Verfolgungsschicksal niederländischer Widerstandskämpfer

Den Beitrag von Armin Breidenbach entnehmen wir dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid

VON ARMIN BREIDENBACH

Nach der – allerdings nicht mehr vollständigen – „Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit“ waren in den Jahren 1933 bis 1945 im Zuchthaus Lüttringhausen schätzungsweise insgesamt etwa 10.000 Häftlinge aus politischen oder anderen Gründen inhaftiert. Sowohl die Belegungszahlen als auch die Struktur der Häftlingsgesellschaft im Zuchthaus dürften sich im genannten Zeitraum ständig geändert haben. Saßen in den Vorkriegsjahren nur wenige Ausländer in Lüttringhausen ein, so nahm deren Anteil nach Kriegsbeginn rapide zu. Während des Krieges waren dort nach offiziellen Angaben insgesamt 1.074 ausländische Gefangene inhaftiert, die aus ca. 20 Ländern stammten und wegen politischer und nichtpolitischer Delikte meistens zu Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen verurteilt worden waren; einige saßen dort in Untersuchungshaft oder waren gar zu Todesstrafen verurteilt worden.

Von den ausländischen Häftlingen stellten die Niederländer die größte Gruppe. Während des Zweiten Weltkriegs waren nach Gerrold van der Stroom insgesamt mindestens 376 Niederländer in Lüttringhausen inhaftiert, darunter auch zahlreiche „Nacht- und Nebel“-Gefangene. Die Auswertung verschiedener Quellen hat zwischenzeitlich aber ergeben, dass die Anzahl der in Lüttringhausen inhaftierten Niederländer erheblich größer war, als ursprünglich angenommen. Allein anhand der am 8. Februar 1950 vom Vorstand der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen erstellten Listen aller ausländischen Personen, die im Zeitraum vom 3. September 1939 bis 8. Mai 1945 im Zuchthaus Lüttringhausen inhaftiert waren, ließen sich insgesamt 423 aus den Niederlanden stammende Häftlinge ermitteln, darunter 294 Strafhäftlinge, 24 Untersuchungshäftlinge und 105 weitere Häftlinge. Bei Letzteren war der Grund der Inhaftierung dem damaligen Leiter dieser Strafanstalt, Dr. Karl Engelhardt, nicht bekannt; vermutlich handelte es sich um „Nacht- und Nebel“-Häftlinge, die aus den Niederlanden stammten und während des Zweiten Weltkriegs in Lüttringhausen inhaftiert waren.

Viele der niederländischen Häftlinge waren vor ihrer Einlieferung in das Zuchthaus Lüttringhausen unter anderem im Polizeigefängnis von Scheveningen inhaftiert, das nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Niederlande im Mai 1940 von den deutschen Besatzern übernommen worden war. Insgesamt mehr als 25.000 Personen waren dort in den Jahren 1940 bis 1945 von den Deutschen aus politischen und anderen Gründen eingesperrt worden. Aber nicht nur Niederländer, sondern auch einige Deutsche, wie zum Beispiel der Solinger Widerstandskämpfer Gustav Müller, waren dort inhaftiert.

Das Polizeigefängnis von Scheveningen, von den Niederländern ironisch als „Oranjehotel“ bezeichnet, wird seit September 2019 als Gedenkzentrum genutzt. Von dort aus wurden die Gefangenen damals in deutsche Strafanstalten oder Konzentrationslager überführt. Erste Stationen waren häufig das Männerstrafgefängnis Anrath oder das Gefängnis Kleve. Im Folgenden soll auf die Verfolgungsschicksale von Anton Floris van Aggelen, Willem van Spengen, Dirk Johannes van Tuijl und Gustav Müller näher eingegangen werden, die im „Oranjehotel“ inhaftiert gewesen waren:

Der Radiotechniker Anton Floris van Aggelen wurde am 30. März 1920 in Amsterdam geboren und wohnte später in Haarlem. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht wurde er Mitglied der Widerstandsgruppe „ECH/3“, auch „Klingen-Gruppe“ genannt. Ab 29. Mai 1941 befand er sich in Untersuchungshaft im Polizeigefängnis von Scheveningen („Oranjehotel“). Am 17. November 1941 wurde er vom Gericht des Kommandeurs der Truppen des Heeres in den Niederlanden wegen Spionage zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren verurteilt. Später war er in Kleve inhaftiert, bevor er von dort am 11. Februar 1942 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert wurde. Vier Tage nach Befreiung der Häftlinge dieses Zuchthauses wurde er am 19. April 1945 von dort entlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Anton Floris van Aggelen als Funker bei der niederländischen Fluggesellschaft KLM tätig. Am 23. August 1954 kam er bei einem Flugzeugabsturz über der Nordsee ums Leben.

Dirk Johannes van Tuijl, der am 3. Januar 1901 in Dalem, Gemeinde Vuren, geboren wurde, war ebenfalls im Widerstand gegen die deutschen Besatzer aktiv. Am 22. Juli 1943 wurde er in Bergen op Zoom wegen Spionage festgenommen, als er als Kurier Dokumente an eine Kontaktperson übergab. Vom nächsten Tag an war er in der Zelle 784 des „Oranjehotels“ inhaftiert. Am 5. August 1943 wurde er in das Gefängnis des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS in Haaren/Niederlande überführt. Einen Monat später wurde er zusammen mit zahlreichen anderen niederländischen Gefangenen wie zum Beispiel Paul Vemer, Adrianus Verpalen und Juko Wester, in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert, wo er am 15. April 1945 von Soldaten der US-Armee befreit wurde. Wie die meisten anderen ausländischen Häftlinge musste auch van Tuijl noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dort bleiben, bis er endlich entlassen wurde. Am 10. Mai 1945 traf er in Venlo ein, etwa einen Monat später zog er nach Vlissingen, wo seine Familie ab Dezember 1944 lebte. Dirk Johannes van Tuijl, der am 14. Juni 1955 in Vlissingen verstarb, erhielt am 20. August 1982 posthum das niederländische Widerstands-Gedenkkreuz verliehen.

Auch der Elektriker Willem van Spengen, der am 25. August 1915 in Terra/Niederlande geboren wurde und in Hilversum wohnte, war nach der Besetzung der Niederlande im „Oranjehotel“ inhaftiert. Am 28. November 1941 wurde er von einem deutschen Feldgericht wegen Nichtanzeige geplanter Verbrechen zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren verurteilt; das geplante Haftende war der 1. August 1945. Vom Gefängnis Kleve kommend wurde van Spengen am 25. März 1942 in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert. Noch vor dem geplanten Haftende wurde er am 6. April 1945 von dort „zur Verfügung der Stapo“ in das Polizeigefängnis Remscheid überführt und fünf Tage später auf Veranlassung der Gestapo-Nebenstelle Remscheid in das Lager Neuenkamper Straße in Remscheid überstellt. Sein weiterer Lebensweg ist bisher nicht bekannt.

Der Maurer und Leistenmacher Gustav Müller, am 7. März 1910 in Tiefenort/Thüringen geboren, war ab 1925 Mitglied der Bauarbeitergewerkschaft. Im Herbst 1932 trat er in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, für die er in Solingen bis Herbst 1934 illegale Schriften verbreitete. Nachdem einige Mitglieder seiner Widerstandsgruppe festgenommen worden waren, flüchtete Müller im Dezember 1934 in die Niederlande, wo er sich von Mai 1935 bis Ende 1938 für die Rote Hilfe betätigte. Nachdem die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 im sogenannten Westfeldzug unter anderem auch die Niederlande überfallen und besetzt hatte, fand Gustav Müller Anschluss an eine deutsch-niederländische Widerstandsgruppe; sein Deckname war „Wülfing“. Am 3. Februar 1944 wurde er in seinem damaligen Wohnort Den Haag festgenommen und zunächst vermutlich bis August 1944 im niederländischen KZ Herzogenbusch, auch KZ Vught genannt, gefangen gehalten. Vom 4. bis 9. August 1944 befand er sich im „Oranjehotel“, wo er die Häftlingsnummer 8864 erhalten hatte. Am 14. August 1944 wurde er mit einem Sammeltransport in das Gefängnis Wuppertal eingeliefert, wo er bis zum 26. Oktober 1944 inhaftiert war. Am 28. November 1944 wurde er vor dem Oberlandesgericht Hamm wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren verurteilt (Aktenzeichen: 5 O Js 799/44); geplantes Haftende war der 6. Februar 1946. Von Wuppertal kommend wurde er am 8. Januar 1945 als „Gefängnisgefangener“ in das Zuchthaus Lüttringhausen eingeliefert, wo er bis zum 15. April 1945 seine Strafe verbüßen musste. Damit gehörte er zu den Häftlingen, die noch am Tag der Befreiung aus dem Zuchthaus Lüttringhausen „bis auf weiteres beurlaubt“ wurden. Gustav Müller, der nach 1945 bei der „Bauhütte Solingen“ arbeitete, wurde 1984/85 mit dem Königlichen Widerstandskreuz der Niederlande ausgezeichnet.

Wie die Sterbebücher des Standesamts Lüttringhausen dokumentieren, starben in den Kriegsjahren 1941 bis 1945 13 niederländische Häftlinge im Zuchthaus Lüttringhausen; mindestens drei von ihnen waren zunächst im Scheveninger „Oranjehotel“ inhaftiert gewesen, weil sie am Widerstand gegen die deutschen Besatzer beteiligt gewesen waren:

  • Pieter Goudswaard: geboren am 9. November 1908 in Hendrik Ido Ambacht, gestorben am 30. März 1944 im Zuchthaus Lüttringhausen,
  • Cornelis Leonardus Josephus van Lent: geboren am 18. März 1919 in Heemstede, gestorben am 13. Juni 1942 im Zuchthaus Lüttringhausen,
  • Jakobus („Dick“) Winterdijk: geboren am 12. Dezember 1918 in Den Haag, gestorben am 9. April 1945 im Zuchthaus Lüttringhausen.

Quellen und Literatur:

  • Arolsen Archives, Online-Archiv: Verschiedene Dokumente
  • Breidenbach, Armin: Solinger Bürger als politische Strafgefangene im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen 1933 – 1945, in: Die Heimat. Beiträge zur Geschichte Solingens und des Bergischen Landes, Hrsg.: Bergischer Geschichtsverein, Abteilung Solingen e. V., Neue Folge Heft 29, 2013/2014, S. 33 – 46 (dort fälschlich: Gustav Müller ab 28. November 1944 im Zuchthaus Lüttringhausen inhaftiert)
  • ders.: Solinger Bürger als politische Strafgefangene im Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen 1933 – 1945 (Teil 2), in: Die Heimat. Beiträge zur Geschichte Solingens und des Bergischen Landes, Hrsg.: Bergischer Geschichtsverein, Abteilung Solingen e. V., Neue Folge Heft 31, 2015/2016, S. 70 – 80 (dort fälschlich: Gustav Müller zu einer Zuchthausstrafe verurteilt)
  • ders.: Das Zuchthaus Remscheid-Lüttringhausen und seine Häftlinge im Frühjahr 1945, in: Armin Breidenbach und Jörg Becker (Hrsg.): Remscheid ‘45, Remscheid 2020, S. 165 – 188
  • Delabruyère-Neuschwander, Isabelle: L’aventure du Buhara. Résistance et déportation – 1940–1945. Sur les traces de Louis Delabruyère, eleve-pilote embarqué sur le Buhara, Bayeux (Frankreich) 2023
  • Historisches Zentrum Remscheid: Sterbebücher des Standesamts Lüttringhausen und Aufnahmebuch des Polizeigefängnisses Remscheid von 1944/45
  • Landesarchiv NRW – Abteilung Rheinland, Duisburg: Gerichte Rep. 331, Nr. 1 – 10 (Gefangenenkartei der Strafanstalt Remscheid-Lüttringhausen zur NS-Zeit)
  • Remscheider General-Anzeiger vom 26.8.2020, S. 16
  • Zum Strafvollzug 1933 – 1945 und seiner Vorgeschichte in der Weimarer Republik. Quellen und Materialien der Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“, Hrsg.: Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen „Gustav-Heinemann-Haus“, Dokumentations- und Forschungsstelle „Justiz und Nationalsozialismus“, Geldern o. J.
  • https://www.oranjehotel.org/
  • https://denhaag.com/de/kalender/das-leben-im-oranjehotel
  • https://www.oranjehotel.org/downloads/gedenkboek-oranjehotel-namenlijsten-van-_103.pdf

Beitragsfoto: Die JVA Lüttringhausen © Rainer Feistauer

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