Bundespräsident Steinmeier dankt für bürgerschaftliches Engagement

Ordensverleihung zum Tag des Ehrenamtes im Schloss Bellevue

Dies ist so ein Tag, der mir jedenfalls Mut macht! Und ich finde, er könnte uns allen Mut machen. Denn heute, kurz vor dem Tag des Ehrenamtes, kommen wir hier zusammen, um Menschen auszuzeichnen. Menschen, die etwas für andere Menschen tun.
Mit den Verdienstorden, die Sie hier schon neben mir auf dem Tisch liegen sehen und die auf die zukünftigen Ordensträgerinnen und Ordensträger warten, sagt unser Land Menschen wie Ihnen Danke. Danke für Ihr bürgerschaftliches Engagement. Für mich ist es immer wieder etwas Besonderes, das nicht immer, aber gelegentlich persönlich tun zu können. Es gehört zu den Aufgaben dieses Amtes, auf die ich mich jedes Mal immer wieder von Neuem freue.

Und das gilt gerade in diesen Tagen, in denen wir so viele dunkle Bilder sehen. Ich weiß, es kann einem angesichts der Nachrichten, angesichts der Lage im Nahen Osten oder in der Ukraine mitunter schwerfallen, die Hoffnung zu haben, dass der Hass am Ende nicht gewinnen wird. Diese Hoffnung aber, die müssen wir aufrecht erhalten, und ich finde, es gibt auch allen Grund dazu: Wenn ich heute hier in die Runde schaue, dann sehe ich Menschen, die sich dafür einsetzen, dass wir aufeinander zugehen, die dafür einstehen, dass wir in unserer Gesellschaft zusammenhalten und uns nicht voneinander entfernen. Menschen wie Sie, die sich eine Gesellschaft wünschen, die zivilisiert, friedfertig und zugewandt ist.

Wir müssen, und das ist auch eine meiner Aufgaben, dem verbreiteten gesellschaftlichen Pessimismus unserer Tage ein realistisches und deshalb, wie ich finde, durchaus positiveres Bild entgegensetzen. Und dieses Bild, das sehe ich bei den Ordensverleihungen hier im Schloss, aber das sehe ich auch, wenn ich weit im Land unterwegs bin – jedes Mal, wenn ich bei den “Ortszeiten” meinen Amtssitz für drei Tage irgendwo ins Land, in eine kleinere oder mittlere Stadt verlege.

Und, ohne den Ehrungen vorzugreifen, die wir hier nachher vornehmen werden: Sie, liebe Gäste, liebe künftige Ordensträgerinnen und -träger, Sie sind ein wichtiger Teil dieses realistischen und wie ich gesagt habe positiveren Bildes.
Sie helfen sozial Benachteiligten und setzen sich für Inklusion ein. Sie helfen geflüchteten Menschen beim Ankommen, retten Ältere vor der Einsamkeit und kümmern sich um Mitsprache und Teilhabe Jüngerer. Sie engagieren sich in der Blaulichtfamilie, bei Polizei, Rettungsdiensten, Notarztwagen, THW oder beim Bevölkerungsschutz. Sie setzen sich für Erinnerungskultur ein oder für interreligiösen Dialog. Sie organisieren kulturelle Veranstaltungen, ganze Festivals und Spendenkampagnen. Und wenn ich sehe, wie viele junge Menschen hier im Raum sitzen, dann ist mir um die Zukunft – des Ehrenamtes jedenfalls – erst recht nicht bange.

Sie gehören zu den Millionen Menschen, die sich in unserem Land ehrenamtlich engagieren. Das ist mindestens jeder Fünfte. Zählen Sie das mal, wenn Sie durch die Fußgängerzone in Ihrem Ort gehen oder in der U-Bahn stehen. Jeder Fünfte, den Sie treffen, immerhin, tut etwas für andere. Das mag ein statistischer Wert sein, aber so bekommt, wenn Sie durch die Fußgängerzone gehen oder in der U- oder S-Bahn stehen, eben dieser statistische Wert ein Gesicht.

Sie gehören zu den Millionen Menschen, die sich in unserem Land ehrenamtlich engagieren. Das ist mindestens jeder Fünfte. Jeder Fünfte, den Sie treffen, immerhin, tut etwas für andere.

Jeder Einzelne, der sich ehrenamtlich engagiert, ist für mich so eine Art Fixpunkt, einer von ganz vielen Pfeilern, die unsere demokratische Gesellschaft tragen. Würde man von Pfeiler zu Pfeiler, von Ehrenamtler zu Ehrenamtler ein Seil spannen, und dann wieder zum nächsten, dann würde genau das sichtbar: Ein dicht gewebtes, stabiles Netz, das unser Land stützt und hält.

Dieses Engagement der Vielen ist aus mehreren Gründen so wichtig für uns. Zum einen – und das wird für meinen Geschmack zu selten erwähnt: Es ist wichtig für den Einzelnen. Menschen, die ein Ehrenamt ausüben, berichten immer wieder, dass dieses Engagement sie zufriedener macht. Man erlebt Gemeinschaft, man lernt etwas. Man wird überrascht – von anderen Menschen, von anderen Welten, die einem sonst verschlossen geblieben wären. Und vor allen Dingen: Man bekommt etwas zurück. Das versichert mir eine Frau, die sechzig Jahre Ehrenamt beim Roten Kreuz geleistet hat, und als ich mich genau dafür bei ihr bedanken wollte, da war ihre Antwort: Nicht nötig. Ich habe, sagt sie, von dem Ehrenamt so viel mehr zurückbekommen, als ich gegeben habe. Das stimmt vermutlich. Aber es ist vermutlich etwas anderes. Dieses sichere Gefühl, etwas zu bewegen, oder das Gefühl etwas verändern zu können: Das ist das, was Ehrenamt ausmacht. Einen Unterschied zu machen.

Darin liegt zugleich auch die gesellschaftliche Bedeutung des Ehrenamtes: Ehrenamt macht den Unterschied zwischen Nebeneinander und Miteinander. Wer sich für andere engagiert, der entscheidet sich jeden Tag neu fürs Miteinander. Der entscheidet sich für eine Haltung der Verantwortung gegenüber seinen Mitbürgern. So, wie Sie das getan haben und hoffentlich weiter tun.

Ehrenamt macht den Unterschied zwischen Nebeneinander und Miteinander.

Diese Entscheidung von vielen Millionen Menschen in unserem Land bedeutet nicht weniger als: Wir als Gesellschaft dürfen in dem Vertrauen leben, dass es andere gibt, die nicht wegschauen, die helfen, wo Hilfe nötig ist. Die Begegnung miteinander kann im besten Fall das Leben leichter, schöner und interessanter machen. Sie kann aber auch helfen, Vorurteile abzubauen, Gräben zuzuschütten, Gemeinsamkeiten zutage zu fördern und Unterschiede auszuhalten. Was für ein Geschenk, das Sie uns, das wir alle uns damit machen!

Wir haben in den vergangenen Jahren gesehen, dass dieses Vertrauen in das Engagement nicht enttäuscht wird, wenn Not herrscht: In Krisen zeigt sich zuverlässig, wie hilfsbereit unsere Gesellschaft ist. Jeder dritte Verein hat geholfen, die Betroffenen des russischen Angriffskrieges zu unterstützen. Und der Kampf gegen den Klimawandel beschäftigt inzwischen jede vierte Organisation.

In Krisen zeigt sich zuverlässig, wie hilfsbereit unsere Gesellschaft ist.

Dieses Netz der Vielen, das unser Land überspannt und zu dem auch Sie alle hier gehören, stützt im Alltag unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es ist unverzichtbar und eine der Stärken unserer Demokratie.

Keine der Stärken unserer Demokratie ist allerdings – einmal errungen – für ewig sicher, so wie es auch die Demokratie selbst nicht ist. Es wäre falsch, das ehrenamtliche Engagement der Vielen einfach nur als gegeben, als selbstverständlich zu betrachten. Viele von Ihnen in Ihren Organisationen, Vereinen, Initiativen spüren es vermutlich schon seit einigen Jahren: In manchen Einrichtungen ist die Zahl der Ehrenamtler eingebrochen, vielfach aufgrund der Pandemie. Anderswo dagegen gibt es geradezu einen Boom.

Eins hat sich nicht verändert: Die Menschen wollen sich engagieren. Das gilt für ältere wie für jüngere Menschen; das gilt für das Land wie für die Stadt. Wie begeistert sich junge Menschen einbringen, davon zeugen ja auch heute hier mehrere zu Ehrende.

Wenn aber nun das klassische Ehrenamt altert, wenn weniger Menschen Mitglied in einem Verein werden wollen, wenn man vergeblich Schatzmeister oder Gruppenleiter sucht, dann müssen wir Wege finden, wie man das Engagement und die Mitgliedschaft neu arrangieren kann und Vereine und Initiativen auch in Zukunft handlungsfähig und finanziert bleiben. Wir sehen, dass mehr Ehrenamtler sich wünschen, politisch mitzugestalten. Gleichzeitig plagen uns große Nachwuchssorgen gerade vor Ort in der Kommunalpolitik. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir denjenigen, die sich engagieren wollen, auch Möglichkeiten bieten, die passen. Dazu gehören zum Beispiel familienfreundliche Bedingungen auch für politisches Engagement, dazu gehört das Teilen von Aufgaben und das Teilen von Verantwortung. Und dazu, das sage ich ausdrücklich, dazu gehört inzwischen auch der Schutz derer, die sich kommunalpolitisch engagieren.

Ganz generell, aber besonders in der Kommunalpolitik gilt: Wenn sich in unserer vielfältigen Gesellschaft die Tendenz zum Rückzug noch weiter verstärkt, dann wird es gefährlich für die Demokratie , denn dann trocknet Demokratie von unten aus. Und das darf nicht sein. Wir brauchen nicht nur den abstrakten Wunsch nach Partizipation – wir brauchen auch diejenigen, Menschen eben, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, die sich reinhängen, die sich nicht zu schade sind für einen Kompromiss, und die Widerspruch aushalten.

Es gibt so etwas wie eine demokratische Muskulatur, die regelmäßig trainiert werden muss, weil sie sonst schlaff wird und verkümmert. Unsere Fähigkeit zur vernünftigen Diskussion mit Menschen, die anderer Meinung sind, unsere Bereitschaft zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen, die müssen wir immer wieder einüben. Denn je weniger jeder einzelne von uns mit Menschen zu tun hat, die eine andere Meinung haben oder die anders leben, desto größer ist die Gefahr, dass das Verständnis und Vertrauen in die Gesellschaft als Ganze und ihre Institutionen schwinden. Und desto leichter, das befürchte ich, machen wir es denjenigen, die mit platten populistischen Phrasen weitere Schneisen in unser Grundvertrauen schlagen. Und je mehr wir uns in unseren Lebenswelten abschotten, desto mehr schwindet auch die Bereitschaft, sich für das gemeinsame Ganze einzusetzen.

Wir tun also gut daran, den Austausch zwischen den Verschiedenen zu fördern – und ich sage: vielleicht auch zu fordern. Sie wissen, dass ich deshalb vor einiger Zeit die Diskussion darüber angestoßen habe, wie es uns gelingen kann, dass jede und jeder einmal im Leben die Erfahrung macht, sich mit Belangen, den Interessen oder auch den Sorgen anderer zu beschäftigen oder sich den Sorgen anderer zu widmen. Viele von Ihnen wissen sicherlich: Ich habe dazu den Vorschlag einer sozialen Pflichtzeit gemacht. Einer Zeit, in der wir alle – ich sage ausdrücklich nicht nur die Jungen – lernen, füreinander da zu sein. Sie alle, die heute hier sind, sie bräuchten diesen zusätzlichen Anstoß nicht.

Sie alle hier tun das schon lange. Sie alle gehören zu den Pfeilern, zwischen denen sich das Netz unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts spannt. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement! Bleiben Sie Teil des Netzes, das unser Land trägt!

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.