Von Mähnen, Mädchen und Märchen

“Mustang” im KirchenKino

VON WOLFGANG HORN

Wermelskirchen | Kino ist die Illusionsmaschine unserer Zeit. Nach wie vor. Das gilt auch für das KirchenKino im Film-Eck in Wermelskirchen. Gestern war aus Anlass des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen, der traditionell am 25. November begangen wird, der vielbeachtete französisch-türkische Film Mustang zu sehen, der 2016 als französischer Beitrag zum Auslandsoskar eingereicht worden war.

Das KirchenKino in diesem Monat fand als Kooperation mit Frauenzimmer, der Frauen- und Mädchenberatungsstelle für den Rheinisch-Bergischen Kreis, mit der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, Frau Zeitz-Wargenau, der Buchhandlung van Wahden, den Frauenverbänden der CDU, Frauen-Union, der SPD, der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, von Bündnis90/Die Grünen und der WNK UWG sowie der Katholischen Frauengemeinschaft im Kreis statt. Und vor der Aufführung nutzten die Mitarbeiterinnen von Frauenzimmer die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, daß Frauen und Mädchen auch in unseren Breiten nach wie vor mit allen nur denkbaren Formen von sexualisierter Gewalt zu tun haben. Weit mehr als einhundert solcher Fälle sind im laufenden Jahr im Kreisgebiet angezeigt worden. Und: Die Dunkelziffer solcher Straftaten ist bekanntermaßen weitaus höher. Zudem stellte Frauenzimmer einige Beratungs- und Schutzprojekte für Frauen und Mädchen vor. 

Eine wahrlich düstere Einführung für einen Film, der erstaunlicherweise auch mit hellen Farben daherkam, teils mit Witz, der über einige Strecken seine Geschichte heiter und unbeschwert erzählte. Es geht um fünf Schwestern in der anatolischen Provinz, weitab von den womöglich aufgeklärteren Metropolen. Aus Freude über den Beginn der Sommerferien toben sie im nahegelegenen Meer, in den Schuluniformen. Diesem kindlich-jugendlichen Spiel schließen sich einige Jungen aus der Schule an. 

Das aber führt in der geistig-kulturellen Enge der dörflichen Gesellschaft zum Eklat. Obszönes Verhalten, so lautet der Vorwurf. Die Sanktionen beginnen. Schminkzeug verschwindet aus den Mädchenzimmern, die zerrissenen Jeans, Computer, Telefone. Nach und nach verwandelt der Onkel das Zuhause der Geschwister bei der Großmutter in eine Trutzburg gegen die vermeintlich unsittlichen Verlockungen der Außenwelt. Kochen und Backen stehen nunmehr in der “Fabrik für Ehefrauen” auf dem Stundenplan. Und die Zwangsverheiratungen drohen. 

Aber: Wieder und wieder gelingt den Mädchen der Ausbruch, mit immer radikaleren Mitteln. Aus der Anmut unschuldiger Kinder erwächst der Mut von Mädchen, sich auf ihre Weise gegen die Repressionen einer scheuklapprigen und männerdominierten Gesellschaft zur Wehr setzen. Die Jüngste, aus deren Perspektive die Geschichte der Schwestern erzählt wird, entwickelt anhand der Erfahrungen der Älteren, die sich teils dem großmütterlichen Druck und den Nachstellungen des Onkels fügen, den größten Widerstand. Auf diese Weise erscheinen die Ereignisse unschuldiger und hoffnungsvoller, als sie es vermutlich wirklich sind. Aber: Nichts ist wirklich eindeutig in dieser Geschichte. Die älteren Schwestern fügen sich. Dennoch gehen sie etwa mit dem Sexualverbot auch subversiv um, widerständig, selbstbewußt. Und der Kleinsten gelingt am Ende die Flucht aus der Enge in die kulturelle Weite der Hauptstadt. 

Natürlich ist der Film eine Parabel, auch ein Märchen für Erwachsene. Aber wie viele Märchen beschreibt “Mustang” die gesellschaftliche Wirklichkeit treffend. Eine gute Wahl des KirchenKinos und der Familie Schiffler vom Film-Eck, verstand es der Film doch, unerhörte gesellschaftliche und kulturelle Zustände, die keineswegs nur anatolische Rückständigkeit beschreiben, sondern auch die Wirklichkeit für viele Frauen und Mädchen im ach so aufgeklärten Westen abbilden, auf unterhaltsam-nachdenkliche Weise in den Fokus eines zahlreich erschienenen Publikums zu rücken. Das KirchenKino im Film-Eck bleibt ein Fixpunkt in der kulturellen Landschaft der Kleinstadt.

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