Den nachfolgenden Beitrag, der am 9. November des vergangenen Jahres geschrieben worden ist, entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Blog von Michael Gelen, einem Wermelskirchener Blogger, als Anregung fürs Nachdenken über den morgigen Tag in der Geschichte Deutschlands.
Von Michael Gelen
REICHSPOGROMNACHT – EIN TRAURIGER UND DAMALS LEIDER NUR VORLÄUFIGER HÖHEPUNKT DES HOLOCAUSTS. EINE STATION AUF DEM WEG DURCH DIE NS-ZEIT: UNBESCHREIBLICHES LEID, UNFASSBARE VERBRECHEN, ENTRECHTEN, PLÜNDERN, TERROR, TOTSCHLAG, MORD, MASSENMORD… UNVORSTELLBARES UNRECHT!
Ist es möglich, einen Zeitpunkt zu bestimmen, wann das alles begann?
Wie es im Frühjahr 1945 endete, ist bekannt, aber wann und womit begann die Verfolgung der Juden?
Als am 09. und 10. November 1938 die Synagogen brannten, Schaufenster eingeschlagen wurden, jüdische Geschäfte geplündert wurden, Menschen geschlagen, verhaftet und teilweise über einen längerne Zeitraum in einem KZ gefangen gehalten wurden, zahlreiche psychische Schäden davontrugen und „offiziell“ 91 jüdische Menschen ihre Leben ließen… war das der Beginn der Judenverfolgung?
Als SA-Truppen in zivil unterwegs waren, um ihre Verbrechen zu begehen, während die Polizei auf die Herstellung von Recht und Ordnung verzichtete und der einfache Bürger seine Bürgerpflichten verletzte, indem er jede Hilfe (nicht nur die Erste Hilfe) verweigerte, passiv bliebt, billigte, zustimmte, war das der Beginn der Judenverfolgung?

WAS WAR DER ANFANG?
War es die Kennzeichnung der Pässe jüdischer Mitbürger mit einem „J“ im Oktober 1938, oder später der Judenstern?
Denkbar ist aber auch die „Rassentrennung in der Schule“ im September 1938 oder das Berufsverbot jüdischer Beamter, Ärzte und Kulturschaffender im Frühjahr 1938 oder die Errichtung der ersten Konzentrations- und Vernichtungslager… als Beginn zu bezeichnen.

Viele Momente und Begebenheiten im Gesamtbild des Völkermords an den europäischen Juden, der spätestens anlässlich der Wannseekonferenz im Januar 1942 beschlossen wurde, bieten sich an, um sie als DEN Beginn der Judenverfolgung herauszustellen.
Vielleicht sogar Momente, die wesentlich weiter in der Geschichte zurück liegen, die spanische Inquisition, die Schmähschriften Martin Luthers, die Kreuzzüge nach Israel, die Beschuldigung der Juden als Brunnenvergifter und Pestverantwortliche… Der Zeitraum der europäischen Judenverfolgung in unterschiedlicher Intensität ist leider sehr lang…

ES BEGINNT „IM DENKEN“…
Ich bin der Meinung, dass die Verfolgung einer Menschengruppe beginnt, wenn die Mitglieder dieser Gruppe mit einer gleichen negativen Eigenschaft belegt werden. Der Volksmund spricht davon, „alle über einen Kamm zu scheren“.
Schon hier ist absolute Vorsicht geboten! Wenn ich es für wahr halte, dass „alle Berliner Bolle heißen und Taxifahrer sind“ oder „alle Türken nach Knoblauch stinken“ (riechen passte hier sowieso besser), dass alle Italiener „Spaghettifresser sind“ (was wäre das Leben ohne Pasta?), dann ist das bedenklich, gefährlich und schlichtweg dämlich:
- Unzulässige, absurde und unlogische Verallgemeinerung
- Verbreitung der Unwahrheit, sprich Lüge
- Ablehnung, allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe
So begann die Judenverfolgung und -vernichtung mit einem „unguten Geist“, der falsche Inhalte fixierte und aufrichtete. Diese falschen Inhalte setzen ihren Weg fort in Köpfen, die das eigene Denken eingestellt haben und anderen, „unguten Vordenker“ gefolgt sind. Wenn eine kritische Menschenmasse das eigene Denken einstellt und einem „unguten Vordenker“ folgt, ist der Weg frei, so dass eine ganze Herde über ihre Opfer herfallen kann und „die Zuschauer“ sich nicht mehr trauen, einzuschreiten.
Was können wir gegen eine Wiederholung der Reichspogromnacht und aller anderen Verbrechen davor und danach unternehmen? Was können wir tun gegen Antisemitismus, Antijudaismus? Oder, wenn es andere Gruppen trifft, wenn Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Nation oder Religion, politischen Einstellung, einer geschlechtlichen Orientierung… ausgegrenzt werden?
LERNEN!
Ich persönlich möchte weiterhin selber denken, Informationen sammeln und bewerten. Ich möchte im Kopf bewegen, was wahr sein kann und was nicht wahr sein kann. Ich möchte Wahrgenommenes selber filtern und mich mit anderen darüber austauschen, andere Meinungen hören, stehen lassen und meine eigene reflektieren.

Und, wenn ich Beratungsbedarf verspüre, möchte ich mir die Berater aussuchen und mir vorher dazu eigene Gedanken machen.
Kein Mainstream, keine ungeprüfte Einstellung, nur weil sie gerade en Vougue ist. Ich möchte lernen, ein Leben lang lernen, so viel ich kann und so lange, ich kann.
AUFSTEHEN!
Außerdem möchte ich mich einmischen, wenn ein „unguter Vordenker“ Menschen in meinem Umfeld erreicht und okkupiert. Wenn Menschen nicht mehr selber denken wollen und es sich in den falschen Armen bequem machen, möchte ich das ansprechen.
Einmischen, damit es nicht zu viele werden. Einmischen, damit wir nicht eines Tages wieder mit ansehen müssen, wie eine bösartige Bewegung nicht mehr aufzuhalten ist. Beispiele gibt es und auch unsere Tage sind weder zimperlich, noch unschuldig:
Wir sind Zeuge, wie Menschen Meinungen anderer, ihre Ansichten, Auffassungen einfach ungeprüft übernehmen. Wir sind Zeuge polemischer Reden und unsachlicher Auseinandersetzungen. Zeugen politischen Taktierens zu Lasten von Werten und Wahrheiten. Wir sind Zeuge der kollektiven Furcht, die auf keinem logischen Fundament steht und Zeuge von Pauschalierungen, die schamlos vorgetragen werden, auch in den Medien… Nicht zuletzt sind wir leider auch Zeugen von Übergriffen auf verschiedene Zielgruppen, beispielsweise die Unterkünfte Geflüchteter oder jüdische Restaurants.
Es ist deutsch, europäisch, international. Es ist real und virtuell. Und, es ist jederzeit. Es betrifft Dich und mich.
LEBEN IN WÜRDE FÜR ALLE!

Jedes Jahr gibt es einen 09. November, ein Gedenktag an die Pogrome. Jedes Jahr gibt es den 27. Januar, der Holocaustgedenktag. Das ist gut, denn die Erinnerung darf nicht einfach irgendwann zusehends verschwinden, klammheimlich von den Lehrplänen gestrichen werden. Die Erinnerung an die Verbrechen unserer deutschen Vergangenheit gehört in unseren Köpfen fixiert. Wir sind die Nation, die dafür zuständig ist, dass es weder eine Fortsetzung noch Neuverfilmung dieser Tragödie gibt.
Allerdings möchte ich mich nicht einfach nur erinnern, wenn das verordnet ist, sondern jederzeit an das Leben in Würde denken. Jeder Tag ist ein „Tag für das Leben“! Leben, dass allen Menschen möglich sein muss: Materielles (Über-)Leben und psychische Unversehrtheit.
Jeder Tag ist ein Tag gegen Übergriffe, delegitimieren, ausgrenzen und verhetzen. Denn, an jedem Tag spricht Jesus Christus von Nächstenliebe, von Feindesliebe und an jedem Tag lebt Jesus Gottes Liebe, die dem allen voran geht.
Wollen wir das wagen? Ja, ich will das wagen!