Brexit im Haus Eifgen

Wermelskirchen | Ein doch eher sperriges Thema, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, Brexit, hat gegen die Erwartungen Vieler doch etwas mehr als 30 Bürger der Stadt heute Vormittag in Haus Eifgen locken können.

Zu einer Gesprächsrunde über die Menschen auf der Insel und ihr uns mitunter verquer erscheinendes politisches Handeln, über Europa, über die Gefahren des Rechtspupulismus und eines erstarkenden Nationalismus, über Geschichte und Politik. Das alles unter dem Titel „Just A Brick in The Wall“.

Thomas Wintgen, lange Jahre als Lokaljournalist in Wermelskirchen tätig, führte in die Thematik des Brexit ein und schilderte, wie es zur Bewegung für den Austritt aus der EU kam, welche Kräfte ihn maßgeblich betreiben und welche Handlungsoptionen zu bleiben scheinen.

Drei Bruchlinien beschrieb Wintgen zur Illustration der derzeitigen politisch-emotionalen Befindlichkeit der britischen Bevölkerung. Eine regionale Teilung in Stadt und Land trenne die Brexitiers von den Remainern ebenso wie die Engländer von Schotten und Nordiren. Demographisch sei das Land gleichfalls geteilt, denn die 18-25jährigen Briten seien zu 70% für den Verbleib in der Europäischen Union, während die über 60jährigen zu 60% für den Austritt votierten. Und schließlich gebe es eine soziale Spaltung, denn sozial eher schwache Bevölkerungsteile mit niedrigem Bildungsabschluß wären für den Austritt, Bürger mit höherer Bildung dagegen für den Verbleib in der EU.

Oliver Platt, Fraktionsvorsitzender des Bürgerforums (Büfo) im Wermelskirchener Stadtrat und einer von 17 in Wermelskirchen lebenden Briten, erzählte seine und die Geschichte seiner Familie. 

„Der britische Pass hat meiner Familie das Leben gerettet“. Sein Großvater, Gemüsehändler in Birmingham, hatte in Valencia seine Frau mit französischem Pass kennengelernt und mit ihr gemeinsam noch in Spanien einen Sohn bekommen. Den Vater von Oliver Platt. Der Junge erhielt natürlich den englischen Pass. Die Großeltern trennten sich, die Großmutter zog mit ihrem Sohn nach Paris um, lernte einen Österreicher lieben, der für die Wehrmacht gearbeitet hatte und nach dem Krieg ins Gefängnis kam. „Damals sollte auch meine Großmutter wegen Kollaboration inhaftiert werden“, so Platt. Als der britische Geheimdienst davon erfuhr, wurden Mutter und der Sohn mit dem britischen Pass in Sicherheit gebracht – in die britische Besatzungszone nach Hilgen bei Wermelskirchen. Dieser britische Paß reicht Oliver Platt nun nicht mehr aus. Er wird den deutschen Paß bekommen. „Ich bin und bleibe Europäer, die Geschichte meiner Familie steht für Europa und illustriert die Geschichte des ganzen Kontinents.“ Als Nur-Engländer drohte ihm, daß er seine politische Funktion als Fraktionsvorsitzender im Stadtrat nach dem Austritt Großbritanniens nicht mehr hätte fortsetzen können.

Les Searle (81), stadtbekannter Jazzmusiker, wohnt bereits seit Mitte der sechziger Jahre in Wermelskirchen. „Wermelskirchen ist meine Heimat.“ Er hat nicht damit gerechnet, dass sich die Briten für den Austritt entscheiden. „Ich muss sagen, dass ich ganz schön enttäuscht war. Ich hätte dagegen gestimmt.“

Melanie Raven, ur-bergischer Sproß einer ur-bergischen Familie, in Wuppertal geboren, in Lüttringhausen aufgewachsen und derzeit in Lennep lebend, mit zwei Muttersprachen gesegnet, Englisch und Deutsch, aber nur einem Paß, dem britischen, hätte lieber einen Europäischen Paß oder, besser noch, einen „kosmopolitischen Weltpaß“. Sie sieht die Trennung der Briten von Europa als tragisch an und plädiert für die Überwindung nationalstaatlicher Enge.

Eine muntere Debatte entspann sich, die über den Brexit, die Chancen, daß die Briten in der EU verbleiben, die Geschichte der EU, den Populismus und Europafeinde in Deutschland, die Entstehung des Deutschen Grundgesetzes vor 70 Jahren bis hin zur Politischen Bildung in Deutschlands Osten reichte und am Ende mündete im Appell, jetzt dazu beizutragen, daß Europa nicht in die Hände von Europagegnern gerate. Man müsse auf jeden Fall an den Europawahlen teilnehmen.

Und: die meisten Europainteressierten ließen den spannenden und munteren Sonntagvormittag mit einem herzhaften Biß in eins der von Richard Crighton und seinem Pie Haus Colonia zur Verfügung gestellten Pies ausklingen.

„Just A Brick In The Wall“ war erneut ein Beleg dafür, daß das Haus Eifgen auch eine Stätte für das gepflegte Wort ist. Schade nur, daß die politischen Parteien mit Ausnahme des Bürgerforums und der Partei Die Linke mit Abwesenheit glänzten.

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

  1. Schon Grüß! – you could have asked me! I might have come… Unfortunately I couldn’t get to the protest in London…

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