„Erzähl es niemandem“. Von Klaus Martens (ab 2.2.2017 in den Kinos)

Von Heike Heinrich

Ein Film über das Schweigen, das Verschweigen und den Aufbruch nach Jahrzehnten aus den Verkrustungen, die das Schweigen verursacht.  Und eine deutsch-norwegische Liebesgeschichte. 

Der Filmtitel sagt es schon. „Erzähl es niemandem“ ist eine Geschichte über das Schweigen. Das Unerzählbare liegt, wie so oft bei solchen Geschichten, in der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und betrifft eine ganze Familie. Geschichten dieser Art sind bekannt von Holocaustüberlebenden, die ihren Kindern und Enkeln, Freunden und Bekannten oft nicht erzählen können, was sie erlebt haben, weil es für das Erlebte, das Grauen und Erschüttern keine passenden Worte gibt. Weil man sich nicht erinnern möchte und durch das Erzählen die Schrecken nicht noch einmal erleben will. In diesem Film von Klaus Martens verhält es sich ganz anders. Das Schweigen beginnt mit einer Liebe, der großen Liebe für das ganze Leben und Glück. Und dennoch darf niemand davon erfahren, kann man die Eltern und das eigene Kind nicht daran teilhaben lassen, weil die Umstände unglücklich und leidvoll sind. Diese Liebe beginnt 1942 zwischen einer Norwegerin und einem deutschen Besatzungssoldaten.

Die dokumentarische Filmerzählung von Klaus Martens setzt 2009 ein, als Lillian Crott-Berthung die Asche ihres verstorbenen Mannes Helmut aus Deutschland nach Narvik bringt, um ihn dort zu beerdigen, wo sie sich kennen gelernt haben. So  haben sie es sich gegenseitig versprochen. Mit dieser Reise beginnt das Erzählen, endlich nach über 70 Jahren. Lillian Crott-Berthung befreit sich förmlich schreibend und sprechend von der Schweigsamkeit. Begleitet wird sie dabei von ihrer Tochter Randi Crott, die auf eigenen Wegen, nachdem sie erfahren hat, wer ihr Vater tatsächlich war und wie unmöglich eigentlich die Verbindung ihrer Eltern, forschend, in Archiven den Spuren des Vaters und der deutschen Großeltern nachgeht. Begleitet von der Kamera wird auch ihre Suche.

Der Film thematisiert die feindliche Übernahme Norwegens durch die deutsche Wehrmacht mit Hilfe von Propagandafilmen des Hitlerregimes und Wochenschauberichten. Nach 126 Jahren in Frieden und Unabhängigkeit wird das skandinavische Land erneut okkupiert. Die Norweger müssen ihre Radios und Autos abgeben, Häuser werden beschlagnahmt und besetzt, die Verwaltungen übernommen, der Alltag limitiert. Wie in allen besetzten Gebieten gibt es auch in Norwegen Deportationen der jüdischen Bevölkerung. Es bildet sich Widerstand. Aber es gibt, durch die vielen zivilen Freiräume auch häufig Begegnungen zwischen den deutschen Soldaten und norwegischen Frauen. So begegnen sich die 19jährige Lillian aus der Hafenstadt Harstad und der Soldat Hellmut Crott aus Wuppertal. Ihre junge Liebe wird zum ersten Mal auf die Probe gestellt als Lillians Familie von den Deportationen durch die Deutschen erfährt und der Tochter das Wiedersehen mit dem Geliebten verbietet. Lillian will Helmut aber selbst befragen. Sie will erfahren, was er weiß über den Vernichtungsfeldzug gegen die Juden und wie er darüber denkt. In diesem Augenblick vertraut Helmut seiner Lillian sein Leben und ein Geheimnis an. Seine Mutter Carola ist Jüdin. Im Moment noch geschützt durch die Mischehe mit dem arischen Vater. Er selbst Halbjude, verborgen unter dem Wehrmachtsmantel, noch unentdeckt. Und er nimmt Lillian das Versprechen ab, niemals mit jemandem darüber zu sprechen „Bitte, erzähl es niemandem.“ Lillian hält zu Hellmut und steht zu ihrem Versprechen. Bis ihre Tochter Randi 18 Jahre alt ist und vom Schicksal der Familie des Vaters und der Schwierigkeiten der Mutter wegen ihrer Liebe zu Helmut erfährt. Auch der Tochter wird das Versprechen zu schweigen abgenommen.

Erschwert wird die Beziehung von Lillian und Helmut durch das Erstarken der norwegischen Widerstandsbewegung, die norwegische Frauen, die mit deutschen Männern liiert sind, zu Verräterinnen erklärt. Lillian muss sich von ihren Eltern trennen, um bei Helmut sein zu können. Sie muss das Geheimnis hüten, weil Helmuts Mutter in Deutschland verhaftet und in ein Konzentrationslager gebracht wird. Sie kann den Eltern nicht von Helmuts Schicksal und dem seiner Familie erzählen, um ihn in ihren Augen und Herzen zu rehabilitieren. Und damit verliert sie auch die Hoffnung, je wieder Teil ihrer Familie werden zu können.

Als Helmut nach Kriegsende in Kriegsgefangenschaft gerät und mit der Auflage, nie wieder nach Norwegen einreisen zu dürfen, nach Deutschland zurück geschickt wird, muss Lillian auch ihre Heimat verlassen, damit aus der Liebe eine Ehe werden kann. Dafür nimmt sie eine gefährliche Reise von Harstad bis nach Wuppertal auf sich, eine Reise ins Ungewisse, deren Ausgang auch für sie schwere Konsequenzen bis hin zu Gefängnis in Norwegen bedeuten könnte, falls sie erwischt werden sollte.

All das erfährt der Zuschauer durch die Erzählungen von Lillian Crott-Berthung in der Rückschau, durch Fotos von Helmut, der das Schicksal seiner Familie nicht mehr selbst öffentlich machen kann, sein Geheimnis mit ins Grab genommen hat. Besonders beeindrucken die Briefe, die in der zweiten Hälfte des Films immer wieder in Auszügen verlesen werden. Es sind die Briefe von Helmuts Eltern nach Norwegen und seine Briefe nach Hause. Irgendwann kommt vom Vater die Nachricht, dass die Mutter abgeholt und mit einem Koffer auf einen Transport geschickt wurde. Ziel unbekannt.

Lillian geht in ihren Erinnerungen die gemeinsamen Wege der Liebe zu Helmut noch einmal ab. Vom Elternhaus und der Hütte im Schnee im hohen Norden führt der Weg über verschiedene Station bis zu ihrer Flucht nach Deutschland. Wir sehen sie in Wuppertal, wo sie Kontakt zu einer anderen Norwegerin mit ähnlichem Schicksal bekommen hat. Dazu recherchiert die Tochter zum Schicksal der Familie ihres Vaters und zum Verbleib der Großmutter. Später gibt es zum Weg der Großmutter in das Konzentrationslager Theresienstadt Zeugen, die ebenfalls auf dem Transport waren und sich erinnern. Begegnungen von Lillian mit ihrer Schwester wechseln mit Begegnungen bei ihrer Rückkehr nach Norwegen zum Grab des Mannes mit Erinnerungen an die Besatzer. Die Erzählung springt oft hin und her. Das ist zum Teil verwirrend gemixt.  Manchmal weiß man als Zuschauer nicht, wo in der Geschichte man sich befindet. Die Fülle des Materials erweist sich als Problem. Dem Film liegt ein Sachbuch zugrunde, das Randi und Lillian zwei Jahre nach dem Tod von Helmut geschrieben haben. So sind viele Momente nachbearbeitet und werden „nachgebaut“.

In jüngster Zeit haben fiktionale Stücke wie „Zwei Leben“ von Georg Maas (2012) oder „Max Manus“ von Espen Sandberg (2009) die Umstände der deutschen Besatzung in Norwegen, die Geschichte des norwegischen Widerstandes und das Schicksal vieler Kindere aus deutsch-norwegischen Beziehungen aufgenommen und sehr überzeugend thematisiert. Die Geschichte der „Lebensborn-Kinder“ ist durch Erika Fehses WDR-Dokumentation „Mein Vater der Feind. Deutschenkinder in Norwegen“ 2006 in Deutschland bekannt geworden. Ohne das Wissen um diese Dinge bleibt man hier und da beim Springen der Erzählung ein wenig zurück.

Dennoch weiß die Geschichte von Lillian und Helmut durchaus zu berühren und zu überzeugen. Vor allem dort wo Begegnungen nicht inszeniert sind, sondern historische Dokumente sprechen, gelingt eine starke dokumentarische Erzählung.

Warum das Schweigen so lange nach dem Krieg auf deutscher und norwegischer Seite anhalten musste, ist nochmal eine ganz eigener, kraftvoller Aspekt, der am Ende etwas kurz kommt. Es bleibt in Norwegen Verrat, und Frauen, die einen deutschen Mann hatten und vielleicht sogar gemeinsam Kinder, werden noch lange als „Deutschenflittchen“ angefeindet von ihren Landsleuten. Sie leben oft zurückgezogen, einsam und niemand weiß um  diese Vergangenheit. Familien sind darüber zerfallen. In Deutschland, vor allem in Westdeutschland bleibt die Schmach einer jüdischen Herkunft, besonders in kleinen Städten, noch lange bestehen, übernehmen Nazis wieder öffentliche Ämter. Niemand möchte an die Verbrechen erinnert werden. Niemand seine individuelle Schuld thematisieren. Verdrängung hält auch Lillians und Helmuts Geheimnis in Deutschland verborgen.

Der Film bietet damit ein Stück unausgesprochener europäischer Vergangenheit, die es noch gemeinsam zu bewältigen gilt. Er vermag die Geschichte der Familien Crott und Berthung eindrücklich und stellvertretend für das Schicksal anderer zu erzählen. Vor allem bietet er beeindruckendes dokumentarisches Material und sympathische Protagonistinnen.

Die Kamera von Fredrik Walker verbindet stimmungsvoll die Bilder der Nähe beim Erinnern  mit  großartigen Bildern der norwegischen Landschaft. Sie tragen die Geschichte voran. Der Schmerz Lillians über die Ferne ihrer Heimat wird greifbar. Am Ende versteht man, warum es so lange gebraucht hat, bis Lillian gemeinsam mit  ihrer Schwester endlich am Grab ihres geliebten Mannes trauern und von ihrem Leben erzählen kann.

wolfsiehtfern.de

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