Von Wolfgang Horn
Deutscher Herbst. Die Metapher für hausgemachten, für deutschen Terrorismus. Vor nunmehr vierzig Jahren. Wir erinnern uns. Die RAF ermordet ihre Geisel Hanns Martin Schleyer. Kanzler Schmidt empfindet Mitschuld, Bundespräsident Scheel bittet die Hinterbliebenen um Vergebung. Die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim bringen sich um.
Doch zwischenzeitlich haben andere Gewalttaten und Gewalttäter den Begriff des Terrorismus bestimmt, geformt. Der NSU, der nationalsozialistische Untergrund mit seiner Mordspur und den Attentaten auf ausländische und Mitbürger ausländischer Herkunft, der islamistische Terror mit seinen vielen willkürlich-zufälligen Opfern. Rassistisch-xenophob der eine, religiös verbrämt der andere.
Das 423-seitige Buch von Wolfgang Kraushaar ist eine spannend zu lesende Mischung aus, wie Christoph Dorner am 25. Oktober in der Süddeutschen Zeitung schrieb, „nacherzählter Zeitgeschichte, der Kulturgeschichte des Linksterrorismus und Kompendium, das den sozialwissenschaftlichen Forschungsstand über die RAF bündelt“. Kraushaar diskutiere einmal mehr „die Faktoren, die Frauen, Anwälte und das religiöse Sendungsbewusstsein einiger Mitglieder für die Terrorgruppe gespielt haben“.
Kraushaar beschreibt nicht chronologisch, vielmehr anhand analytischer Kriterien. Er zeichnet nach, wie die RAF von Schlüsselfiguren aus Feldern und Randzonen der 68er-Bewegung erdacht und gebildet wurde, wie sich der Übergang von der subversiven Aktion zum bewaffneten Kampf vollzog.
Kein Untergrund-Krimi, dafür ein sehr gut aufbereitetes Sachbuch über die RAF, dessen Lektüre für Kenner und Laien gleichermaßen erhellender ist als ein reißerisch aufgemachter Historienkrimi. Ungewöhnlich kenntnisreich, verständlich geschrieben, mit einem umfänglichen Anhang und Fußnotenapparat zur Vertiefung. Manche Dopplung hätte der Autor noch vermeiden und so den Umfang durchaus etwas reduzieren können.
Wolfgang Kraushaar: Die blinden Flecken der RAF. Verlag Klett-Cotta Stuttgart 2017, 423 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.