„Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“ Von Sebastian Bellwinkel, Romy Straßenburg, Marta Werner, (Phoenix, 29. Okt. 22:30 / 30. Okt, 00:00 h)

Von Fritz Wolf

Kooperation ist das Stichwort der Saison für den Journalismus. Der Rechercheverbund von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR ist spätestens seit den Panama-Papers in aller Bewusstsein. Es schließen sich jetzt aber auch Produzenten zusammen. Für die lange Dokumentation über die Europäische Rechte sind das Eco Media, Spiegel TV und Kobalt. Drei Regisseure werden im Abspann aufgeführt, acht Autoren und elf Kameraleute.  „Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“ ist eine Art Reisejournal „durch das braune Europa“, wie es einmal im Text heißt. Die Autoren gehen dem Gespenst des Rechtspopulismus nach, das in manchen Ländern kein Gespenst mehr ist, sondern auf dem Weg zur Macht. Deutschland, Ungarn, Polen, Frankreich  und Kroatien sind die Stationen. Die Rechtspopulisten haben in diesen Ländern einiges gemeinsam: Angst vor muslimischer Zuwanderung, Ablehnung demokratischer Strukturen, Wut und Hass auf gewählte Politiker, Angst vor dem Fremden: „Der Hass auf die Fremden schweißt die Rechte zusammen“, heißt es einmal im Kommentar.

Freilich birgt diese Reiseroute auch die Gefahr, zu viel Unterschiedliches über einen Kamm zu scheren. Die Rolle der polnischen PIS ist vermutlich doch anders zu bewerten als die der ungarischen Jobbik, und der Front National betreibt auch eine andere rechte Politik als die kroatische HDZ.

In Deutschland steht natürlich das Thema Pegida und AfD im Vordergrund. Eine Stadtteilversammlung in Dresden, eine Bürgerstreife in Chemnitz. Es geht um Fremdenangst, für die sich ein Pegida-Demonstrant die schöne Formel zurechtgelegt hat: „Wenn ich in den Pferdestall eine Kuh hineinstelle, wird auch in drei Jahren kein Pferd daraus.“ Die einen fürchten um die Sauberkeit ihrer Straßen, die anderen beklagen, Flüchtlinge bekämen alles und sie nichts. Harald Welzer als einer der vielen Experten dieses Films befindet, was sich hier als Angst artikuliere, habe mit der Realität nichts zu tun, dem Irrationalen sei auch durch Aufklärung nicht zu begegnen: „Vorurteile sind keine Irrtümer.“

Der Film nimmt sich auch einen AfD-Protagonisten vor, den ehemaligen FAZ-Journalisten Konrad Adam, eine der bürgerlichen Gestalten der Partei, begleitet ihn im Wahlkampf, verweist auf seine Doppelstrategie: sich von den Rechten in der AfD distanzieren, aber gleichzeitig in deren Sinn Ängste schüren. Wir sehen ihn bei einer Rede in einem Ort im Schwarzwald, wo es ihm in wenigen Sätzen gelingt, alles Angstpotenzial abzurufen: mit der Eroberung der Kindergärten durch Muslime werde es anfangen, mit Polygamie und Steinigung enden.  Sollte man sich merken, falls der Mann mal wieder seine gutbürgerlichen Manieren im Fernsehen ausstellt.

Zwischendurch switcht der Film nach Ungarn, in eine  Stadt, in der der viele Roma leben. Diese, eine völlig mittellose Minderheit, werden von der rechtsradikalen Jobbik schikaniert. Einer der Anführer sagt, die Roma seien aus eigener Schuld perspektivlos. Interviews vor der Kamera werden von den Jobbik-Leuten unterbrochen, so kennen wir das auch von Pegida. In Polen ist die PIS an der Macht, eine rechtskonservative Partei, die ordentlich an Verfassung und Meinungsfreiheit kratzt. Hier stellt der Film dem Kulturminister Pjotr Glinski den Oppositionellen Mateusz Kijowski gegenüber, um die politische Spaltung des Landes zu demonstrieren.

Der Film verweist darauf, dass es einen rechtsnationalen Trend bei Jugendlichen gebe. Wie der Erfolg der PIS etwa mit der Politik der Vorgängerregierung zusammenhängt  nd was tatsächlich den Wahlerfolg gebracht hat, darüber erfahren wir nichts.

Dann Frankreich. Hier wird die rechte Politik exemplifiziert an David Rachline, einem LePen-Bürgermeister im südfranzösischen Fréjus. Der förderte die lokale Wirtschaft, will mit mehr Polizei für mehr Sicherheit sorgen  und bekämpft die Moschee in der Stadt. Die Leute sagen, er höre ihnen zu. Offensichtlich ein Erfolgsrezept. Auch hier aber zu wenig Aufmerksamkeit für die politischen Kräfteverhältnisse insgesamt.

Der Film bearbeitet viele unterschiedliche Aspekte. Er wirkt in der ersten Stunde in Dramaturgie und Erzählweise unkonzentriert sprunghaft, wie aus Magazinbeiträgen zusammengestellt. Wer sich einigermaßen regelmäßig politisch informiert, für den bringen diese Teile der Recherchereise nichts wirklich Neues. Die Experten werden unterschiedlich ins Spiel gebracht, von Harald Welzer etwa könnte man Fundierteres als kurze Statements erwarten. Dass große Teile des Films aus dem Tagesaktuellen kommen, sieht man auch an den vielen Straßenumfragen, die als journalistische Mittel für kurze Beiträge taugen mögen, nicht aber für eine umfassende Dokumentation.

Das Switchen zwischen unterschiedlichen Orten („Wir gehen jetzt nach Ungarn“, „und jetzt wieder nach Deutschland“) erschwert Übersicht und Konzentration. Die Idee einer Produzenten-Kooperation ist prima, um Stoffe zu bewältigen, die für Einzelne nicht zu stemmen wären. Eine ästhetische Form oder besser: Strategien, die Ergebnisse solcher Zusammenarbeit auch ästhetisch und erzählerisch kohärent zu bewältigen, werden noch gebraucht.

Etwas aus dem Zusammenhang fällt der zweite Teil des Films, der sich mit Kroatien befasst. Er wirkt wie eine geschlossene Dokumentation und dringt im Thema auch deutlich tiefer vor. Dass er mehr neue Informationen enthält, mag auch daran liegen, dass wir sonst wenig über die Entwicklung in Kroatien erfahren. Vor allem aber bedienen die Autoren sich auch erzählerischer Mittel. Wie ein roter Faden führt eine junge Frau, Karla Dragic, durch den Film. Sie erleidet das Schicksal vieler junger Menschen in Kroatien. Sie lebt im Landesinneren, wo es keine Arbeit und Perspektive gibt, jobbt im Sommer in den Küstenregionen. Und vor allem verfolgt sie genau und mit skeptischem Interesse die politischen Verschiebungen im Land.

Auch hier sind die nationalistischen rechten Kräfte stärker geworden, und weil das Land seine faschistische Vergangenheit nie aufgearbeitet hat, knüpft die Rechte an die Ustascha-Zeit an. Der Film führt uns auf gespenstische Volksfeste, in denen offen faschistische Symbole und Gesten gezeigt werden. Und manche, wie der junge Aktivist Frano Cirko, Präsident einer rechten Jugendorganisation, äußern sich offen darüber, dass sie eine nationalistische Gegenorganisation zur Europäischen Union aufbauen wollen. Das klingt nicht trivial. Noch ist die Rechte in Kroatien nicht an der Macht, aber sie bestimmt offenbar stark die Diskussion und das politische Klima. US Korrespondent Allan Little, ein Kenner des Landes, beobachtet, dass Geschichte umgedeutet wird und dass das bis weit in die Mitte der kroatischen Gesellschaft hinein akzeptiert wird: „Ich glaube nicht, dass der Nationalismus in Kroatien jemals besiegt war.“

Seine Diagnose ist düster, die entsprechende Prognose auch: „Wir haben eine klaffende Lücke im Balkan. Wir haben eine Rückkehr zum Nationalismus. Und Europa schaut weg. Das kann furchtbare Konsequenzen haben.“ Und, fast lakonisch, wenig später: „Die europäische Norm ist: alle paar Generationen Krieg.“

www.wolfsiehtfern.de

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.