Magerkost

Eigentlich wollte ich über den gestrigen Abend gar nicht schreiben. Gestern Abend war ich einer von 18, 19 Gästen, die der Einladung der Wermelskirchener CDU ins Haus Eifgen gefolgt sind. Der einzige offenbar ohne Parteibuch der CDU. Zum, wie es neudeutsch heißt: Public Viewing des TV-Duells zwischen der Bundeskanzlerin und Ihrem SPD-Herausforderer. Ein Duell, DAS Duell. So die Ankündigung, die vollmundige. Aber: dem doch eher mageren Besuch im Haus Eifgen entsprach auch die Veranstaltung im Fernsehen. Politische Magerkost. Und das lag in erster Linie nicht einmal an den beiden Politikern.

Mir ist auch heute noch ein Rätsel, wie es vier gestandene Journalisten aus den vier größten TV-Systemen im Land fertigbringen, in der ganzen knapp 100 Minuten währenden Fragerunde lange Zeit auf die Flüchtlingsfrage zu verwenden, lange Zeit auf den Islam, Zeit auf den sonntäglichen Kirchenbesuch der beiden Politiker, aber keine einzige Frage zu den wirklichen Zukunftsproblemen des Landes zu stellen in der Lage sind. Digitalisierung? Fehlanzeige. Bildung? Fehlanzeige. Umwelt? Fehlanzeige. Stattdessen, zum wievielten Male eigentlich: Flüchtlinge. Stattdessen: Islamisierung. Stattdessen: Bundesamt für Migration. Stattdessen: Abschiebungen.

Die vermeintliche journalistische Elite des Landes hat kläglich versagt. Es ging wohl mehr um Quoten, um Krawall und Effekt, um Entertainment. Was gäbe ich heute für eine ruhige und konzentrierte Gesprächsführung eines oder zweier kompetenter Journalisten, solcher aus dem politischen Fach, nicht aus der Abteilung Volksbelustigung. Eine konzentrierte Gesprächsführung und eine dichte Debatte der beiden Kontrahenten, jenseits billiger Schlagzeilenrhetorik.

Und die Kanzlerin und ihr Gegenspieler? Wie sollen Politiker besser sein als die Veranstaltung, die man um sie herum zimmert? Heute sind sich die Beobachter, mal wieder, nicht wirklich einig. Merkel hat gewonnen, Schulz hat gesiegt. Es ist irgendwie beliebig. Offenbar ist auch die Zunft der Auguren nicht in Bestform. Dabei kann das Fernsehduell um die bessere Kanzlerschaft zu einem Lehrstück für Demokratie werden, zu einem Aufruf zur Teilnahme an der Demokratie und ihren Handlungsfeldern. Kann? Hätte können. So aber dämpft das mißratene Duell die Leidenschaft an der Politik weiter, trägt es zur politischen Sedierung bei, entfernt die Menschen weiter von der Politik und die Politik von den Bürgern.

Und im Haus Eifgen? Heftige Debatten? Motivierung der CDU-Aktivisten für den Wahlkampfendspurt? Ach was. Es war, was es meist ist bei Parteiveranstaltungen in den letzten Jahren: die Bekehrung der Bekehrten. Affirmation. Bloße Bestätigung. Es hätte der Veranstaltung gut getan, wenn wenigstens in Wermelskirchen eine lebendige Debatte beabsichtigt gewesen wäre. Ein Handvoll Sozialdemokraten, ein paar Liberale, eine Gruppe Grüner, einer oder zwei Linke und Freie Wähler zusätzlich zu den meist jungen Christdemokraten aus dem Kreis hätten der Runde gut getan. So blieb eine rege, ernsthafte, in Teilen auch kontroverse Debatte auf einen ganz kleinen Kreis, eine Hand voll Besucher um den CDU-Vorsitzenden, Christian Klicki, und den CDU-Kandidaten für das Amt des Landrates, Stephan Santelmann, beschränkt. Schade.

Kommentare (3) Schreibe einen Kommentar

    • Rainer Bleek
    • 04.09.17, 21:12 Uhr

    Ich teile die Kritik von Wolfgang Horn an den Moderatoren des Fernseh-“Duells” völlig. Sachlich absolut unausgewogen, wichtige Themen wie Bildung, Umwelt, Kinderarmut, zunehmende soziale Spreizung beispielsweise auslassend, war diese Sendung ein Tiefpunkt des politischen Fernsehjournalismus. Die Kommunen und ihre infrastrukturellen Probleme, ein Themenkomplex, der viele Menschen direkt betrifft – natürlich von der abgehobenen Moderatorencrew nicht angesprochen. Natürlich hat zu dieser merkwürdig leblosen Veranstaltung sehr stark das enge formale Korsett beigetragen, das Frau Merkel im Vorfeld durchgedrückt hat. Aber gute politische Journalisten hätten trotzdem aus diesem Treffen mehr herausgeholt als diese vier Talkshow-Palaver-Dompteure. Hier wurde eine große Chance vertan.

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    • Grauganz
    • 05.09.17, 13:22 Uhr

    Zum vermeintlichen TV-Duell am vergangenen Sonntag schreibt unter anderem der Medienjournalist STEFAN NIGGEMEIER:

    “Die Verlierer dieses TV-Duells sind die Flüchtlinge und Zuwanderer, die ausschließlich als Problem und Teil einer überwältigenden, alles bedrohenden Zahl dargestellt wurden. Verlierer ist die öffentliche Debatte, die aus Angst vor der AfD deren Thesen, Positionen und Perspektiven übernimmt. Und Verlierer sind die Wähler, die sich an diesem Abend darüber informieren wollten, welche Ideen die Spitzenkandidaten haben, um Deutschlands Zukunft zu gestalten.

    Gewinner dieses TV-Duells sind nicht Merkel oder Schulz, Gewinner ist die AfD. Schuld daran sind die Journalisten.”

    Das ist es, auf den Punkt.

    Wolfgang Horn

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    • Grauganz
    • 05.09.17, 15:43 Uhr

    Und in der ZEIT ist zu lesen, von Matthias Dell, daß die “beunruhigende Erkenntnis” sei: “Was ein Gespräch über Politik sein könnte, haben ausgerechnet die Leute verlernt, die seit Jahren vorgeben, es zu führen.” Und weiter: “In gewisser Weise sind Illner und Maischberger Opfer ihrer eigenen Politikverkürzungen geworden. Indem die Talkshows in ihrer schematischen Meinungskonfrontation tatsächliche Auseinandersetzungen nicht führen, bereiten sie die ideale Bühne für die Springteufel von rechts: Wo es um schnelle Aufmerksamkeitsproduktion geht, bringen solche Protagonisten Leben in die Bude, wenn sie kalkulierte Behauptungen raushauen, ohne befürchten zu müssen, durch eine einfache Mischung aus offenen Fragen und weiterführenden Folgerungen decodiert zu werden. Man erinnere sich an Günther Jauchs Unfähigkeit, auf die Armlehnendeckchen-Inszenierung von Björn Höcke zu reagieren.”

    Wolfgang Horn

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