Zu wenige Medienangebote für Menschen mit Behinderungen: Ergebnisse der Studie der Medienanstalten und der Aktion Mensch

Prof. Ingo Bosse (TU Dortmund): „Gleichberechtigte Teilhabe nur mit mehr barrierefreien Angeboten möglich.“

Für Menschen mit Behinderungen gibt es zwar immer mehr barrierefreie Medienangebote, allerdings noch nicht genug: Vor allem beim Fernsehen – für sie das wichtigste Medium – fühlen sich viele Menschen nach wie vor ausgeschlossen und können z. B. über aktuelle Sendungen nicht mitreden. Das sind zentrale Ergebnisse einer gemeinsamen Studie der Medienanstalten und der Aktion Mensch zur Mediennutzung von Menschen mit Behinderungen. Prof. Ingo Bosse (TU Dortmund) präsentierte die Studie gestern vor der Medienkommission der Landesanstalt für Medien. Erste Ergebnisse waren bereits im Oktober 2016 auf den Münchener Medientagen vorgestellt worden. Die Studie belegt erstmals mit aussagekräftigen, bundesweit ermittelten Daten, wie intensiv Menschen mit Behinderungen Medien nutzen und welch großes Marktpotenzial barrierefreie Angebote haben.

Danach nutzen 92 Prozent aller Deutschen mit Behinderungen regelmäßig das Fernsehen, und sie sehen länger fern als nichtbehinderte Menschen (im Durchschnitt mehr als vier Stunden täglich), aber sie stoßen noch immer auf viele Barrieren: 86 Prozent der gehörlosen und rund die Hälfte der blinden Befragten geben an, dass sie den Inhalten „gelegentlich“ bis „sehr oft“ nicht folgen können. 61 Prozent der gehörlosen Mediennutzer wünschen sich mehr Sendungen mit Untertiteln und blinde Mediennutzer mehr Audiodeskriptionen, die beschreiben, was gerade im Bild zu sehen ist.

Bosse sagte: „Daraus resultiert bei vielen behinderten Mediennutzenden eine Unzufriedenheit, eine gleichberechtigte Teilhabe ist vielen nämlich nicht möglich. Bei der Barrierefreiheit müssen Sender noch mehr tun als bisher. Eine bessere Inklusion ist nur mit mehr barrierefreien Angeboten möglich.“ Private Programme würden deutlich kritischer beurteilt als öffentlich-rechtliche Programme, sagte er weiter.

Mangelnde Tonqualität, Sprachverständlichkeit und eine komplizierte Anwendung (etwa der Fernbedienung) sind laut Studie Probleme, über die ebenfalls viele Menschen mit Behinderungen klagen.

Nach den Worten von Prof. Werner Schwaderlapp, Vorsitzender der LfM‑Medienkommission, macht die Studie deutlich, dass es bei den barrierefreien Angeboten der Sender seit einiger Zeit – auch Dank der Intervention der Medienanstalten – zu einer positiven Entwicklung gekommen ist: „Diese Bemühungen begrüßen wir ausdrücklich, sehen die Ergebnisse aber nur als einen wichtigen Zwischenschritt an. Das gesellschaftliche Ziel muss lauten, dass möglichst alle Bevölkerungsteile Medien nutzen können.“ Mehr Barrierefreiheit, das zeige die Studie, müsse auch nicht zwingend wirtschaftliche Nachteile bedeuten. „Deshalb fordert die Medienkommission die Sender auf, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen und für mehr barrierefreie Angebote zu sorgen.“

Die Studie liefert auch Ergebnisse über die beliebtesten TV-Formate: Demnach schauen und hören Nutzer mit Beeinträchtigungen jeden Alters am liebsten Spielfilme. Auch Reportagen, Dokumentationen und Nachrichten gehören zu den Formaten mit den meisten Anhängern. Auf der Beliebtheitsskala der 14- bis 49-Jährigen folgen danach Serien und Unterhaltungs-, Game- und Quizshows. Die über 50-jährigen TV-Nutzer schauen auch Magazine, Unterhaltungs- und Polit-Talkshows sehr gerne. Die jüngeren Zuschauer mit Beeinträchtigungen dagegen bevorzugen Formate aus dem Bereich Sitcom/Comedy, Reality-TV, Doku-Soaps oder Castingshows.

Die Studie wurde von der Technischen Universität Dortmund und dem Hans-Bredow-Institut für Medienforschung durchgeführt.

Prof. Ingo Bosse im Video-O-Ton zur Frage, was private TV-Sender aus seiner Sicht unternehmen müssten?

Hier die Langfassung der Studie:

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