„Ich bin keine Sozial-Uschi“

Sina Trinkwalder auf Promotionstour für ihr Buch „Zukunft ist ein guter Ort“

Von Wolfgang Horn

Wermelskirchen | Der Pfarrsaal der Katholischen Gemeinde Sankt Michael und Apollinaris war gut gewählt als Ort für den Vortrag und die Lesung der Autorin und Unternehmerin Sina Trinkwalder. Stand doch vor dem zahlreich erschienen Publikum auch eine ausgewachsene Missionarin in Sachen „Soziales Unternehmertum“.

Großer Andrang gestern Abend in der Kölner Straße 39. In aller Eile mußten unmittelbar vor Beginn noch Stühle herangeschafft und neue Stuhlreihen aufgebaut werden, damit alle Besucherinnen dem Vortrag von Sina Trinkwalder auch sitzend folgen konnten. Etwa 50 Wermelskirchener Bürgerinnen waren der Einladung der Buchhandlung van Wahden und des Weltladens gefolgt. Wie immer bei Lesungen: dreimal mehr Frauen als Männer. 

Nur zwölf Männer wollten von Sina Trinkwalder erfahren, warum sie ihre berufliche Karriere als Leiterin einer gutgehenden Werbeagentur aufgegeben hatte, nachdem sie in zufälligen Kontakt mit einem obdachlosen Paar geraten war, das sich aus der Glitzerauflage eines von ihrer Agentur hergestellten Hochglanzmagazins Weihnachtsschmuck bastelte. Sie gründete dann ein soziales Unternehmens, in dem „die Menschen im Mittelpunkt unternehmerischen Handelns stehen“. 150 Mitarbeitern gibt die Firma “MANOMAMA“ derzeit Arbeit und eine Aufgabe. Menschen, die eigentlich keine Chance mehr auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, Langzeitarbeitslose, Behinderte, Alleinerziehende, Menschen ohne Schulabschluss, kurzum: „Menschen mit multiplen Vermittlungshemmnissen“, wie es im Jargon der Arbeitsverwaltung heißt.

Trinkwalders Grund-Idee: der Mensch. „Mensch, lass uns doch etwas machen, wo wir Menschen, die sonst jede Firma ablehnt, eine Chance geben, ihren eigenen Erwerb zu erwirtschaften und damit wieder Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen.“ Heute ist MANOMAMA Firma und Unternehmen, aber auch „Familie“ und „Freundeskreis“.

„Der größte Pflegenotstand im Land ist derzeit die Demokratie.“ Eine Gesellschaft, in der Arbeit und berufliche Stellung über den gesellschaftlichden „Wert“ jedes Einzelnen entscheiden, darüber, wie man am gesellschaftlichen Leben, an der Demokratie teilhaben kann, müsse sich die Frage vorlegen lassen, wie sie mit den Menschen am Rande der Gesellschaft umgeht, denen, die etwa mit dem Tempo des heutigen Berufslebens nicht Schritt halten können, deren Schulbildung oder Berufsqualifikation nicht mehr langt, die aus sozialen Gründen, weil Kinder versorgt oder Angehörige gepflegt werden müssen, eine andere Arbeitsorganisation im Unternehmen benötigen. Oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen. Auch ihnen stehe die Chance zu, sich über den Wert ihrer Arbeit zu definieren. Die unternehmerische Aufgabe sieht Trinkwalder darin, „jedem einzelnen Menschen die Chance zu geben, wieder in die Gesellschaft einzurücken“. Wenn wir beständig nur nach oben schauten, zu den Erfolgreichen, gut Situierten, sähen wir unten, am unteren Rand der Gesellschaft nichts mehr.

Streng ökologisch, aus geprüften Bio-Rohstoffen, werden im Trinkwalderschen Unternehmen beispielsweise Einkaufstaschen genäht für die großen Einzelhandelsunternehmen in der Republik. Dabei verzichtet das Unternehmen komplett auf erdölbasierte Komponenten in Geweben und Gestrick und produziert konsequent nur in den heimischen Gefilden.

Für diese Unternehmung ist Sina Trinkwalder mehrfach ausgezeichnet worden, etwa mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Zudem war sie Gast in vielen Fernsehtalkshows, in denen sie Promotion in eigener Sache machen konnte. Aber: „Ich bin keine Sozial-Uschi“, beschrieb sie sich gestern vor dem Wermelskirchener Publikum, „ich bin eine Unternehmerin. Meine Geschäfte müssen erfolgreich sein.“

Munter ging es zu im gediegenen Katholischen Pfarrsaal. Druckvoll-dynamisch der Vortrag der ständig in Bewegung befindlichen Autorin/Unternehmerin, einer “Rampensau” in des Wortes bester Bedeutung.  Sina Trinkwalder ist eine Frau, die sich und ihr Anliegen zu verkaufen weiß, forsch, flott, nie um ein Wort verlegen. Zwischen verhaltenem Glucksen und befreiendem Lachen meist die Reaktionen des Publikums. Es war mehr eine Lebens- und Motivationsselbstbeschreibung der Sina Trinkwalder als eine Lesung im engen Wortsinn, mehr eine Erwachsenenbildungsveranstaltung mit Lektionen zur politisch-gesellschaftlichen Bildung. Zwischenzeitlich ging es um das bedingungslose Grundeinkommen, um intrinsische und extrinsische Motivation, darum, daß Arbeitslosigkeit krank mache, um die volkswirtschaftliche Bedeutung von Unternehmen, um Kapitalismus- und Gesellschaftskritik, um Nachhaltigkeit und Digitalisierungsstrategien sowie die Nutzung sozialer Medien.

Zum Schluß der Veranstaltung hatten zwei Schülerinnen, Iona Bergerhoff und Lina Theil, noch eine Reihe von Fragen an die Autorin vorbereitet, vor allem zur privaten Lebensführung in digitalen Zeiten wie diesen. Zudem mußte Sina Trinkwalder auf einige weitere Fragen aus dem Publikum antworten.

Ach ja. Das Beitragsfoto hat Sina Trinkwalder gestern selbst geschossen und sofort bei Twitter veröffentlicht. Mit der Bemerkung: “Ich bin ein bisschen entzückt von Wermelskirchen. #schoeneecken#ueberall#fotografie”

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