VON WOLFGANG HORN
Nachdem nach eigenem Bekunden 34 der insgesamt 53 Doppelplakate der AfD zur Europawahl verschwunden sind, hat die AfD Strafanzeige bei der Wermelskirchener Polizei erstattet. Der Sprecher der AfD in Wermelskirchen, Hans-Joachium Lietzmann, erhebt in diesem Zusammenhang auf der Ortsgruppen-Website der rechtsextremen Partei schwere Vorwürfe gegen die anderen an der Wahl teilnehmenden Parteien sowie allgemein gegen die Bürger und Bürgerinnen der Stadt.
„Alle Parteien wären aufgerufen“, schreibt Lietzmann, „für die Rechte und Freiheiten jeder zugelassenen Partei im Wahlkampf und in der politischen Auseinndersetzung einzutreten“. Und weiter? Was will Hans-Joachim Lietzmann denn mit diesem Sätzchen andeuten? Etwa, daß andere Parteien und ihre Mitglieder verantwortlich sind für den Verlust der AfD-Plakate? Und was sollten die anderen Parteien jetzt machen? Mahnwachen organisieren zur Rückgabe der AfD-Plakate? Demonstrieren vor dem Rathaus, CDU und SPD Hand in Hand? Eine Petition ausdenken, WNKUWG und Linke gegen AfD-Plakatklau?
Bei „einigen Bürgern“, so Lietzmann weiter, gebe es „offensichtlich“ eine Diskrepanz zwischen Recht und Moral oder Politik und Moral. Das stimmt. Wenn man den Nationalsozialismus als „Fliegenschiss“ in der Geschichte verharmlost, wie es der AfD-Chef Gauland formuliert hat, klafft in der Tat eine Lücke zwischen Anstand und Politik. Diese Lücke wird auch deutlich, wenn das Holocaustdenkmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet wird, wie es AfD-Rechtsausleger Höcke formuliert hatte. Oder wenn Jan von Flocken beim AfD-Russlandkongress in Magdeburg meint, die Waffen-SS „als Positivbeispiel“ hervorheben zu müssen – dann klafft eine erhebliche Lücke zwischen Moral und Politik, dann ist auch die Grenze zum rechtlich Erlaubten überschritten.
Aber diesen Vorwurf unspezifisch und ohne jeden Beleg an die Bürger der Stadt zu adressieren, das ist schon arg. Den Verlust von Wahlplakaten, den im übrigen alle Parteien immer mal wieder zu beklagen haben, zum Anlass für eine allgemeine Publikumsbeschimpfung zu machen, das ist vollkommen unangemessen.
Zudem stimmt Lietzmann eine kulturpessimistische Jeremiade an, denn es reicht ihm nicht mehr aus, nur „einige Bürger“ zu attackieren. Er glaubt auch, feststellen zu können, daß sich „der Mensch“ und „die Zivilcourage“ in den letzten 100 Jahren „grundsätzlich“ nicht geändert hätten, nur wenige wagten „aus dem Mainstream auszubrechen“. Wie bitte? Meint Lietzmann wirklich seine eigene Partei? Die aus dem Mainstream ausbricht, weil sie den Fremdenhaß und den Rassismus schürt, wenn etwa Gauland Jerome Boateng rassistisch beleidigt, den deutschen Fußballnationalspieler, und behauptet, die Deutschen empfänden ihn als „fremd“, oder der Abgeordnete Jeans Maier Noah Becker als “kleinen Halbneger“ denunziert. Nein, Lietzmanns Münze ist kleiner, wie auch anders? Er fordert ein, daß man, also die Bürgerinnen und Bürger, das Abhängen der Plakate doch habe sehen müssen, schließlich wäre ein PKW zum Abtransport erforderlich gewesen. Und warum das nicht angezeigt worden sei.
Kann es sein, daß Hans-Joachim Lietzmann, die Kraft der Zivilcourage bei den vielen Bürgern und Bürgerinnen drastisch unterschätzt? Gegen den schlechten Rat der AfD helfen die Menschen hier den Flüchtlingen, nehmen sie auf, helfen Ihnen beim Deutschunterricht und der Suche nach Arbeit und Wohnungen. Gegen den schlechten Rat der AfD gilt für die allermeisten Bürgerinnen und Bürger, dass die Würde des Menschen unteilbar ist, daß das Grundgesetz alle Menschen meint und nicht nur Menschen mit deutschem Paß.
Nein, Herr Lietzmann, die Zivilcourage hat nicht nachgelassen in Deutschland. Und “der Mensch” ist auch nicht schlechter geworden in den letzten 100 Jahren, nur weil ein paar AfD-Plakate fehlen, vielleicht geklaut, vielleicht aus Wut über die Politik und die Sprache der AfD abgehängt worden sind. Wer sich derart ungehemmt an der Zivilität der deutschen Gesellschaft und der Geschichte des Landes vergeht, wer die Sprache des Rechtsradikalismus pflegt, wer mit Rechtsextremen paktiert und gemeinsame Sache macht, der sollte über Zivilcourage tunlichst schweigen.
Im Übrigen: Alle Parteien hängen zuviele Plakate mit zuwenigen gut formulierten und verstehbaren politischen Inhalten auf. Weniger ist mitunter mehr.