Volks­hoch­schu­len und Bi­blio­the­ken: Syn­er­gi­en zwi­schen Dorf und Glo­bus

Dem blog.wegweiser-kommune.de der Bertelsmann Stiftung entnehmen wir diesen Beitrag von Christoph Köck vom 03. Juli 2017. Dr. Chris­toph Köck, geb. 1962, ist ge­lern­ter Volks­kund­ler und be­ob­ach­tet seit vie­len Jah­ren, wie Men­schen (mit­ein­an­der) ler­nen. Nach Ar­beits­jah­ren im Mu­se­um und an Uni­ver­si­tä­ten fass­te er in der Er­wach­se­nen­bil­dung Fuß… 

Volks­hoch­schu­len und Bi­blio­the­ken: Syn­er­gi­en zwi­schen Dorf und Glo­bus

Von Chris­toph Köck

Volks­hoch­schu­len und Bi­blio­the­ken sind kom­mu­na­le Bil­dungs­ein­rich­tun­gen, denen im Kon­text der sich di­gi­ta­li­sie­ren­den Ge­sell­schaft von man­chen Sei­ten ein „dis­rup­ti­ves Po­ten­zi­al“ vor­her­ge­sagt wird. Unter Volks­hoch­schul­pro­fis wird eif­rig darum ge­strit­ten, ob und in­wie­weit die neuen For­men der me­dia­len Ver­net­zung und die di­gi­ta­le Trans­for­ma­ti­on von Wis­sen und Bil­dung die Exis­tenz der tra­di­tio­nel­len Ein­rich­tun­gen ge­fähr­den. Was spricht dafür? Ganz of­fen­sicht­lich ist: seit es Bab­bel, Udemy, Youtube und Co. gibt, brau­chen an Spra­chen In­ter­es­sier­te nicht mehr un­be­dingt einen „ech­ten Leh­rer“, um sich Eng­lisch oder Sans­krit bei­zu­brin­gen. Es geht zwei­fels­frei – wenn auch an­ders – über das Netz. Auch Teil­neh­me­rIn­nen von Be­we­gungs­kur­sen – über Jahre ein boo­men­der Be­reich in der VHS – kön­nen heute al­lein oder zu­sam­men mit Gleich­ge­sinn­ten im hei­mi­schen Wohn­zim­mer – vor einem vo­lu­mi­nö­sen Flatscreen und mit Hilfe von Por­ta­len wie yogaEasy.​de – ihren Kör­per und Geist trai­nie­ren. Und auch Malen ler­nen geht mitt­ler­wei­le ganz or­dent­lich mit Hilfe des In­ter­nets. Selbst Bob Ross tum­melt sich mit sei­nem Kanal „Joy of pain­ting“ auf Youtube, so dass wir nicht ein­mal mehr das ARD-Al­pha-Nacht­pro­gramm ein­schal­ten müs­sen, um beim Guru der an­tiabs­trak­ten Ma­le­rei etwas ab­zu­schau­en. Und wenn wir ein an­de­res (ehe­dem) gro­ßes Ar­beits­feld der Volks­hoch­schu­len be­trach­ten, den EDV-Un­ter­richt, dann zeigt sich auch hier: ein bis drei ge­goo­gel­te Schlag­wör­ter rei­chen aus, um her­aus­fin­den, wie das so geht mit dem Se­ri­en­brief.

Bi­blio­the­ken ste­hen vor an­de­ren, nicht min­der gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Wenn es nor­mal läuft, wer­den in ab­seh­ba­rer Zu­kunft sämt­li­che pu­bli­zier­ten Texte und Me­di­en on­line ab­ruf­bar sein. Der Zu­gang ist dann zwar mit­un­ter kost­spie­lig, al­ler­dings hoch­gra­dig be­quem: ich muss mein Sofa nicht mehr ver­las­sen, um mir ein Buch oder sogar eine alte Hand­schrift zu ver­schaf­fen. Und so man­cher fin­di­ge Mit­bür­ger stellt na­tür­lich die Frage: warum es dann nicht ein­fach nur noch EINE Bi­blio­thek geben könn­te, die wie bis­her den nied­rig­schwel­li­gen, kos­ten­güns­ti­gen Zu­gang zu Bü­chern und Me­di­en ge­währ­leis­tet, nur jetzt dann eben on­line, immer und von über­all aus zu­gäng­lich und be­stückt mit einem all­um­fas­sen­den An­ge­bot im vir­tu­el­len Regal.

Bi­blio­the­ken und Volks­hoch­schu­len sind nicht nur Kos­ten­fak­to­ren

Vor dem Hin­ter­grund die­ser Ent­wick­lun­gen stel­len sich viele Po­li­ti­ke­rin­nen und Po­li­ti­ker gern vor, dass mit On­line-An­ge­bo­ten in Zu­kunft viel Steu­er­geld ein­zu­spa­ren sei. Städ­te, Ge­mein­den und Land­krei­se iden­ti­fi­zie­ren im Zuge der Sa­nie­rung ihrer Haus­hal­te und im Kon­text von „Schul­den­brem­sen“ so­ge­nann­te „Kos­ten­fak­to­ren“, und dazu zäh­len neben Schwimm­bä­dern oft­mals auch Bi­blio­the­ken und Volks­hoch­schu­len. Ob diese im Saldo tat­säch­lich Kos­ten­fak­to­ren sind, ist ganz und gar nicht ge­klärt, denn der Wert bei­der Ein­rich­tun­gen, der darin liegt, Men­schen im Bil­dungs­pro­zess zu un­ter­stüt­zen, ist de­fi­ni­tiv nicht quan­ti­fi­zier­bar, auch nicht mit Hilfe von De­ep-Learning-Al­go­rith­men. Nur dass John F. Ken­ne­dy Recht hatte als er sagte: „Es gibt nur eins, was auf Dauer teu­rer ist als Bil­dung: Keine Bil­dung“, ist mitt­ler­wei­le un­um­strit­ten. Lei­der schlie­ßen den­noch in so man­chen Orten die klei­ne Ge­mein­de­bi­blio­thek um die Ecke oder die vhs-Ne­ben­stel­le. Üb­ri­gens nicht nur aus Kos­ten­grün­den, son­dern auch, weil sich nicht mehr ge­nü­gend Eh­ren­amt­li­che für die Auf­recht­er­hal­tung des Be­triebs fin­den.

Nun fei­ern die Volks­hoch­schu­len in 2 Jah­ren ihr 100jäh­ri­ges Be­ste­hen (man­che sind älter oder jün­ger, aber sehr viele wur­den als kom­mu­na­le In­sti­tu­tio­nen zu Be­ginn der Wei­ma­rer Re­pu­blik ge­grün­det), und es wäre ja be­mer­kens­wert, wenn aus­ge­rech­net um die­ses Ju­bi­lä­um herum der Nie­der­gang der VHS ein­ge­läu­tet würde.

Warum gehen die Men­schen zur Volks­hoch­schu­le?

Es gibt indes hand­fes­te Grün­de, die für eine er­folg­rei­che Zu­kunft der Volks­hoch­schu­len spre­chen: bun­des­weit zäh­len die gut 900 Ein­rich­tun­gen mit mehr als 3000 Ne­ben­stel­len seit Jah­ren um die 9 Mil­lio­nen Teil­nah­men (vhs-Sta­tis­tik 2015). Der In­dex­wert der Kurs­be­le­gun­gen liegt – ge­mes­sen an der ver­meint­li­chen Blü­te­zeit der VHS im Jahr 1980 – heute bei 140%. Von Dis­rup­ti­on ist bis­lang nicht wirk­lich etwas zu spü­ren. Ver­ant­wort­lich sind hier­für vor allem die neuen Ar­beits­fel­der, die Volks­hoch­schu­len in den ver­gan­ge­nen Jah­ren über­nom­men haben, ins­be­son­de­re im Be­reich der Bil­dungs­in­te­gra­ti­on. Und das ist es nicht nur, was den Reiz der VHS aus­macht. „Warum gehen die Men­schen zur Volks­hoch­schu­le?“ frag­te eine ganz fri­sche (noch nicht pu­bli­zier­te) Image­stu­die des Deut­schen Volk­hoch­schul-Ver­ban­des. Und siehe da: die räum­li­che Nähe zum Lern­ort ist der wich­tigs­te Grund, den die Be­frag­ten äu­ßer­ten. Und was wir auch wis­sen: viele Men­schen ler­nen gern mit an­de­ren zu­sam­men und freu­en sich über die mo­ti­vier­ten und mo­ti­vie­ren­den vhs-Kurs­lei­te­rIn­nen. Es geht also um so­zia­les Ler­nen.

Volks­hoch­schu­le: Die „kom­mu­na­le Schwes­ter“ der Bi­blio­thek

Der Wunsch nach räum­li­cher und per­sön­li­cher Nähe be­för­dert den Ge­dan­ken von der In­no­va­ti­ons­kraft öf­fent­li­cher Bil­dungs­ein­rich­tun­gen auf dem Land, wor­auf Wibke Lad­wig in ihrem Blog­bei­trag vom 6. Juni 2017 auf­merk­sam ge­macht hat. Wibke Lad­wig sieht die Bi­blio­the­ken als Agen­tu­ren der kom­mu­na­len Wis­sens­ver­net­zung mit all den Mög­lich­kei­ten, die die Ein­bin­dung vir­tu­el­ler Zu­gän­ge er­öff­net (Co-Working- und Co-Learning-Spaces, Ma­ker-Spaces). Das ist ein reiz­vol­ler und sehr wei­ter füh­ren­der Ge­dan­ke, und alles, was Lad­wig als Vi­si­on ent­wirft, trifft auch für die (nicht er­wähn­te) Volks­hoch­schu­le zu, die „kom­mu­na­le Schwes­ter“ der Bi­blio­thek. Zwei Ein­rich­tun­gen auf ähn­li­chem Feld, mit un­ter­schied­li­chen Ex­per­ti­sen un­ter­wegs, wir­ken im Ide­al­fall syn­er­ge­tisch: es gibt dazu eine Reihe guter städ­ti­scher Vor­bil­der, wie etwa das Bil­dungs­zen­trum in Nürn­berg, das RW21 in Bay­reuth oder das ZIB in Unna. Die Ar­beits­tei­lung zwi­schen VHS und Bi­blio­thek könn­te idea­ler­wei­se dort an­knüp­fen, wo die of­fen­sicht­li­chen Stär­ken der In­sti­tu­tio­nen lie­gen: Bi­blio­the­ken brin­gen ihre aus­ge­wie­se­ne Ex­per­ti­se für gute (Lern-)In­hal­te mit, die in der di­gi­ta­li­sier­ten Ge­sell­schaft mehr denn je ge­fragt ist. Sie wir­ken neu­deutsch ge­spro­chen als „Con­tent-Con­sul­tants“ in einer zu­neh­mend un­über­sicht­li­chen Me­di­en­welt. Und Volks­hoch­schu­len kom­men als Spe­zia­lis­ten für The­men­fin­dung und Lern­pro­zess­ge­stal­tung mit ins Boot. Sie haben eine di­dak­ti­sche Ex­per­ti­se im Ge­päck, die un­be­dingt wert­voll für ein ge­deih­li­ches er­wei­ter­tes Bil­dungs­kli­ma ist.
Dass in die­sem kom­mu­na­len Ver­bund ein tech­nisch funk­tio­nie­ren­des und recht­si­cher nutz­ba­res Netz eine ent­schei­den­de Rolle spielt, liegt auf der Hand. Schnel­les und of­fe­nes W-LAN über­all ist für die länd­li­chen Re­gio­nen in Deutsch­land die (alles ent­schei­den­de) Schlüs­sel­tech­no­lo­gie der nächs­ten Jahr­zehn­te.

Bi­blio­thek und VHS: Ge­mein­sam für ein lo­ka­les In­no­va­ti­ons­kli­ma

Die im­ma­nen­te In­no­va­ti­ons­kraft von Bi­blio­thek und VHS steht in die­sem Pro­zess, in dem ana­lo­ge und vir­tu­el­le Modi zu­ein­an­der ge­bracht wer­den, außer Frage. Die Bi­blio­the­ken haben erste große Schrit­te zur Vir­tua­li­sie­rung der Be­stän­de und der Aus­lei­he un­ter­nom­men und vor mitt­ler­wei­le 10 Jah­ren die On­lei­he in Gang ge­bracht. Wer sich ak­tu­ell ein­mal dort­hin be­gibt, wird (über­rascht) fest­stel­len, dass mitt­ler­wei­le über 3000 Bi­blio­the­ken mit ihren vir­tu­el­len Be­stän­den mit­ein­an­der ver­netzt sind. Die Volks­hoch­schu­len haben ih­rer­seits – nach­dem die ers­ten Ver­su­che An­fang der „Nul­ler­jah­re“ schief gin­gen, das In­ter­net als Lern­raum neu ent­deckt. Seit 2015 for­ciert der Deut­sche Volks­hoch­schul-Ver­band das Pro­gramm „Er­wei­ter­te Lern­wel­ten für Volks­hoch­schu­len in Deutsch­land“, mit der Ziel­set­zung, die päd­ago­gi­schen Vor­tei­le ana­lo­ger und vir­tu­el­ler Lern­um­ge­bun­gen mit­ein­an­der zu ver­knüp­fen. Die gro­ßen vhs-Lern­por­ta­le „ich-will-lernen.​de“ und „ich-will-deutsch-lernen.​de“ un­ter­stüt­zen schon seit mehr 10 Jah­ren die Men­schen beim Er­werb von Grund­bil­dung und Spra­chen.

Etwas wei­ter und nach Vorn ge­dacht ent­steht mit sol­chen hy­bri­den Schwer­punkt­set­zun­gen die in­stru­men­tel­le Basis für ein schlag­kräf­ti­ges lo­ka­les In­no­va­ti­ons­kli­ma. Volks­hoch­schu­len und Bi­blio­the­ken ste­hen für eine Bil­dungs­tra­di­ti­on, die sich der Welt öff­net. Sie sind Trans­fer- und Ver­net­zungs­agen­tu­ren zwi­schen Dorf und Glo­bus und soll­ten daher nicht am Rand, son­dern im Zen­trum des kom­mu­nal-po­li­ti­schen Agie­rens ste­hen. Sol­len Trans­fer und Ver­net­zung ge­lin­gen, ist es von gro­ßem Vor­teil, hier sys­te­ma­tisch zu­sam­men zu wir­ken und wei­te­re lo­ka­le und re­gio­na­le Ak­teu­re in das In­no­va­ti­ons­han­deln ein­zu­bin­den: Schu­len, Mu­se­en, Ar­chi­ve, Me­di­en­zen­tren, Ver­ei­ne, Kir­chen, Kul­tur- und Film­büh­nen, In­itia­ti­ven, Un­ter­neh­men sowie en­thu­si­as­ti­sche Ein­zel­per­sön­lich­kei­ten.

((C) Beitragsfoto: Stadtbibliothek und Volkkshochule Bayreuth, commons.​wikimedia.​org, Pu­blic Do­main)

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