Die Arbeit am Zeichentisch ist sein Lebensinhalt. Der Architekt Gottfried Böhm entwirft auch mit 95 noch imposante Gebäude. Ein Dokumentarfilm von Maurizius Staerkle-Drux über die Architektenfamilie Böhm zeigt, wie die Leidenschaft für das Bauen die Familie zusammenhält. Ein Gastbeitrag von Heike Mund.( WDR, 28.09.2016, 23.25-00.45)
Von Heike Mund
„Toll: das ist die Köln-Arena von Peter. Von Paul die Moschee muss dahinten sein“, voller Stolz lässt Vater Gottfried Böhm zu Beginn des Films seinen Blick über die Stadtansicht von Köln schweifen – seine Heimat, seine Stadt. Seine Frau Elisabeth hätte lieber in Paris gelebt. Davon erfährt man später. Aus der Gondel des Riesenrads hat Böhm einen guten Rundumblick auf die Stadtlandschaft beiderseits des Rheins. Mit dem Fernglas könnte er bei klarem Wetter sogar eines seiner berühmten Bauwerke aus den frühen 60er Jahren sehen: das Rathaus von Bensberg. Eine abstrakte Betonburg hoch oben am Hang, mit Aussicht über die Rheinebene.
Die Architektendynastie
„Vater ist der Boss. Er will auch wissen, was wir machen“, gibt der Sohn Paul unumwunden vor der Kamera zu. „Und er will sich auch einmischen.“ Die Koordinaten des Dokumentarfilms sind damit klar umrissen: Im Mittelpunkt dieses Architektenclans steht Patriarch Gottfried Böhm – beeindruckende 95 Jahre alt, die ihn nicht von einem Tischtennismatch mit seinem Bruder oder dem morgendlichen Kopfsprung in den ungeheizten Swimmingpool abhalten. Über zwei Jahre hinweg haben der junge Schweizer Filmemacher Maurizius Staerkle-Drux und sein Kameramann Raphael Beinder die Familie Böhm begleitet. „Wofür wir sehr viel Zeit investiert haben, war, mit diesen Menschen auch mit zu leben“, berichtet der Regisseur im DW-Interview. „Und Teil dieses Lebens wirklich auch so zu werden, dass man auf eine Art unsichtbar wird.“ Das ist ihnen gelungen, nach über 100 Drehtagen war das Team Teil der Familie.
Den jungen Filmleuten begegnete große Offenheit im Hause Böhm. Sie durften bei erstaunlich privaten Momenten mit Kamera und Mikrofon dabei sein. Eine bewegende Szene : das Ehepaar Böhm – beide 93. Sie:“Wir könnten unsterblich sein.“ Er: „Ob man das mag, unsterblich sein?“ Eine andere Szene: Gottfried Böhms Charakterkopf in Nahaufnahme – eine Gesichtslandschaft, gemeißelt wie ein Denkmal. Der Filmemacher, Jahrgang 1988, im Zwiegespräch mit Vater Böhm, Jahrgang 1920. Fragen nach Kriegserlebnissen an der Front drängen sich auf. „Gottfried Böhm war selber im Krieg und die Söhne sagen: es muss was Schreckliches passiert sein, aber wir wissen es nicht. Er redet auch nicht drüber.“ Nur ein Satz geht dem alten Böhm über die Lippen, der gedankenverloren vor seinem Zeichentisch sitzt: „Das war schon eine unangenehme Zeit…“
Ausgezeichnete Bauwerke
Gottfried Böhm hat im Laufe seines erfolgreichen Architektenlebens sehr Unterschiedliches gebaut: einfach und komplex, bescheiden und monumental, funktional und künstlerisch; viel mit Beton, später mit Ziegelstein, Glas und Metall. Seine imposanten Bauten haben immer etwas Skulpturales. Ursprünglich wollte er auch Bildhauer werden. Einen durchgängigen Stil entwickelt Böhm, Sohn eines Kirchenbaumeisters, nicht. Dafür ist er zu eigenwillig, zu sehr Künstler. Seine Söhne, alle drei selbst erfolgreiche Architekten, bewundern diese künstlerische Energie.
1986 wird die Laufbahn des international erfolgreichen Architekten Gottfried Böhm mit einer ehrenvollen Auszeichnung gekrönt. Er bekommt den renommierten Pritzker-Preis verliehen, den Nobelpreis für Architekten. Im Film erinnert sich Böhm allerdings mehr an den Moment, in dem seine Frau Elisabeth den Festsaal verließ – als er in hölzernem Englisch seine Dankesrede begann. „Das war ihr peinlich“, vertraut er der Kamera an.
Imposantes Gedankengebäude
Der einfühlsame Dokumentarfilm folgt nicht den Erfolgsstationen der Böhms, sondern den Spuren der inneren Verbundenheit dieses Familien-Clans. Auch Niederlagen, Zweifel, Konkurrenzgefühle haben Platz – und Zukunft. Sohn Stephan baut mittlerweile in China, Enkel Anton wird in der vierten Generation Architekt. „Wir haben uns sehr auf diese zwischenmenschlichen Szenen, also auf Auseinandersetzungen konzentriert“, sagt Regisseur Staerkle-Drux. „Und der Gottfried hat oft gesagt: ‚Wir sind Menschen, ja, aber wir sind auch Architekten.‘ Da war schon die Sorge im Vorfeld, dass die Architektur zu kurz kommt.“
Der Tod der Mutter ist für alle ein schmerzlicher Einschnitt, behutsam in nur wenigen Film-Sequenzen angedeutet. „Für uns auch“, erinnert sich der Filmemacher, „weil Elisabeth Böhm, die auch selbst Architektin war, so wichtig für die Geschichte war, dass wir gedacht haben: Mensch jetzt ist der Film dahin, wenn eine der wichtigsten Figuren gestorben ist.“ Aber es ging weiter: die Mutter war bei jedem Entwurf geistig präsent.
Jeder hat seine Sprache der Liebe
„Jeder hat starke Gefühle, zeigt sie aber auch anders“, beschreibt Filmemacher Staerkle-Drux im DW-Interview die emotionale Grundierung dieses Familienunternehmens, die Kameramann Raphael Beinder mit einer starken, eigenständigen Bilderwelt eingefangen hat. „Das kennen wir alle: jeder hat eine andere Sprache, wie er Liebe zeigt. Und wie er Liebe empfangen will“, erklärt Staerkle-Drux mit viel Empathie für seine Protagonisten. „Gottfried Böhm sagt es ja selber: für ihn ist Rot die Farbe der Liebe, eine warme Farbe, die einen sogar ganz heiß macht.“ Diese überraschende Liebeserklärung des eher wortkargen Patriarchen hat den jungen Regisseur schwer beeindruckt. „Und dann baut er ihr ganz am Schluss ein Gebäude ganz in Rot, das dann auch noch von der Form und vom Schwung des Betons fast wie der Mantel seiner Frau wirkt.“
Der spektakuläre Theater-Neubau in Potsdam, der von Weitem an die Hutkreation einer Pariser Modistin erinnert, ist auch ein ganz persönliches Vermächtnis Gottfried Böhms für die begabte Architektin Elisabeth. 70 Jahre lang war sie ihm die Frau an seiner Seite – und seine schärfste Kritikerin. Für die Familie, vor allem für die Karriere ihres Mannes, hat sie ihren Beruf ganz zurückgestellt. Aber ihr Ideenreichtum floss überall mit ein. Die drei Söhne erzählen im Film nachdenklich davon, wie sehr das Denken der Mutter sie alle geprägt hat – viel mehr als ihr willensstarker Künstler-Vater.
Lebenshaltung: offen für Neues
Aber die jungen Filmemacher erleben eine Überraschung. Gottfried Böhm kauft sich nach dem Tod seiner Frau nochmal ein neues Auto, einen eleganten Jaguar. Er möchte die Menschen und Orte besuchen, die ihm viel bedeutet haben in seinem Leben. „Er war dann auch wieder mobil. Und ist dann seinen Bruder besuchen gefahren, der in München wohnt. Und der 97 ist. Da haben sie zusammen Tischtennis gespielt.“
Böhm fährt auch nach Paris, geht durch ihre leere Wohnung, die seine Frau nur nach ihrem Geschmack einrichten durfte. Momente schmerzvoller Trauer, bevor er die Rückreise nach Köln antritt. „Er war dann nochmal jung“, erzählt der Regisseur, „gefangen im Körper eines 95-jährigen, aber doch im Geiste frisch und jung und voller Neugier. Und nochmal bereit, über alles nachzudenken.“
Der Text von Heike Mund ist zuerst auf dw.de erschienen