Der Ruch am 5. Februar

VON WOLFGANG HORN

Kaum jemand kann mit diesem Wörtchen aus der Überschrift, Ruch, heutzutage noch etwas anfangen. Es wird so gut wie nicht mehr verwendet. Allenfalls ahnen die meisten, daß in dem Adjektiv ruchlos das Nomen steckt, das, aus dem Niederdeutschen stammend, Ruf bedeutet, Leumund. Und so häufig wie an kaum einem anderen Tag wird dieses kleine Wörtchen “ruchlos” am heutigen 5. Februar für das Vorgehen von FDP und CDU verwendet, den FDP-Vorsitzenden Kemmerich mit den Stimmen der Partei von Björn Höcke zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen zum lassen. Dieser Vorgang ist in der Tat nichts anderes als ruchlos. Ehrlos. Unanständig. Ekelhaft und geschichtsvergessen. 90 Jahre, nachdem die Nazis zum ersten Mal in Deutschland in eine Landesregierung kamen, in Thüringen im übrigen, lassen sich die beiden einst bürgerlichen Parteien auf einen politischen Deal mit dem rechtsextremistischen Flügel der AfD ein. Gegen jeden guten Rat, wie man hört, auch aus den jeweiligen Bundeszentralen der Parteien in Berlin. Selbst die CSU-Führung positioniert sich entschieden gegen einen Unterstützungspakt mit der AfD. Ruchlos ist, so gesehen, noch eine der harmloseren Vokabeln, mit denen man das vollkommen orientierungslose, kompaßbefreite Handeln des thüringischen FDP-Chefs kennzeichnen kann wie auch die dem Kinderspielzeug Kreisel ähnelnde politische Bewegung des obersten thüringischen Christdemokraten, Mohring, der zunächst für Gespräche mit Ramelow war, dann dagegen, zunächst selber kandidieren wollte, dann aber nicht mehr, der anfänglich nicht mit der AfD paktieren wollte, jetzt aber im warmen Bett mit Björn liegt, der sein Glück vermutlich noch gar nicht wirklich fassen kann. Die Republik erlebt ein Beben, die Demokratie wird in den Grundfesten erschüttert und die Verantwortlichen dort, weit, weit hinten im Osten verstehen die ganze Aufregung nicht. Bitte verschont uns doch mit derart ahnungs- und gewissenlosen Politikdarstellern. Da mag Christian Lindner noch so gut parlieren können, sich noch so gut als Marketing-Vodoo der Freidemokraten in Szene setzen mögen: Er trägt Mitschuld am Desaster. Er hätte Kemmerich auf der Stelle zurückpfeifen müssen. Jetzt hilft nur noch, daß der politische Grundfehler umgehend revidiert wird. Der neue Ministerpräsident muß zurücktreten. Das Parlament kann, muß sich mit Zwei-Drittel-Mehrheit auflösen. Dann gibt es Neuwahlen. Sollten sich die Landesgliederungen der beiden Parteien, CDU und FDP, sperren, ist entschiedenes Handeln der Parteiführungen gefragt. Es handelt sich nicht um ein kleineres Missverständnis, was dort in Thüringen geschehen ist. CDU und FDP haben mit dem Paktieren mit der AfD den demokratischen Konsens verlassen und machen sich mit dem extremistischen Flügel einer völkisch-nationalistischen Partei gemein. Das gefährdet die demokratische Stabilität des ganzen Landes. Ich war noch nie mit dem Vorsitzenden der CSU und dem Generalsekretär der CDU so einig wie heute: Das ist ein schwarzer Tag für Deutschland.

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