, damit es die Hoffnung gibt, den Zusammenhang nach nun Jahren zu begreifen.

    Der Gründungsstamm der AfD sammelte sich innerhalb der AfD im “Weckruf”. Dieser stellte sich ganz klar gegen rechte Tendenzen in der AfD. Die Partei selbst teilte sich in 2/3 AfD und 1/3 ALFA auf. Deshalb fand ich nie ein Wechsel statt oder eine Mitnahme eines Mandats. ALFA selbst verlor ein Namensstreit und musste sich in LKR umbenennen. Auch das ist kein Wechsel.

    Mir wird das Recht abgesprochen, Lindner für sein Ok des Höcke-Deals zu kritisieren. So drängt man sich nur massiv für die AfD Wermelskirchen auf. Etwas anderes erreicht man dadurch nicht.

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    • Grauganz
    • 08.02.20, 15:50 Uhr

    Lieber Herr Müßener,

    ich möchte nicht wirklich mit Ihnen über Niveau streiten. Aber: Ihnen wird überhaupt kein Recht abgesprochen, öffentlich Kritik zu üben. Sie haben hier doch schreiben dürfen, was Ihnen auf dem Herzen liegt. Nur: Wer öffentlich schreibt, muß auch mit Entgegnungen rechnen, mit Kritik. Also gerieren Sie sich hier nicht als Opfer.

    Wolfgang Horn

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    • Andreas Müßener
    • 09.02.20, 1:00 Uhr

    Lieber Herr Wolfgang Horn,

    Niveau ist ein Begriff, der uns alle betrifft. Niveau, ein Statussymbol?

    Nein, Niveau ist eine Eigenschaft, die jeder Mensch hat, ich würde mir wünschen, das “Niveau” wieder in den Blickpunkt aller Menschen rückt.

    Sofern man die schwierige Formel nicht erfindet, alle Menschen zu vereinen , solange ist Demut Hoffnung.

    Herr Horn, wir beide sollten uns lösen von dem verkrampften “sich selbst”. Idealismus hat keinen Marktwert mehr.

    In die Gesellschaft können wir uns mit verschiedenen Stärken und Eigenschaften einbringen.

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