„Verliebt, verlobt, verloren“. Von Sung-Hyung Cho (HR, So 10.09.2017, 01.30-03.00)

Von Fritz Wolf

Das ist auch das Schöne am Dokumentarfilm: dass er uns Geschichten erzählt, von denen wir noch nie gehört haben. „Verliebt, verlobt, verloren“ ist eine solche Geschichte. Es geht um deutsch-nordkoreanische Paare, die sich in der DDR kennengelernt haben und denen die Weltgeschichte voll ins Privatleben pfuschte. (HR, So 10.09.2017, 01.30-03.00)

Der Koreakrieg war noch nicht zu Ende, da beschloss 1952 die nordkoreanische Regierung , Studenten ins Ausland zu schicken. Das Land brauchte dringend Spezialisten. An DDR-Universitäten bildeten Studenten aus Nordkorea eines der größten Ausländer-Kontingente, sie studierten in Leipzig, Jena, Rostock, Ilmenau. Nicht in Berlin, wegen der offenen Grenze. Es muss eine Verbundenheit gegeben haben, weil beide Staaten geteilt waren und eine Welle der Solidarität. Nach China und Russland war die DDR das dritt-größte Geberland. Wer weiß davon heute noch?

Jedenfalls: insgesamt 345 Studenten kamen und sie studierten nicht nur. Sie knüpften auch Beziehungen mit jungen Frauen. Deutsch-nordkoreanische Liebespaare waren gar nicht so selten, es kamen Kinder auf die Welt. Dann griff wieder die Weltgeschichte ein. Der Konflikt innerhalb des sozialistischen Lagers vertiefte sich, Sowjetunion versus China, mit den jeweiligen Verbündeten. 1962 zog die nordkoreanische Regierung von heute auf jetzt alle Studenten aus Ländern zurück, die sich der Sowjetunion angeschlossen hatten. Viele Paare versuchten erfolglos, die Partnerschaften oder Ehen fortzuführen, durch Umzug nach Nordkorea oder durch Aufenthaltsverlängerung in der DDR. Sogar Briefverkehr wurde unterbunden.

Die Geschichte der zerrissenen Paare hat nun die aus Südkorea stammende, in Hessen lebende Filmregisseurin Sung-Hyung Cho aufgegriffen. Eine ihrer Schlüsselfiguren ist Re-nate Hong, deren Geschichte auch in Südkorea bekannt ist, als eine schöne und sehr traurige Liebesgeschichte. Aber sie ist nicht allein, obwohl alle lange gedacht hatten, es hätte nur sie getroffen. In Sung-Hyung Chos Film erzählen einige der Frauen ihre Ge-schichte. Viel ist ihnen nicht geblieben. Erinnerungen an schöne Tage und den schmerzlichen Abschied, einige Schwarz-weiß-Fotos, einige Briefe, Todesnachrichten.

Auch ihre Kinder sind von dieser Geschichte geprägt. Man sieht ihnen ihre Herkunft an und sie selbst haben auch in der DDR die Erfahrung der Fremdheit machen müssen. Pappchinese wurde Thomas Hillmann immer genannt und Marga Sim bekam von ihrer Schulklasse immer das Lied vom Kuckuck vorgesungen, mit dem Refrain Simsalabim.

Neben den Gesprächen mit den Frauen hat die Regisseurin zwei Filme von Reisen nach Nordkorea als Material zur Verfügung. Sie selbst konnte nicht drehen, sie bekam kein Visum. Die eine Reise absolvierten Kinder aus betroffenen Familien, eine Touristenreise. Sie wollten sich wenigstens den Orten annähern, an denen ihre Väter gelebt haben. Ina Grauer will zum Beispiel den Bahnhof von Pjöngjang sehen, weil sie weiß, dass ihr Vater bei seiner erzwungenen Rückkehr hier angekommen war. Aber in der Hauptsache versuchen die Reisenden, sich einen Eindruck vom Land zu verschaffen, was ihnen nur partiell gelingt. Uwe Hillmann nimmt vom Strand für seine Mutter Sand in einer Flasche mit.

Die zweite Reise führt ins scheinbar ins Happy-End. Renate Hong findet ihren ehemaligen Mann wieder. Aber happy sieht das auch nicht aus. Sie stehen sich am Flughafen in Pjöngjang gegenüber und erkennen sich nicht mehr. Erst müssen sie sich während der zehn Tage wieder annähern und erst als sie den alten Mann in Badehose am Strand sieht, ist sie sich sicher; sie erkennt die Narben des ehemaligen Soldaten.

Erzählt ist das alles sehr ruhig und respektvoll. Sung-Hyung Cho verwendet auch Zeichnungen und Animationen. Teils füllt sie damit jene Leerstellen, für die sie kein Material hat, etwa für die schmerzhaften Abschiede. Zugleich betten diese nur schwach animierten, in Sepia gehaltenen Szenen den Film in einen fast naiven Grundton, der etwas von der Schwere der Geschichten nimmt.

Und es geht im Film schließlich nicht nur um Zeitgeschichte, aus der ein bisher weitgehend unbekanntes Kapitel herausgeschnitten wird, sondern auch um aktuelle Fragen. Für alle Beteiligten, vor allem auch für die Kinder, stellt sich die Frage der Identität. Wenn man die Geschichten dieser Frauen hört, den Preis erfährt, den sie haben zahlen müssen, dann kommt einem jede aktuelle Debatte über Angst vor dem Fremden geradezu absurd vor.

Für Sung-Hyung Cho ist „Verliebt, verlobt, verloren“ Teil einer „Heimat-Trilogie“, wie sie es nennt. „Full Metal Village“ erzählte, wie das nordfriesische Dorf Wacken die Invasion von Heavy-Metal-Fans bewältigte. In „Endstation der Sehnsüchte“ stehen südkoreanisch-deutsche Paare im Mittelpunkt: Krankenschwestern, die Mitte der Sechziger Jahre angeheuert wurden, hier deutsche Männer heirateten – und nun, nach dem Arbeitsleben als Paare sich wieder in Südkorea ansiedeln. All diese Filme haben etwas gemeinsam: Neugier auf das, wie Menschen ihre Schicksal bewältigen, liebevolle Beobachtung und einen warmherzigen Grundton.

http://www.verliebtverlobtverloren.de

www.wolfsiehtfern.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.