Von Wolfgang Horn
Heute Abend diskutieren Mitarbeiter der Initiative für Flüchtlinge und Asylsuchende “Willkommen in Wermelskirchen” über die Lage der Menschenrechte in Deutschland unter dem Titel “Wermelskirchen zeigt Haltung”. Ein Diskussionsbeitrag.
Haltung zeigen. Das kann ja nur bedeuten, deutlich zu machen, mit welcher Grundüberzeugung man etwas macht, von welchen Grundwerten gespeist wird, was man tut. Es geht nicht um „bella figura“, um beeindruckende Äußerlichkeit, um etwa tadelloses Benehmen. Es geht darum, wie man seinen Mitmenschen begegnet, mit welcher Empathie, es geht um Zuwendung, um Kommunikation, um Zuspruch, Motivation, Mühe, also um die Werte der Anerkennung, der Menschlichkeit, der Freundschaft.
Haltung jenen gegenüber, die bislang nicht zur Gemeinschaft gehörten, zum Gemeinwesen, zur Kommune. Fremden vor allem, Flüchtlingen, Zuwanderern, Menschen anderen Glaubens, anderer Herkunft. Auch denen, mit denen man nicht übereinstimmt beispielsweise. Denen, mit denen man ansonsten keinen Umgang hat, denen, die man womöglich meidet, nicht mag.
Gestern hat die CDU in dieser Stadt in einer Feierstunde einen Kranz niedergelegt am Mahnmal des Deutschen Ostens und an die Opfer von Flucht und Vertreibung erinnert. Das macht eine Haltung deutlich: Wir dürfen niemals vergessen, daß durch den von Deutschland angezettelten Krieg Millionen Menschen ihre Heimat verloren haben und aus ihr vertrieben worden sind. Es war ein großes Werk der Versöhnung nach dem Krieg, daß Millionen Vertriebener in die bundesdeutsche Gesellschaft integriert wurden und hier eine neue Heimat finden und aufbauen konnten.
Mit einer vergleichbaren Haltung, der der Mitmenschlichkeit, der Empathie wird es gelingen, den Flüchtlingen, die jetzt zu uns gekommen sind und zu uns kommen, zu helfen, sie ebenfalls in unsere Gemeinschaft zu integrieren, sie auch zu einem Teil unseres Gemeinwesens werden zu lassen.
Das ist in „unseren Kreisen“, bei den Gutmenschen von der Flüchtlingsinitiative, bei den vielen Helfern, bei den Sprachlehrern und Möbelpackern, bei den Beratern und Kursleitern, bei den Begleitern und Fahrradreparateuren, bei den vielen Ehrenamtlern auch nicht strittig: Wir schaffen das.
Wir schaffen das, um den Satz der Kanzlerin noch einmal aufzugreifen, weil wir eine Haltung haben und diese auch zeigen, Tag für Tag. Das haben wir alle gemeinsam in den vergangenen vier Jahren deutlich machen können. Wir leisten Integration, wir überwinden Sprachbarrieren, wir stiften Frieden, wir schaffen Freundschaften, wir schützen Frauen und Kinder, wir schaffen Normalität für jene, die aus unnormalen, asozialen, menschenfeindlichen Verhältnissen, aus Krieg, Not oder Verfolgung den Weg zu uns gefunden haben.
Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle.
Wir haben unser Zuhause und damit die Vertrautheit des Alltags verloren. Wir haben unseren Beruf verloren und damit das Vertraute eingebüßt, in dieser Welt irgendwie von Nutzen zu sein. Wir haben unsere Sprache verloren und mit ihr die Natürlichkeit unserer Reaktionen, die Einfachheit unserer Gebärden und den ungezwungenen Ausdruck unserer Gefühle. Wir haben unsere Verwandten in den polnischen Ghettos zurückgelassen, unsere besten Freunde sind in den Konzentrationslagern umgebracht worden, und das bedeutet den Zusammenbruch unserer privaten Welt. (…) Wir sind mit der Überzeugung groß geworden, dass das Leben das höchste Gut und der Tod das größte Schrecknis sei, und wurden doch Zeugen und Opfer von Schrecklichkeiten, die schlimmer sind als der Tod – ohne dass wir ein höheres Ideal als das Leben hätten entdecken können.
Das schrieb 1943 Hannah Arendt, die in Hannover geborene jüdische Publizistin und Historikerin, die von den Nazis verfolgt und zur Migration gezwungen wurde und später die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Die kleine Schrift “Wir Flüchtlinge”, in Englisch geschrieben, wurde erst sehr viel später, 1986, übersetzt und ist bei Reclam erschienen.
In unserer Stadt ist die Initiative für Flüchtlinge und Asylsuchende „Willkommen in Wermelskirchen“ die womöglich größte und umspannendste Ehrenamtsinitiative, größer vermutlich als die Mitarbeit bei Sportvereinen, allemal größer als die politischen Parteien zusammen an Mitgliedern haben.
Es ist schön, so etwas über seine Heimatstadt schreiben zu können. Aber das ist nicht genug, leider. Denn derzeit wird Unbehagen und Kritik an der Migration und an Flüchtlingen von gewaltorientierten Rassisten, von der nationalkonservativ und völkisch dominierten AfD, von Hooligans und Reichsbürgern, von Identitären und anderen Rechtsextremisten in eine eindeutige Richtung kanalisiert: Es geht denen um eine fundamentale Veränderung unserer Gesellschaft. Man hat die Demokratie im Visier. Den Rechtsstaat, die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Presse und der Kunst, man will die Parteien abschaffen, das „System“, zurück in jene Gesellschaft und in solche Zeiten, die so viel Unheil über unser Land und die ganze Welt gebracht haben. Ihr Ziel ist die Spaltung der Gesellschaft. Und ihr Hebel ist die Hetze gegen Flüchtlinge, gegen “Fremde”, gegen Juden und Muslime, ist die Spaltung der Gesellschaft in ein “Wir” und ein “Die”.
Noch nicht in Wermelskirchen. Aber schon in Chemnitz. Schon in Freital. Schon in Bautzen. Schon in Görlitz. Schon in Köthen. Gestern. Haltung zeigen. Das bedeutet unter solchen Umständen: Wir dürfen dieser Bewegung keinen Fußbreit weichen. Wir müssen lauter und vernehmlicher werden, entschiedener, Farbe bekennen. Dies ist unser Land, unsere Demokratie, unsere funktionierende Gesellschaft, die wir zu schützen bereit sind.
Da ist, gestern in Köthen, von der “antideutschen Schweinepresse” die Rede, von einem “Rassenkrieg gegen das deutsche Volk”, da werden Polizisten als “charakterlose Söldner in Blau” beschimpft. Da waren, gestern in Köthen, Sprechchöre zu hören, die mit Befremden in der ganzen Welt diskutiert werden: “National Sozialismus ! Jetzt ! Jetzt ! Jetzt !” Da sprach ein Redner vom Volk an einem Wendepunkt, an dem es aufhöre, Opfer zu sein und zum Angriff übergehe.
Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß in unserer Stadt, aber auch im ganzen Land keine Menschen gejagt werden, daß niemand verfolgt und bedrängt wird, weil er Muslim ist oder Jude, weil er schwul ist, Flüchtling, anders aussieht, rothaarig, weil er anders spricht. Wer Menschen anderen Aussehens bedrängt und sie kujoniert, wer das Hakenkreuz zeigt, in Sprechchören „Absaufen, absaufen“ brüllt oder „Ausländer raus“, der ist nicht an einem Dialog interessiert, an Debatte, der ist weder besorgt noch voller Angst.
Das müssen wir deutlich machen, deutlicher als bislang. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, daß die Mitte der Gesellschaft frei bleibt und offen für kritische Debatte, auch für Streit, für Dialog und Austausch, für Argumente. Parolen, Schmähungen, Beleidigungen, Kraftmeierei sind unsere Sache nicht. Wir zeigen Haltung.
Arsch Huh, Zäng ussenander
Du määß et Fröhstöcksfernsehn ahn un selvsverständlich wie die Wetterkaat kütt unger ferner liefen, wo se wie vill Asylante plattjemaat. Na klar, dä Mob hätt widder randaliert, dä Bürjer applaudiert: “Die Kanaken sinn ald ömquartiert, die Naach hätt sich rentiert.“
Du denks: Nur russ he, wat ess bloß passiert, dat kein Sau reajiert?Wiesu ess e’ janz Land ahm kusche, als wöhr et paralysiert?
Wohrs du dat nit, dä singem Vatter nie et Stillhahle verzeihe kunnt, weil dä sich domohls arrangiert hätt, bess er schließlich vüür dä Trömmre stund? Wie wöhr’t, wenn du ding Ideale langsam ens vertredden dääts? Oder wills du em Ähnz drop waade, dat dat irjendeiner für dich määt?
Wie wöhr et, wemmer selver jet däät, wemmer die Zäng ens ussenander kräät? Wenn mir dä Arsch nit huhkrieje, ess et eines Daachs zo spät.
Du machst das Frühstücksfernsehen an und selbstverständlich wie die Wetterkarte kommt unter ferner liefen, wo sie wie viele Asylanten plattgemacht. Na klar, der Mob hat wieder randaliert, der Bürger applaudiert: “Die Kanaken sind schon umquartiert, die Nacht hat sich rentiert.“
Du denkst: Nur raus hier, was ist bloß passiert, dass keiner reagiert? Wieso kuscht ein ganzes Land, als wär es paralysiert?
Warst du das nicht, der seinem Vater nie das Stillhalten verzeihen konnte, weil der sich damals arrangiert hatte, bis er schließlich vor den Trümmern stand? Wie wär es, wenn du deine Ideale langsam mal vertreten würdest? Oder willst du im Ernst drauf warten, dass das irgendeiner für dich macht?
Wird wirklich Zeit, dass man selber was tut, dass man den Mund endlich aufbekommt! Wenn wir den Arsch nicht hochkriegen, ist es eines Tages zu spät.