Chapeau

VON WOLFGANG HORN

Ich hadere bereits seit langem. Als ich nach Wermelskirchen kam, vor vierzig Jahren, habe ich mein damaliges Abonnement des Kölner Stadt-Anzeigers, für den Kölner natürlich die Heimatzeitung, aufgegeben und mir den Wermelskirchener General-Anzeiger zugelegt. Damals waren die Bürger der Stadt noch in der beneidenswerten Lage, für ihre alltägliche lokale Information und Orientierung zwischen zwei konkurrierenden Blättern wählen zu können. Hier die eher konservativ daherkommende Bergische Morgenpost, mit dem Mantel, also dem überregionalen Zeitungsteil mit Politik, Sport, Wirtschaft und Feuilleton, aus Düsseldorf von der Rheinischen Post, dort der Wermelskirchener General-Anzeiger, kleiner als die Morgenpost, aber mit einer etwas liberaleren Grundeinstellung und einem Zeitungsmantel aus der Westdeutschen Zeitung. 

Gemessen an der (einst) großen Lokalzeitung mit überregionaler Bedeutung, am Kölner Stadt-Anzeiger, spielten die beiden kleineren lokalen Gazetten in Wermelskirchen natürlich nicht wirklich in der gleichen Liga. Gleichwohl: Ich hatte mich arrangiert. Für jemanden, der der Arbeit wegen den größten Teil seiner Zeit in Köln verbringt, reichte die lokale Information aus dem Remscheider Verlagshaus aus, um sich in den Niederungen der lokalen Existenz zurecht zu finden. Zwischen sprichwörtlichen Berichten aus Kaninchen- und Tierzuchtvereinen sowie den unerläßlichen Jubilarenfeiern, Schulfesten oder Kirmesreportagen fanden sich immer auch genügend Informationen über die lokale Politik, die Standpunkte und Projekte der Parteien, über Ratssitzungen und Ausschußdebatten, allesamt aus einer demokratisch-liberalen Warte heraus geschrieben. 

Zeitungen sind die Universität des kleinen Mannes. So der Volksmund. Wenn eine lokale Zeitung die Gesamtheit, universitas im Lateinischen, lokaler Informationen bietet, trifft dieser schöne Satz auch auf die Lokalzeitung in einer Kleinstadt wie Wermelskirchen zu. Die Lokalzeitung bot mir über Jahrzehnte Orientierung über das kommunale Geschehen und fürs Zurechtfinden in der großen, weiten Welt, über den Tellerrand der Stadtgrenzen hinaus, gab und gibt es ja die (wenigen) überregionalen Tageszeitungen, etwa aus München, Frankfurt oder Berlin. 

Seit geraumer Zeit indes ist von befruchtender, Kreativität freisetzender Konkurrenz zwischen zwei Lokalblättern mit jeweils unabhängiger Redaktion keine Rede mehr in Wermelskirchen wie auch in Remscheid. Das Zeitungssterben in meiner Heimatstadt hat die krude Form der redaktionellen Zusammenarbeit der beiden einst eigenständigen Redaktionen angenommen. In Wermelskirchen liefert die größere der beiden Zeitungen, die Morgenpost, die meisten Artikel für den hiesigen Lokalteil des General-Anzeigers, dessen Redaktion entsprechend ausgedünnt wurde, und in Remscheid ist es umgekehrt, dort liefert der General-Anzeiger der Morgenpost die meisten Artikel. Eine verlegerische Entscheidung, die den schleichenden Bedeutungsverlust, vor allem bei jüngeren Menschen, beider Printmedien im Zeitalter der überwiegenden Information aus der Vielzahl digitaler Quellen und Kanäle gewiß nicht aufzuhalten in der Lage ist. Die Tage der herkömmlichen Lokalzeitung scheinen mir gezählt zu sein. 

Seit geraumer Zeit also plage ich mich mit dem Gedanken, mein vier Jahrzehnte lang bestehendes Abonnement des RGA, dessen digitale Variante mir zudem, gemessen an der Printversion, für eine nur noch lau-liberale Lokalinformation überteuert zu sein scheint, aufzugeben. Hätte ich seinerzeit die Morgenpost lesen wollen, hätte ich sie abonniert. 

Mein Blick in die heutige Ausgabe des Wermelskirchener General-Anzeigers indes läßt mich wieder zweifeln. Sollte ich mein digitales Abonnement des General-Anzeigers doch behalten? Anja Carolin Siebel, sozusagen die letzte Mohikanerin des WGA, schreibt in ihrer Wochenkolumne mutig, daß „fremdenfeindliche Haltungen (…) im Stadtrat nichts zu suchen“ (haben). Sie bezieht sich auf die öffentliche Debatte, die ein Posting des Fraktionsvorsitzenden der WNKUWG in Facebook in der Kleinstadt mit Herz ausgelöst hat. Dieser Kommentar von Henning Rehse sei „nicht nur fragwürdig, sondern auch diffamierend. In der öffentlichen Facebookgruppe, in der Rehse als Moderator agiert, gibt es einige solcher öffentlich getätigter Äußerungen. Auch von anderen Politikern, die auf kommunaler Ebene für Wermelskirchen arbeiten“. Henning Rehse bezeichne, so heißt es weiter im Kommentar von Anja Siebel, „seine Ratskollegen von der Grünen-Partei in einem anderen Post bei Facebook als ‚grüne Speichellecker‘. Das ist haltloses, schnippisches Anfauchen, das man durchaus als Hetze bezeichnen kann. Konstruktiv ist daran nichts. Und mehr noch: Wer die von Rehse moderierte Seite „Politik für Wermelskirchen, Deutschland und die Welt“ genauer anschaut, dem kann angst und bange werden. Es wimmelt von Beschimpfungen Grüner und SPD-Politiker, die weit über konstruktive Kritik an einer politischen Haltung hinausgehen. (…). Denn eine fremdenfeindliche Haltung hat in einem Stadtrat nichts verloren. Zumindest nicht in einem guten“.

Chapeau. Das, finde ich, ist ein Kommentar, der eine Lokalzeitung schmückt. Hier tritt die Journalistin fremdenfeindlichen Äußerungen entgegen, die aus der vom Verfassungsschutz als rechtsradikal eingestuften „Identitären Bewegung“ stammen, hier wird das unsägliche Niveau, sprachlich und politisch, der Facebookpostings einiger lokaler Polit-Helden kritisiert, als „Hetze“. Hier wird das Augenmerk auch auf die Haltung anderer Parteien gelegt, die sich bislang noch in vornehmer Zurückhaltung üben, vermutlich, weil man spekuliert, daß man die Partei noch brauchen könne, aus der die üblen Hasspostings stammen.

Die Bergische Morgenpost hingegen, also die große lokale Redaktion mit einem ausreichenden Stab an Journalisten und freien Mitarbeitern, befleißigt sich vornehmer Zurückhaltung. Kein Wort, keine Silbe zu den unsäglichen Äußerungen aus dem rechten Lager. Eine konservative Grundhaltung ist ja in Ordnung. Aber öffentliche Äußerungen aus dem politischen Raum, die als fremdenfeindlich zu qualifizieren sind, Hetztiraden in den vermeintlichen sozialen Netzwerken, beleidigende und herabwürdigende Formulierungen von Stadtverordneten politischen Konkurrenten gegenüber dürfen auch von einer konservativen Lokalzeitung nicht ignoriert werden. Eigentlich. Meine damalige Entscheidung für eine der beiden Lokalzeitung war offenbar richtig.

Hier zum Nachlesen, der Kommentar aus der heutigen Ausgabe des WGA:

Kommentare (4) Schreibe einen Kommentar

  1. Bei soviel Zurückhaltung der BM (Bergische Morgenpost) wundert es nicht, dass die Zahl der Abonnenten zurückgeht. Artikel heute zum Wochenende: “Entdeckerwoche Aqualon”, “Wermelskirchner erinnern sich”, “Schulentwicklung in Wermelskirchen” usw. Alles nette Artikel. Aber wo ist die kritische Analyse zu aktuellen politischen Themen und Tendenzen? Keine Zeit, keine Lust oder was?
    Die BM im Niedergang: Verkaufte Auflage 01.01.2017 7186 Stück, d.h. Wermelskirchen 3443, Hückeswagen 1908 und Radevormwald 1835 Exemplare. Die aktuelle Gesamtauflage der BM beträgt lediglich 5984 Exemplare. Ein Rückgang also von fast 20 %! Für Wermelskirchen dürfte die verkaufte Auflage derzeit deutlich unter 3000 Exemplaren liegen!!

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    • Walter Schubert
    • 20.07.19, 17:36 Uhr

    Lieber Wolfgang Horn,
    bereits der erste Artikel zu Herrn Rehse war topp, sprachlich und auch inhaltlich. Dass sich nun die örtliche Presse aus der Deckung wagt, hätte ich nicht mehr für möglich gehalten. Dank und Respekt an Anja Carolin Siebel. (Ich hoffe, da folgt beruflich nichts negatives für sie nach).
    Unter anderem war es genau die beschriebene Haltung bzw. Nichthaltung der BM die mich im November letzten Jahres dazu bewogen hat die freie Mitarbeit bei dieser Zeitung zu beenden. Der Inhalt ist wie ein lauwarmer, leicht feuchter Händedruck, unverbindlich ohne jegliche Haltung. Nur nicht anecken und nur keine Kritik. Die Kritik ergibt ja meist eine Resonanz und damit müsste man sich beschäftigen. Da berichtet man lieber über Jubelkonfirmationen, Klassentreffen und Kinder-Bastelaktionen. Da kann man wenig falsch machen. Dafür brauche ich aber keine Tageszeitung mit Lokalteil. Und ich brauche in Wermelskirchen auch keine Lokalteile aus den Nachbarstädten. Den neu gegründeten Strickkreis in Rade werde ich wahrscheinlich nie besuchen. Apropos brauchen: Ich habe nicht nur die Mitarbeit sondern auch gleich das ganze BM-Abo gekündigt. Und siehe da, nach einer fast einmonatigen Zeitungs-freien Zeit geht es mir gut. Zumindest morgens muss ich mich nicht mehr ärgern.

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    • Heidbüchel
    • 22.07.19, 17:09 Uhr

    Danke Anja Carolina Siebel für die Wochenkolumne ❤
    Fremdenfeindliche Haltungen haben im Stadtrat nichts zu suchen.

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  2. Ich habe mich schon sehr lange gefragt, wann die Zeitungen einmal über diese sprachlichen Entgleisungen berichten. Frau Siebel hat damit die Führungsposition übernommen. Finde ich gut.

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