Narrenfreiheit für Verkehrssünder?

VON WALTER SCHUBERT

Nein, der gezeigte Bierdeckel ist nicht das Ergebnis eines feucht-fröhlichen Abends. Es ist eine spontan entstandene Strichliste über das mutwillige Fehlverhalten von Autofahrern am Kreuzungsbereich Eiscafé Venezia. Es ist damit auch eine Liste über Gleichgültigkeit, Desinteresse, Eigennutz, Rücksichtslosigkeit und Dummheit. 

Einmal im Monat treffen wir uns zum Stammtisch in der Gaststätte Centrale. Von dort haben wir einen feinen Blick auf diesen Bereich. Vom Brückenweg über die durchgezogene Mittellinie direkt in die Kölner Straße? Kein Problem. Aus der Telegrafenstraße kommend, gegen die Fahrtrichtung, ab in die Kölner Straße? Auch kein Problem. Dabei ist in der Strichliste das zu schnelle Fahren noch gar nicht berücksichtigt. 

Nach dem Bußgeldkatalog wird das Überfahren der durchgezogenen Linie mit 30 bis 35 Euro geahndet. Das Abbiegen mit Gefährdung (aus der Telegrafenstraße) könnte 80 Euro plus einen Punkt kosten. Nehmen wir für unseren Bierdeckel nur einmal 35 Euro pro Verstoß an, ergeben sich 1645 Euro! Nur an dieser Kreuzung! Nur in diesem relativ kleinen Zeitfenster! Nur an diesem einen Abend! 

Das Potenzial an allen Kreuzungen, Kreisverkehren oder Ampeln und auf allen Straßen im Stadtgebiet kann man sich kaum vorstellen. Aber in Wermelskirchen braucht sich niemand Sorgen zu machen. Es schaut niemand hin, es kontrolliert niemand und offenbar ist es egal. Wenn kontrolliert wird, sind es meist abgelaufene Parkuhren – das ist einfach und man kann nichts falsch machen. Es gilt das „Totschlagargument“: „Wir haben kein Geld für Personal. Deshalb können wir nicht kontrollieren“. Das sich die Kontrolleure selbst finanzieren (siehe unseren Bierdeckel) und wahrscheinlich sogar noch einen Überschuss erwirtschaften, bleibt unberücksichtigt. Klar, für den fließenden Verkehr ist die Polizei zuständig. Aber auch dort gilt die genannte Personalsituation. 

Wie viele Beispiele belegen, ist ein vernünftiges Miteinander leider nur dort gegeben, wo es ganz strenge Regeln gibt, wo umfassend kontrolliert wird und wo es gnadenlos hohe Strafen gibt. (z.B. im Ausland bei Umweltsünden oder Verkehrsvergehen). 

Hier in unserer Kleinstadt mit Herz (wem ist das bloß eingefallen?) muss man sich keine Sorgen machen. Hier parkt man in zweiter Reihe, direkt auf dem Gehweg oder dem Fahrradstreifen, fährt fast in die Geschäfte hinein, rast durch die 20-iger und 30-iger Zonen, überholt millimetergenau die Fahrradfahrer im Brückenweg oder liefert sich am Sonntagabend ein Motorradrennen auf der Dellmannstraße. 

Unter einer liebenswerten Kleinstadt stellt man sich doch etwas anderes vor oder nicht?

Übrigens: Es wurde auch schon ein VW-Bus gesehen, der die Kölner Straße hoch fuhr. Auch das ist bei uns nicht so schlimm und alles völlig normal.

Kommentare (4) Schreibe einen Kommentar

    • Stefan janosi
    • 16.08.19, 19:07 Uhr

    Im Moment bin ich ja noch im Süden Fronkreichs und versuche mich an die hiesigen ungeschriebenen Verkehrsregeln zu halten. Eine Regel habe ich schon gut verinnerlicht, diese heißt Rücksichtnahme und Toleranz. Auch hier gelten offizielle Verkehrsregeln, aber wenn mal am Stoppschild keiner hält, falsch abbiegt oder im Kreisverkehr eine zweite Spur eröffnet, solange kein anderer gefährdet wird läuft alles ganz stressfrei. Wäre schön wenn das in D. und in Wermelskirchen auch so laufen würde. In diesem Sinne „Bonne route“ 😊.

    Antworten

    • Klaus Giersiepen
    • 17.08.19, 10:23 Uhr

    Dabei sollte man aber auch auf Radfahrer achten, die ohne Unrechtsbewusstsein gegen die Fahrtrichtung in der Einbahnstraße und noch dazu auf dem Gehweg fahren.
    Das nicht nur insbesondere in der Telegrafenstraße, sondern auch in der Oberen Remscheider Str. oder der Carl-Leverkus-Str.
    Nur zur Erläuterung: Ich selbst bewege mich häufig mit dem Rad in der Innenstadt und finde es nicht übertrieben, mich an die Verkehrsregeln zu halten.

    Antworten

      • Walter Schubert
      • 17.08.19, 13:42 Uhr

      Zum Kommentar von Klaus Giersiepen: Völlig korrekt, Sie haben absolut Recht. Unser Bierdeckel war ja nur eine Momentaufnahme und da waren eben nur Autofahrer beteiligt. Grundsätzlich gilt das schwierige Miteinander für alle, die am Straßenverkehr teilnehmen oder sich im öffentlichen Raum bewegen.

      Antworten

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.