Ein Kommentar zur Beratung der bergischen Städtepartnerschaften in Wermelskirchen
VON WOLFGANG HORN
Wermelskirchen | Die Städtepartnerschaft, also die Partnerschaft zwischen zwei oder mehr Städten in verschiedenen Ländern mit dem Ziel, sich kulturell und wirtschaftlich auszutauschen, begleitet Menschen meines Alters, also wenige Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges geboren, eigentlich bereits ein Leben lang.
Schon 1951, in meinem Geburtsjahr und zu einem Zeitpunkt, an dem die Idee eines vereinten Europas noch nicht wirklich im Zentrum der politischen Debatte stand, gründeten 50 Bürgermeister deutscher und französischer Städte in Genf den Rat der Gemeinden Europas, der es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, die Aussöhnung zwischen den Völkern Europas und die kommunale Zusammenarbeit über Grenzen hinweg zu fördern.
Sinn und Zweck von Städtepartnerschaften ist, daß sich Menschen über nationalstaatliche Grenzen hinweg freiwillig zusammenfinden können. Sie wurden und werden auch als Plattform genutzt, um die Demokratisierung in Staaten zu unterstützen, in denen Rechtsstaatlichkeit und Freiheit noch nicht als vollends erreicht angesehen werden, wie es beispielsweise in den frühen Nachkriegsjahren auch noch für Deutschland galt.
Gestern Abend nun fand im Wermelskirchener Rathaus eine Beratung von Vertretern und Verantwortlichen von fünfzehn Städtepartnerschaften im Bergischen Raum statt. Die meisten dieser Partnerschaften werden zwischen deutschen und französischen Kommunen und deren Bürgern gepflegt, einige andere aber fördern auch die Verbindung mit Gemeinden etwa in Belgien, Großbritannien, Polen oder Finnland. Den Kern der bergischen Städtepartnerschaftsbewegung aber bilden, wie überall im Land, die Freundschaften zwischen Städten der ehemaligen „Erbfeinde“ Frankreich und Deutschland.
Sie kamen aus dem Rheinisch-Bergischen Kreis, dem Oberbergischen, aus Remscheid oder Solingen. Konkret waren Wermelskirchen und Gummersbach versammelt, Wipperfürth, Bergneustadt und Wiehl, Morsbach, Engelskirchen und Odenthal, Rösrath und Marienheide sowie eben Remscheid und Solingen. Und: Die Verantwortlichen aus der ganzen bergischen Region plagen durchweg vergleichbare Sorgen: Es fehlt meist am Nachwuchs und die Verantwortlichen sind mittlerweile tendenziell eher grauhaarig; die Kommunen sind oft in der Haushaltssicherung oder sehr klamm und können deswegen kaum oder nur in sehr geringen Umfang finanzielle Unterstützung bereitstellen; in vielen Gemeinden bildet nach wie vor der Schüler- oder Praktikantenaustausch eine zentrale Säule der Partnerschaft. Aber: das Interesse der ausländischen Schüler am Erwerb der deutschen Sprache hat in erheblichem Maße abgenommen ebenso wie die Leidenschaft deutscher Schüler, sich langfristig mit der schönen, aber vermeintlich schwierigen französischen Sprache auseinanderzusetzen.
Kurzum: Es drängt sich dem unbefangenen Beobachter der Eindruck auf, daß die in früheren Jahrzehnten durchaus attraktiven Partnerschaften zwischenzeitlich an Bedeutung verlieren und sich die Bewegung der Freundschaft mit Menschen in anderen europäischen Ländern in der Auszehrung befindet. Zwar wird in allen Städten noch ein durchweg ehrenamtlich getragenes beachtliches Programm geboten, um sich mit den Menschen in europäischen Nachbarländern zu verständigen, ihre Sprache, Kultur und Lebensweise kennenzulernen, um die Grenzen in den Köpfen zu überwinden, nachdem die Grenzen zwischen den Staaten weit geöffnet worden sind.
Aber: Die Mitgliederzahlen stagnieren eher oder gehen zurück, der Nachwuchs folgt nicht im gleichen Maße nach und die finanziellen Mittel sind durchweg nicht üppig. Nahezu alle Initiativen berichten, daß Volksfeste und kommunale oder regionale Festivitäten genutzt werden, um für den Partnerschaftsgedanken zu werben. Es gibt Kunstausstellungen hier und in der Partnerstadt, Auftritte von Musikern, man verkauft den Wein aus französischem Anbau, die Crêpe wird feilgeboten auf Weihnachtsmärkten oder bei Stadtjubiläen, da gibt es die Teilnahme an Stadtläufen hüben wie drüben, mitunter den Austausch von Feuerwehren oder Sportvereinen, sogar literarische Cafés werden veranstaltet, gesellige Treffen, während derer für französische Literatur oder Autoren geworben wird. Sogar eine Table Ronde, bei der überwiegend französisch gesprochen wird, steht auf dem Programm einer Partnerschaft. Ein durchaus buntes Programm, das sich die Partnerschaften Jahr für Jahr einfallen lassen.
Aber: In der Rückschau auf das Geleistete fehlte gestern Abend fast völlig das, was einst wesentlich zur Bildung des Partnerschaftsgedankens geführt hatte. Politik, die Vereinigung Europas, die nachlassende Bedeutung der Nationalstaaten angesichts der globalen Herausforderungen, die Sicherung der Demokratie gegen völkisch-nationalistischen Irrsinn – all das spielte so gut wie keine Rolle bei den bergischen Partnerschaftsinitiativen, wenn man den Erfahrungsberichten glauben kann. Im kommenden Jahr finden in Frankreich wie hierzulande Kommunalwahlen statt, im März und im September. Und im kommenden Jahr können wir in Europa den 75. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus feiern sowie die längste Friedensperiode, die der Kontinent je erlebt hat. Anlaß genug, um sich auch des Ursprungs der Partnerschaftsbewegung zu vergewissern, um auch den aktuellen Bedrohungen der Demokratie in Europa durch nationalistische und rechtsextreme Kräfte den Gedanken der Demokratie und des Friedens, der Menschenwürde und Humanität entgegenzusetzen.
Für die junge Generation ist das offene Europa ohne Grenzzäune und Zollschranken eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht mehr lange nachdenken muß. Sie bewegt sich in Europa so sicher wie in den digitalen Welten, die die Distanzen haben schrumpfen lassen. Für diese Generation, sprachlich besser ausgebildet als je eine Generation zuvor, gibt des kein Staunen mehr angesichts der regionalen Vielfalt im großen Europäischen Haus. Es handelt sich eben um die Generation, die Europa nicht erkämpfen muß, sondern als jahrelange Normalität mit nur einer oder nur ganz wenigen Währungen erlebt und erfahren hat.
Aber: Europa und sein Frieden müssen immer wieder neu erkämpft und gesichert werden. Von allen. Von jung und alt. Die Partnerschaftsbewegung ist so aktuell und so bedeutsam wie kaum je zuvor. Deshalb ist es umso wichtiger, neben der bunten Vielfalt an städtepartnerschaftlichen Aktivitäten die gesellschaftlich-politische, die historische Dimension nicht zu vernachlässigen.
Und: Die Städtepartnerschaften müssen sich womöglich breiter aufstellen, über den Tellerrand der Kommune hinausschauen. Was spricht denn dagegen, sich gut, sich besser zu vernetzen? Was gegen die Nutzung der modernen sozialen Medien, von Newslettern, Facebook oder WhatsApp, um Erfahrungen auszutauschen und Anregungen aufzugreifen?
Wenn in einer Gemeinde ein Französisch-Kochkurs erfolgreich läuft, kann er in der Nachbarstadt doch ebenfalls angeboten werden. Idee, Programm und Know-how sind ja bereits vorhanden. Konzerte, Ausstellungen oder Lesungen lassen sich ebenfalls für mehrere Kommunen, für die Region planen. Kartenverkauf, Werbemaßnahmen, Marketing oder Informationsmedien, gedruckt oder digital, lassen sich womöglich auch gut für mehrere benachbarte Partnerschaften organisieren, Hinweise auf französische Medien, Literatur, Filme oder Ausstellungen können, regional gesammelt, jenen Partnerschaftsvereinen zur Verfügung gestellt werden, die nicht über eine ausreichende Manpower verfügen. Kurzum: in Zeiten, in denen durch Digitalisierung und Internet die Welt zusammenwächst, nachgerade alle Informationen schnell verfügbar sind, sind Vernetzung und Austausch und Kooperation das Gebot der Stunde.