Von Fritz Wolf
Drei jugendliche Straftäter werden aus der JVA Wriezen entlassen. Was fangen sie mit der wieder gewonnenen Freiheit an? Welche Perspektiven haben sie? Wer oder was kann sie davon abhalten, wieder straffällig zu werden? Was geschieht mit ihren Träumen? „Nach Wriezen“, ein ruhiger, beobachtender Film, der 2015 den Grimme-Preis bekam. (Phoenix 20.07.2016, 23.45-01.15) Begründung der Grimmepreis-Jury:
Die drei jugendliche Straftäter Imo, Jano und Marcel werden nach ihrer Haftentlassung aus der JVA Wriezen in Brandenburg, über drei Jahre mit der Kamera begleitet. Jano der Drogendealer vom Dorf, Imo mit einem starken Überschuss an Aggressionspotential und Marcel, der für den Mord am damals 16jährigen Marinus in Potzlow verurteilt wurde, sind auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Dennoch haben sie für ihre Zukunft viele ähnliche Hoffnungen, Wünsche und Träume von Arbeit, Wohnung und Anerkennung. Und natürlich gehört auch die Liebe dazu, vielleicht auch die Gründung einer Familie. Marcel hatte schon während der Haft eine Freundin, die auf ihn gewartet hat. Aber auch die beiden anderen haben schon bald ein Mädchen an ihrer Seite. Sie richten Wohnungen ein, werden Väter und versuchen, ein ganz normales Leben zu führen.
Aber diese Versuche gelingen nur mit Einschränkungen – und oft auch gar nicht. Teilweise liegen die Gründe bei den jungen Männern selbst. Über weite Strecken aber macht ihnen die Gesellschaft den Einstieg in ein neues Leben schwer: Diverse Auflagen und bürokratische Hürden sind Anforderungen, denen sie oft nicht gewachsen sind. Ganz besonders deutlich wird das, wenn das Jugendamt Imo und seiner minderjährigen Freundin nicht ermöglicht, zu dritt mit ihrem Baby zu leben und sie darauf resignierend einwilligen, das Kind weg zu geben. Denn damit ist der Traum von Sicherheit, Geborgenheit und Liebe geplatzt.
Begründung der Jury:
Mehr als die Hälfte jugendlicher Straftäter kehrt nach der Verbüßung einer Haftstrafe zurück in eine Haftanstalt. Diese statistische Mitteilung hat Regisseur Daniel Abma dazu bewogen, nach dem Warum zu fragen. Mögliche Antworten sucht er nicht bei Vertretern relevanter gesellschaftlicher Einrichtungen, sondern in der Beobachtung Betroffener. Die drei Protagonisten des Films werden uns an dem Tag vorgestellt, an dem sie aus der JVA in Wriezen nach Verbüßung ihrer Strafe entlassen werden. Hinter ihnen liegt eine Zeit, in der sie über ihre Taten, aber auch über ihr künftiges Leben nachdenken konnten.
Abma versteht es ausgezeichnet, sich seinen Protagonisten sehr behutsam zu nähern und allmählich ihr Vertrauen zu gewinnen. So lassen es die drei jungen Männer zu, dass die Kamera dabei ist, wenn sie ihre ersten, noch unsicheren Schritte in ein neues Leben machen, wenn sie ihre Wohnungen herrichten und Zeit mit ihren Freundinnen verbringen. Sie äußern sich freimütig über Arbeitgeber, über Verwaltungsmitarbeiter, aber auch über Probleme in der Partnerschaft und mit sich selbst. Das gelingt dem Regisseur ohne plumpe Interviewsituationen herstellen zu müssen. Und er kommt dabei fast völlig ohne Fragen aus dem Off: Abma selbst taucht im Bild nicht auf. Mit seinem Verfahren der beobachtenden Annäherung vermittelt er dem Zuschauer den Eindruck, dass die drei jungen Männer selbst einladen, für eine bestimmte Zeit an ihrem Leben teilzuhaben. Die Kamera von Johannes Praus und Anja Läufer stellt sich diesem Prinzip mit schnörkelloser Konsequenz.
Jeder der drei Protagonisten stellt sich dem Neuanfang auf seine Weise und jeder hat dabei kleinere und größere Probleme. Aber neben den verständlichen, persönlichen treten auch viele auf, die alle drei und über diese hinaus wahrscheinlich eine große Zahl junger Menschen in einer ähnlichen Situation haben. Ohne dass es eines wertenden Kommentartexts bedürfte, stellt sich in „Nach Wriezen“ heraus, dass die Gesellschaft ehemaligen Straftätern die Resozialisierung durchaus nicht leicht macht. Dass viele Hindernisse im Weg stehen, die nicht jeder zu überwinden schafft. Das betrifft im Film vor allem den Drogendealer Jano, der ins alte Metier abrutscht und Imo, dessen Freundin man das gemeinsame Kind wegnimmt: Nach der Rezeption des Films ist die eingangs erwähnte hohe Rückfallquote für jugendliche Straftäter nicht mehr so verwunderlich.