Heute habe ich mich bewusst entschieden über das Etappenziel Sahagun hinaus zu laufen. Mein heutiges Ziel ist Calzadilla de los Hermanillos und damit doppelt soweit, wie vom Rother angedacht. Der Vorteil liegt darin, dass ich damit die Stadt Sahgun nur als Zwischenziel habe.
Ich berichtete gestern von den Augustinerinnen und wie sie die Pilger empfingen und dass ich mit der deutschen Schwester „Heute hier, Morgen dort…“ gesungen habe. Ich habe gestern, während meiner Gebetspausen öfters gedacht, eigentlich hätte ich den Refrain umtexten müssen, damit er auf mich passt: „Manchmal träume ich schwer und dann denk ich, es wär Zeit zu gehen und was ganz anderes zu tun, so …..“ – Ja, es ist der Blick zurück auf vertane Möglichkeiten und ein hoffungsvoller Blick nach vorn. Vielleicht geht ja noch was. Wer weiß?
Gestern Abend in der Herberge los Templarios gönnte ich mir ein Pilgermenue, bestehend aus Suppe, Fisch mit Kartoffeln und Salat. Wein und Wasser. Ich nahm mein Essen mit Terry ein, einem Lehrer für Logistik aus Frankreich. Er läuft seit drei Jahren den Camino, zwei Wochen pro Jahr. In diesem Jahr von Burgos bis nach Astorga. Leider sprach er schlechter Englisch als ich, dennoch hoffe ich, ihn morgen auf den Camino wieder zu treffen. Wir haben beide das gleiche Tagesziel.
Heute startete ich um sechs Uhr ohne einen Kaffee, erlebte dafür den frühen Morgen in der Meseta mit vollem Mond. Eine unglaubliche Weite, ja ich wiederhole mich, und eine Stille, die gut tut. Ein junger Koreaner überholte mich bald. Seinem Schritt konnte und wollte ich nicht folgen, so grüßten wir kurz und beließen es dabei. Den ersten Kaffee gab es in einem der kleinen Weiler zwischen Teradillos de los Temperlarios und Sahgun. Leider folgt der Camino vor Sahagun etwa sechsKilometer der Nationalstraße und der parallel verlaufenden Autobahn A321.
In der Stadt gönnte ich mir einen Café con Leche. Hinter der Stadt muss sich der Pilger zwischen zwei Varianten entscheiden. Ich entschied mich für die Variante ohne Straße und begab mich auf die Via Trajana, die alte Römerstraße zwischen Bordeaux und Astorga, auch „Cazada de los Peregrinos“, Pilgerstaße genannt. In Calzada del Coto gönnte ich mir in der Bar die nächste Pause. Der Ort ist mir von meiner Pilgerreise 2012 bekannt, da ich dort mit einem Freund in der Herberge als einzige Gäste übernachtete. Damals gab es keine Bar und keinen Laden. Der kleine Ort erschien mir heute viel lebendiger. Schön!
Calzadilla de los Hermanillos war 2,5 Stunden später und nach neun Kilometer Wegstrecke erreicht. Erst kurz vor dem Ort traf ich auf Mitpilger, die an einem Rastplatz unter Bäumen saßen. Gestern hatte ich erwogen, hier in die private Herberge zu gehen, entschied mich jedoch für die Municipale. Ich wurde von den Hospitalerias, zwei Schwestern aus Südafrika, freundlich empfangen. Auch dieser Ort scheint neues Leben eingehaucht, im Vergleich zu 2014.
Seit meinem Besuch bei den Augustinerinnen begleitet mich ein Gedicht von Léon Felipe:
Niemand war gestern,
noch wird er heute gehen,
noch wird er morgen auf dem gleichen Weg
zu Gott gehen, den ich gehe. Für jeden Menschen
hat er einen neuen Lichtstrahl, die Sonne …
und einen jungfräulichen Pfad. Gott
Heute habe ich 35699 Schritte bis zu meinem Ziel gemacht und 24,99 Kilometer zurückgelegt. Morgen ist mein Etappenziel Mansilla de las Mulas.