Kiew brennt. Von Oleksandr Techynskyi, Aleksey Solodunov, Dmitry Stoykov (Arte, 26.02.2018, 23.25-00.50)

Von Fritz Wolf

Vier Jahre ist es her, dass auf dem Maidan mehr als 70 Menschen durch Scharfschützen starben und, wenig später, Präsident Janukowitsch gestürzt war– der Beginn dessen, was sich zu einem Krieg, jetzt einem wackligen Waffenstillstand und insgesamt zu einer europäischen Krise ausgewachsen hat. Drei junge Filmemacher haben in den Kämpfe auf dem Maidan gedreht. Arte zeigt den Film „Kiew brennt“ – ein unvergleichliches Dokument (Arte, 26.02.2018, 23.25-00.50)

Manchmal möchte man nicht mehr hinsehen. Aus den großen friedlichen Demonstrationen der Hundertausend wurden Schlachten zwischen Polizei und paramilitärisch ausgerüsteten Demonstranten. Brennende Barrikaden, martialische Schlachtordnungen wie im Mittelalter, vermummte Kämpfer mit Molotowcocktails. Autos werden angezündet, Polizisten verprügeln Demonstranten, Demonstranten verprügeln Polizisten. Die Kamersa der drei Filmemacher bewegen sich auf beiden Seiten. Gut und böse ist hier nicht auseinanderzuhalten. Immer wieder gerät eine Kamera ins Taumeln, dann wieder produziert sie Bilder von geradezu grotesker Schönheit. Das Feuer der Barrikaden und blau leuchtendes Eis auf den ausgebrannten Autos. Flackernde Feuer im gespenstischen Dunkel, dann wieder Menschen, die schattenhaft in den Feuersbrünsten tanzen, Steine werfen, schreien. Ein Polizist wird bewusstlos geschlagen, man hört Stimmen, „Schlagt ihn nicht“, aber sie schlagen ihn, „Ihr Dreckskerle“ schreit eine Demonstrantin die Schläger an, dann ruft jemand nach dem Notarzt. Menschen sterben. Einer wird weggetragen, „Leber und Lunge“ hört man einen der Ärzte sagen, die sich unter den Demonstranten bewegen, ein Freund spricht dem Sterbenden noch Trost zu „Du wirst hundert Jahre leben“. Ein verstörender und erschreckender Film – und ein unvergleichliches Dokument.

Am Ende dieses 21. Februar 2014 werden an die 80 Menschen auf dem Maidan tot sein. Woher die Scharfschützen kamen, ist bis heute nicht geklärt. Der Film befasst sich auch nicht mit dieser Frage. Dass auf beiden Seiten Waffen im Spiel waren, ist unbestritten, man sieht es auch in den Bildern dieses verstörenden Films. Der Film endet mit Bildern vom Maidan am nächsten Tag, wieder sind hundertausende auf dem Platz, die Toten werden in offenen Särgen durch die Menge und dann zu Grabe getragen.

„Kiew brennt“ hat die narrative Struktur einer Schlacht, die hin und herwogt und Schritt für Schritt eskaliert. Wir bekommen keinerlei Erklärungen, nicht über den Ablauf der Ereignisse, nicht über die Politik, die dahinter steht. Kein Kommentar, keine Einordnung. Nur schauen. Wir sehen Chaos und Blutvergießen. Wir spüren Zorn, der in Gewalttätigkeit umschlägt. Eine Spirale aus Gewalt und Gegengewalt. Ein Menetekel. Dies oder jenes kann man sich zusammenreimen. Wenn gleich eingangs des Films ein Mann Demonstranten anschreit, sie bräuchten einen Anführer, müssten sich organisieren und den rechten Zeitpunkt abwarten, dann hilft es, wenn man erkennt, dass es sich um Oleh Tjahnybok handelt, den Vorsitzenden der rechten Swoboda-Partei, deren Fahnen auch in reichlicher Zahl über den Platz wehen. Es waren vor allem die Mitglieder des paramilitärischen „Rechten Sektor“, die den Demonstrationen auf dem Maidan ihre militante und aggressive Wendung gaben und immer wieder schreien „Ukraine über alles“.

Was den Film über ein Schlachtengemälde hinaushebt, sind die immer wieder unglaublichen Kamerablicke auf Einzelne, auf Szenen und auf Gesichter. Sie unterlaufen die Faszination der Gewalt, die auch in den Bildern steckt. Als eine Lenin-Statue gestürzt und zerschlagen wird, klammert ein Mann sich an den Steinsockel, schaut nur um sich, entschieden hilflos, eine Barbarei sei das, sagt er und lässt sich nicht abdrängen. Er wird wüst beschimpft und bedroht, wird ohnmächtig, muss weggebracht werden und sagt noch: „Ihr sagtet, ihr seid friedlich“. Drei Priester, die sich zwischen die Fronten stellen mit ihren Kreuzen, Einstellung der Feuergefechte fordern und sich kein Gehör verschaffen können. Ein Mann dreht vor den brennenden Barrikaden durch, schlägt sich immer wieder mit den Händen gegen den Kopf. Ein militanter Demonstrant, der sich zu einem Sterbenden beugt, den Kopf zurückdreht und die Filmemacher anschreit: „Ruft einen Arzt, ihr Scheißfilmer.“ Harte Szenen, starke Eindrücke, verwirrend, verstörend, so kann keine Demokratie anfangen, mit so viel Hass, so viel Blut. Der Weg dieser Bilder führt direkt in die Ostukraine.

www.wolfsiehtfern.de

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