VON WOLFGANG HORN
Documenta fifteen, eine, die Kunstausstellung in Kassel ist im Gerede, weil den Verantwortlichen offenbar ein Werk mit antisemitischen Zutaten durch die Lappen gegangen ist. Die Zielrichtung des Werkes war aber die Revolution nach dem Suharto-Regime in Indonesien, nicht die Herabsetzung und Schmähung von Juden, wie die indonesische Künstlergruppe glaubhaft versicherte. Die Folge aber dennoch: in nachgerade allen Medien ist die diesjährige Kunstaustellung diskreditiert.
Die Debatte findet statt im Feld der Politik. Zu Recht. Antisemitismus ist eine Haltung, die in Deutschland angesichts der schrecklichen deutschen Vergangenheit mit Krieg und Holocaust, mit Verfolgung und Ermordung von Millionen europäischer Juden gegen die Staatsräson gerichtet ist, die keinen Platz mehr finden darf in Gesellschaft und Politik, in Medien und Kunst, in Bildung und Erziehung. Aber. Die Documenta ist mehr als der vielfach kritisierte, vielfach besprochene Beitrag einer Künstlergruppe aus Indonesien. Und auch mehr als die politische Debatte um Verantwortlichkeiten, um Schuldzuweisungen, um Rücktrittsforderungen, um Förderungskürzungen.
Gestern habe ich von Cornelia Seng, der ehemaligen Pfarrerin in Wermelskirchen, die nunmehr in Kassel lebt und von dort aus unter anderem Berichte über die Documenta für das Forum Wermelskirchen schreibt, erfahren, daß die Documenta auch ein Ort ist, „der Kinder ermutigen soll, Kunst und Kultur zu entdecken. Kinder werden motiviert, miteinander Kontakt aufzunehmen. Sie können ihr Wissen austauschen und zusammen auf neue Ideen kommen, gemeinsam kreativ werden.“ Vor ein paar Tagen hat mich Cornelia Seng mit merkwürdig-schrägen Kunstwerken aus Schrott, geschaffen von einer haitianischen Künstlergruppe, bekannt gemacht, die eine eigentümliche Verbindung eingehen mit der äußeren und inneren Architektur einer Kirche. Die Plastiken aus Haiti verstören, weil sie traumatischen Erfahrungen der Menschen mit der Versklavung ihrer Vorfahren aufgreifen. „Sie transportieren eine andere Welt in diesen Kirchraum. Es ist eine Welt, die erschreckt, verstört. Die Figuren wollen mich mit den Menschen in Haiti verbinden. Ich lerne, die Welt mit ihren Augen zu sehen.“ Documenta, das sind 32 Standorte. Etwa die Grimmwelt, ein Museum für Sprache und Forschung der Brüder Grimm in Kassel. Dabei geht es um Geschichten, um das Geschichtenerzählen, neudeutsch ums Storytelling. In einem weiteren Beitrag hat uns Cornelia Seng mit dem „Lumbung“-Prinzip vertraut gemacht, mit der Idee der indonesischen Reisscheune im Dorf, „in die jeder einlagern kann, was er übrig hat. Eine genossenschaftliche Idee. Friedrich Wilhelm Raiffeisen wäre beglückt. Und ich bin es auch. Im Miteinander gestalten wir die Welt, wir hören aufeinander, gemeinsam entwickeln wir Ideen. Nichts mehr mit Einzelkämpfern in der Ellenbogengesellschaft.“
Kurzum: Cornelia Seng hat mich mit ihren Beiträgen mit Aspekten, Ideen, Kunstwerken und kulturellen Leitideen der Documenta versorgt, die ich anderswo nicht habe lesen können, die unterhalb der Schwelle reißerischer Überschriften stattfinden, in Kassel, dieses Jahr, jeden Tag, auf der Documenta. Vielen Dank. Ich danke Cornelia Seng sehr, gewiß im Namen sehr vieler Leser. Und; Kassel ist nicht so sehr weit. Die Documenta geht noch bis September. Also …