“Ein Buch zum Nachschlagen und Stöbern!”

 

 

Mit freundlicher Genehmigung des Waterbölles, des kommunalpolitischen Forums für Remscheid, veröffentlichen wir den nachfolgenden Beitrag von Hartmut Demski zu einer Publikation über die Geschichte des Kirchenkreises Lennep:

Von Superintendent Hartmut Demski*

Der Kirchenkreis Lennep geht in seinem derzeitigen geographischen Bestand zurück auf den Landkreis Lennep, eine Schöpfung der preußischen Administration. Inzwischen hat die geschichtliche Entwicklung diese Struktur überholt. Wenn wir uns heute irgendwo als Mitarbeiter des Kirchenkreises Lennep vorstellen, ist das schon manchmal erklärungsbedürftig; denn so allgemeiner Bekanntheit erfreut sich Lennep nicht. So verwundert es nicht, dass es vor einigen Jahren im Rahmen des Leitbildprozesse in unserer Kreissynode Überlegungen gab, einen anderen Namen für den Kirchenkreis zu wählen: vorgeschlagen war u.a. ‚Kirchenkreis im Bergischen Land‘ oder ‚Kirchenkreis an der Wupper‘. Doch keiner der Vorschläge fand eine Mehrheit, und so feiern wir heute den Geburtstag eines Kirchenkreises, der zwar seine Grenzen deutlich verändert hat, aber noch immer auf den gleichen Namen hört: der Kirchenkreis Lennep.

Wolfgang Motte hat auf unsere Bitte hin zur Geschichte des Kirchenkreis eine Chronik veröffentlicht, die ab heute erhältlich ist: „Evangelisch im Bergischen Land – Der Kirchenkreis Lennep und seine Gemeinden”. Ich habe die große Freude, Ihnen dieses neue Buch heute vorstellen zu können und damit einige Einblicke in die 200 jährige Geschichte des Kirchenkreises zu ermöglichen.

„Evangelisch im Bergischen Land. Der Kirchenkreis Lennep und seine Gemeinden 1817-2017“, ISBN 978-3-945763-41-4, 1.Auflage August 2017, Copyright 2017 – Ev. Kirchenkreis Lennep – Wolfgang Motte. Herausgeber: Evangelischer Kirchenkreis Lennep, Autor: Wolfgang Motte, Konzeption: Hartmut Demski, Wolfgang Motte.

Gesamtherstellung und Vertrieb: Bergischer Verlag, RS Gesellschaft für Informationstechnik mbH & Co. KG, Verleger Arndt Halbach, Martin Czialla, Auf dem Knapp 35, 42855 Remscheid, www.bergischerverlag.de, E-Mail: info@bergischerverlag.de.

*Gestern stellte Hartmut Demski beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenkreises Lennep im Vaßbendersaal am Remscheider Markt das neue Buch „200 Jahre Evangelischer Kirchenkreis Lennep“ von Wolfgang Motte vor.

Wolfgang Motte war bis zu seiner Pensionierung Pfarrer in der reformierten Kirchengemeinde Radevormwald und zugleich Assessor des Kirchenkreises Lennep. Schon immer geschichtlich interessiert hat er sich vor allem nach seiner Pensionierung intensiver mit der Kirchengeschichte unserer Region befassen können. Als Synodalbeauftragter für die Archivarbeit im Kirchenkreis hat er damit begonnen, sich mit der alten Schrift und dem Lesen alter Pläne und Dokumente vertraut zu machen. Schon das ist manchmal eine Aufgabe für sich. Eine seiner ersten Veröffentlichungen war dann die kommentierte Herausgabe der Synodalprotokolle der Kreissynoden des Kirchenkreises aus den ersten 36 Jahren, also von 1817 bis 1843. Weitere Untersuchungen und Darstellungen schlossen sich an, so dass das jetzt erschiene Buch die Arbeit der vergangenen 20 Jahre abrundet.

Die Themen „Trauerhaus Emmaus”, der Leitbildprozess, aktuelle ökumenische Entwicklungen und „Die Stiftung Tannenhof in der NS Zeit” sind von Johannes Haun beigetragen worden. An den aktuellen Abschnitten hat er als Pfarrer in der Kirchengemeinde bei der Stiftung Tannenhof selbst teilgehabt, den Rückblick auf die NS Zeit hat er im Zusammenhang der Aufarbeitung dieser Thematik durch die Stiftung Tannenhof erarbeitet.

Michael Müller hat neben einer peniblen Korrekturarbeit viele Anregungen zum Entstehen des Buches und zu der Gesamtkonzeption gegeben. Nicht zuletzt verdankt das Buch seine schöne äußere Gestaltung, die lesefreundliche Darstellung und die einladende Aufmachung der sehr hilfreichen Begleitung durch den Bergischen Verlag, der uns als Neulingen in der Herausgabe solch eines Werkes von großer Bedeutung war. Insbesondere der Buchherstellung von Herrn Bruchhaus sowie der Verlagsleitung, Thomas Halbach, verdanken wir hier viele gute Anregungen und Ideen.

Das Buch bietet überraschende Einblicke in die Detailfragen gemeindlichen Lebens, ohne die großen historischen Zusammenhänge aus den Augen zu verlieren. Es ist keine Kirchenkreisdarstellung, wie es sie früher einmal gab, wo es für Kirchenkreis und Gemeinden jeweils eigene Kapitel gab. Sondern es zeichnet Themen und Einzelfragen ein in die Gesamtentwicklung und zeigt die Zusammenhänge auf. Es ist eine der Grundentscheidungen des Autors, dass er differenzierte Entwicklungen nicht verkürzt und die Zusammenhänge nie aus dem Auge verliert.

Farbig unterlegte Einzeldarstellungen über Personen und Ereignisse unterbrechen gelegentlich die Gesamtdarstellung, um einzelne Punkte zu vertiefen. Das sehr ausführliche und differenzierte Inhaltsverzeichnis macht es möglich, einzelne Themen bewusst herauszusuchen und thematische Linien durch die 200 Jahre zu verfolgen. Einige Blicke in die Details:

Wissen Sie z.B., was ein Synodalkolporteur ist? Ich wusste es nicht. Den Begriff Kolporteur verband ich mit jemandem, der Gerüchte verbreitet oder Informationen weitergibt. Doch im 19. Jahrhundert bezeichnete man als Kolporteure auch solche Menschen, die von Haus zu Haus gingen, um Bibeln und Traktate zu verkaufen. Sie kamen zunächst von der Bergischen Bibelgesellschaft, 1905 aber beantragte die Kirchengemeinde Wermelskirchen die Einrichtung einer Synodalkolportage für den ganzen Kirchenkreis. Dem Antrag wurde entsprochen, und in den Folgejahren hat ein in Wermelskirchen ansässiger Bücherbote die Gemeinden des Kirchenkreises aufgesucht und Bücher, Bilder und Spruchkarten zum Verkauf angeboten. In Wermelskirchen hatte er dann einen Laden mit Schaufenster eingerichtet, bevor 1912 festgestellt wurde, dass keine Nachfrage mehr bestünde und die Synodal-Kolportage damit vollständig eingegangen sei.

Ein anderes Detail wirft einen erhellenden Blick auf die Situation der Ökumenischen Beziehungen im Laufe der Zeit: Pfarrer Johann Heinrich Hoefer aus Radevormwald war der reformierte Vertreter, der 1817 vom Konsistorium beauftragt wurde, mit dem lutherischen Pfarrer aus Lennep gemeinsam zur ersten Kreissynode einzuladen und damit die Union zu vollziehen. Er war theologisch eher liberal eingestellt und scheint, wie die überwältigende Mehrheit der Gemeindeglieder, die Union gewollt und unterstützt zu haben. Seine ökumenische Weite wird in einem sehr privaten Zusammenhang erkennbar: Bei der Trauung seiner Tochter in Rade hat er drei Trauzeugen um ihre Mitwirkung gebeten: nämlich seinen reformierten Kollegen in Rade, den lutherischen Kollegen und den katholischen. Über den Verlauf der Ehe wissen wir allerdings nichts Näheres.

Das Buch ermöglicht nun auch, die weitere Entwicklung der ökumenischen Beziehungen zu betrachten, die hier zur Zeit des Jahrhundertbeginns offensichtlich recht unbeschwert waren. Das blieb allerdings nicht so; schon um die Mitte des Jahrhunderts beschwerten die Fragen der religiösen Kindererziehung, neue katholische Dogmen und schließlich der Kulturkampf das Verhältnis schwer. In Remscheid muss ein katholischer Pfarrer in diesem Zusammenhang besonders anfechtbare Äußerungen von sich gegeben haben; zwei ev. Kollegen, unter ihnen Friedrich Wilhelm Thümmel, schössen mit scharfen Worten zurück, so dass es sogar zu Klagen wegen „Beschimpfung der katholischen Kirche” kam. Thümmel wurde zunächst zu neun Monaten Gefängnis verurteilt, dann aber wurde das Urteil auf sechs Wochen reduziert, weil nur vier der insgesamt 13 angezeigten beschimpfenden Ausdrücke wirklich strafrechtlich zu belangen seien. Die Remscheider Gemeindeglieder erklärten ihre Solidarität mit dem Verurteilten, der Assessor nahm vor der Synode Partei für ihn, aber es half alles nichts. Über ein Jahr später besuchte der Erzbischof Remscheid im Rahmen einer Firmung. Da fand sich eine aufgebrachte Menge ein, die bei seinem Empfang skandierte  „Hoch lebe Thümmel, der Erzbischof ist ein Lümmel”.

Das heutige Verhältnis zwischen evangelischen und katholischen Gemeinden ist durch eine Vielzahl von gemeinsamen Aktivitäten und regem Austausch der Amtsträgerinnen gekennzeichnet. Die Notfallseelsorge, das interreligiöse Gespräch, die ökumenische Hospizarbeit, der Flair-welt-Laden, dazu Initiativen wie die ökumenischen Vereinbarungen, die ‚Nacht der offenen Kirchen‘ oder die Friedengebete verweisen auf die gegenseitige Bereicherung und das gemeinsame Tun.

Sagt Ihnen das „Bergische Alumnat” etwas? Für mich war es neu, dass etwa seit 1902 in Lennep ein evangelisches Schülerheim existierte, das Schülern von der 5. Klasse aufwärts, auch aus ferner gelegenen Orten, die Möglichkeit zum Schulbesuch mit Internatsanschluss anbot. Nach dem Synodalbericht 1902 wohnten hier 25 Schüler. Im Schuljahr 1913/14 war Heinz Rühmann mit seinem Bruder Schüler des Alumnates, da die Jungen in dem elterlichen Hotel in Essen keine Bleibe fanden. (…)

Bekannt klingt heutigen Synodalen eine Klage von 1922: Auf der Synode von 1922 wurde beklagt, dass die Kreissynodalverhandlungen „für die weitaus größte Mehrzahl unserer Gemeindeglieder völlig bedeutungslos” seien. Offensichtlich änderte sich daran auch in den nächsten Jahren nichts. Auf der Synode vom 1. Juni 1927 befasste sich Pfarrer Hermann Pollmann aus Radevormwald mit der Frage: „Wie kann die Tagung der Kreissynode für die Ortsgemeinde fruchtbar gemacht werden?” Pollmann schlug vor, den Ablauf künftiger Tagungen so zu gestalten, dass sie „den Gemeinden und Gemeindegliedern ‚die Kirche’ nahebringen, [und] sie ,die Kirche’ sehen und erleben”. Am Vorabend des eigentlichen Verhandlungstages sollte ein „festlich gestalteter Gottesdienst” stattfinden.

In manchen theologischen Fragen zeigt sich eine Zweiteilung des Kirchenkreises, die ich heute nicht mehr so wahrnehme: Immer wieder stimmen die Synodalen aus Remscheid und Lüttringhausen, zumeist mit Lennep, in einem liberalen-rationalistischen Sinne ab, während die Gemeinden in den Orten Hückeswagen, Radevormwald und Wermelskirchen eher pietistisch orientiert votieren. Superintendent Lauff brachte diesen Zweispalt einmal mit den an den Orten vertreten Berufsbildern zusammen: In Remscheid, da ist der Stahlarbeiter in konzentrierter Arbeit bemüht und muss genau hinschauen, sonst verletzt er sich, in Lennep haben wir die liberalen Tuchfabrikanten, während in den umliegenden Städten und Dörfern der Weber viel Zeit hat, das entstehende Werk zu beobachten und seinen eigenen Gedanken nachzuhängen.

In der NS Zeit schweigen die Protokolle der Kreissynode. (…) Einzelne tapfere Persönlichkeiten werden erkennbar, die auch zu den tragenden Säulen der Bekennenden Kirche im Rheinland gehörten: ich nenne hier als Beispiel nur den Remscheider Fabrikant Gustav Theill, der auch an der Barmer Bekenntnissynode teilnahm und im Mai 1936 in seiner Fabrikhalle alle Mitglieder von Bruderräten und Bekenntnispresybterien der Kreissynode Lennep versammelte. Wie zur Wiederlegung der oben genannten Zweiteilung des Kirchenkreises ist er ein pietistisch geprägter Vertreter der Remscheider Gemeinde und gehörte zum Gnadauer Verband. Sein Sohn hat später lange als Kirchenmusiker in Remscheid gewirkt.

Die Chronik nennt weitere interessante Persönlichkeiten aus der Geschichte des Kirchenkreises. (…) Da wird z.B. auch der einzige evangelische Bischof des Rheinlandes erwähnt, Heinrich Joseph Oberheid. Geboren und aufgewachsen in Mülheim, Vikar in Rade lutherisch und 1931 und 1932 auf der Lenneper Kreissynode zugegen, wurde er 1933 Führer der Deutschen Christen im Rheinland und SA-Sturmführer. Ende 1933 wurde ihm das von der deutsch-christlichen Kirchenleitung geschaffene Bischofsamt im Rheinland übertragen, das aber rechtlich nie anerkannt wurde.

Für die Jahre nach 1945 berichtet die Chronik von der Wieder- oder Neuerrichtung zahlreicher Kirchen; Presbyterien und Kreissynoden werden neu gebildet. Schon 1955 klagt der Superintendent, „dass viele Gemeinden Mühe gehabt hätten, die freiwerdenden Presbyter-Stellen durch Neuwahl zu besetzen. Und er fügt hinzu: „Hier zeigt sich eine große Not unserer Gemeinden, dass wir nicht genügend lebendige Kräfte unter der evangelischen Männerwelt haben.”

Es konnten inzwischen auch Frauen zu Presbyterinnen gewählt werden, doch bis es hier zu einer breiten Durchbrechung der Tradition kam, dauerte es noch lange. Die Chronik geht dieser Entwicklung sorgfältig nach. (…)

Viele Bilder … laden zum genaueren Nachlesen ein. Die Gemeinden waren gebeten worden, eine Bildauswahl zur Verfügung zu stellen. Darauf haben wir bei der Bucherstellung zurückgegriffen. Neben den Einzelbildern gibt es mehrere Bildtafeln zu Themen wie: „Auf unseren Kirchtürmen”, Partnerschaften, Friedhöfe im Kirchenkreis, Orgeln, Neue Kirchen, Schmetterlinge. Alle Siegel der 18 Gemeinden sind aufgeführt und zum Teil erklärt, dazu die Logi der Kirchengemeinden. Einige Übersichten verdeutlichen Gemeindegrenzen und Statistiken.

Ein Buch zum Nachschlagen und Stöbern, zum Durchblättern und Verschenken, – und eine Dokumentation der Geschichte unseres Kirchenkreises, vor Irrwegen nicht gefeit, mit Wiederholungen vertraut, nicht immer lernbereit aus seine Fehlern, doch vereint in der Suche nach Gottes Wort und Wegweisung durch die Zeit. Ich bin dankbar und froh, dass wir dieses Buch haben und seine Gedanken und Erinnerungen bewahrt haben. Herzlichen Dank allen, die daran mitgewirkt haben:

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