VON UWE BLASS
Am Institut für Bildungsforschung beschäftigt sich Jun.-Prof. Dr. Miriam Schwarzenthal in der Schulischen Sozialisationsforschung mit Freundschaften in der Migrationsgesellschaft.
Interethnische Freundschaften begünstigen den Spracherwerb, helfen andere Kulturen zu verstehen und bauen Vorurteile ab. Dennoch ist das Zustandekommen dieser Beziehungen, die sich in der Regel bereits im Kindesalter, durch Schule, Sport oder andere Vereine entwickeln, oft schwierig, weiß die Bildungsforscherin Miriam Schwarzenthal und sagt: „Freundschaften scheitern leider auch heute noch an sozialen Ungleichheiten.“
Freundschaft
„Freundschaft ist eine Art länger andauernde Beziehung, die freiwillig eingegangen wird, und in der auch eine emotionale Bindung besteht. Es ist eine wechselseitige Beziehung. Man mag sich gegenseitig, es geht einem gut damit und es interessiert einen auch, ob es dem anderen gut geht“, erklärt die Wissenschaftlerin.
Wie wichtig Freund:innen im täglichen Leben sind, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Im Idealfall sind sie immer da, helfen bei Familienproblemen ebenso wie bei alltäglichen Schwierigkeiten und haben immer ein offenes Ohr. Doch um sie zu finden und kennenzulernen, weiß Schwarzenthal, brauche es Nähe. Daher ist für sie eine der wichtigsten Fragen: „Wann begegnet man überhaupt Menschen aus anderen sozialen oder kulturellen Gruppen?“
An dieser Stelle spielt die Schulform eine wesentliche Rolle. „Wenn beispielsweise die Eltern Abitur gemacht haben,“ erklärt sie, „gehen deren Kinder meist auch aufs Gymnasium. Wenn die Eltern kein Gymnasium besucht oder Abitur gemacht haben, ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sie eine Hauptschule oder Realschule besuchen. Ein Ausdruck sozialer Ungleichheit in Deutschland ist auch, dass Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen sehr ungleich über die verschiedenen Schulformen verteilt sind“ Das bedeute, dass diese Kinder von vornherein im Kontext Schule nicht aufeinandertreffen könnten.
Ein weiterer Faktor sei der Aspekt der Ähnlichkeit. „Menschen tendieren dazu, sich eher mit Menschen anzufreunden, die ihnen selber ähnlich sind. Wenn man dann über seine eigenen Freunde und Freundinnen nachdenkt, stellt man oft fest, dass diese einen ähnlichen Hintergrund oder ähnliche Interessen haben“, erzählt die Forscherin. Dazu kommen auch gleiche Werte oder auch Hobbies. Um den sozialen und ethnischen Hintergrund jedoch herauszufinden, müsse man sich aber eben erst einmal kennenlernen, und da gebe es bei interethnischen Beziehungen Erschwernisse.
„Hindernde Faktoren, die Freundschaften über Gruppengrenzen erschweren, sind Vorurteile, Ängste und Stereotype gegenüber anderen sozialen oder auch ethnischen Gruppen“, betont Schwarzenthal, und das erweise sich zunächst einmal bei vielen Menschen als Barriere, denn man lasse sich nicht unbefangen auf eine Situation ein und könne dann natürlich auch nicht die möglichen gemeinsamen Interessen, Werte und Hobbies entdecken, die man mit dem Gegenüber teilen könnte.
Vorurteile abbauen
„Freundschaften sind optimal dafür, Vorurteile zwischen Menschen aus unterschiedlichen Gruppen abzubauen“, betont Schwarzenthal, die sich am Institut für Bildungsforschung an der Bergischen Universität mit der Schulischen Sozialisationsforschung beschäftigt. Menschen mit interethnischen Freundschaften, weiß die Wissenschaftlerin aus gut untersuchten sozialpsychologischen Befunden, hätten daher erwiesenermaßen weniger Vorurteile. Unterstützend dabei sei immer der Kontakt auf Augenhöhe. Dies fördere zudem die sozialen und interkulturellen Kompetenzen. „Menschen, die mehr interethnische Freundschaften haben, haben auch mehr Sozialkompetenzen.“
Im Rahmen ihrer Dissertation hat Schwarzenthal dazu auch mit Schüler:innen der 6., 8. und 10. Klasse an Schulen in NRW Studien durchgeführt und die Kinder nach ihren interethnischen Freundschaften befragt. „Da haben wir u.a. gefragt, ob sie mit ihren Freundinnen auch über kulturelle Variationen sprechen, z.B. über unterschiedliche Religionen und über Diskriminierungserfahrungen.“
In Situationstests versuchte sie anschließend herauszufinden, wie die Schüler:innen interethnische Interaktionen interpretierten und wie sie auf diese reagierten. „Dabei haben wir herausgefunden, dass die Kinder, die viele interethnische Freundschaften haben, und mit ihnen über Unterschiede und Gemeinsamkeiten sprechen, eine höhere interkulturelle Kompetenz aufweisen.“
Stärkung des Bewusstseins für soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft?
Offen ist noch, ob und unter welchen Bedingungen interethnische Freundschaften auch ein Bewusstsein für Diskriminierung und soziale Ungleichheiten in der Gesellschaft fördern können. “Viele Bildungswissenschaftler:innen und Erziehungswissenschaftlerinnen weisen darauf hin, dass es wichtig ist zu wissen, dass es soziale Ungleichheiten und rassistische Strukturen in der Gesellschaft gibt und dass manche Gruppen schlechter oder besser behandelt werden als andere.“
Angesichts dieser Tatsachen können interethnische Freundschaften möglicherweise auch dazu beitragen, dass man ein besseres Verständnis für die Perspektive unterschiedlicher Gruppen in der Gesellschaft erwirbt, denn, so sagt die Wissenschaftlerin: „Wenn man mit seinem Freund oder seiner Freundin spricht, die einer ganz anderen Gruppe angehören als man selbst, sieht man vielleicht auch, wo Menschen anders behandelt werden. Oder man hört von ihnen Geschichten über Diskriminierungserfahrungen. Dann wäre zumindest anzunehmen, dass das auch mein eigenes kritisches Bewusstsein fördert.“
Eine Studie aus den USA mit Erwachsenen, die im Kontakt zu anderen Gruppen über Diskriminierung und Ungleichheit gesprochen haben, belegt zumindest, dass sie danach bereit waren, gegen diese Missstände vorzugehen. Daran erkenne man auch, dass man seine Erfahrungen besser reflektieren könne, wenn mein Gegenüber ein Gesicht habe und nicht zu einer anonymen Masse gehöre.
Die Rolle der Schule für die Förderung interethnischer Freundschaften
„Schule kann auf jeden Fall dazu beitragen, interkulturelle und interethnische Freundschaften zu fördern, indem sie die Auseinandersetzung mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden anregt und den Kontakt zwischen Schüler:innen verschiedener Hintergründe unterstützt.“ Dazu könnten Schulen unterschiedliche Ansätze wählen, die dem individuellen Schulklima entsprächen. Eine Möglichkeit wäre z.B. ein kooperatives Lernen in Gruppenarbeiten von Kindern unterschiedlicher Gruppen anzubieten. In diesen Gruppen müssen sich die beteiligten Kinder austauschen und lernen sich dabei besser kennen.
Darüber hinaus könnten die Kinder angeregt werden, zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen verschiedenen Gruppen zu reflektieren. Blende man Unterschiede und Gemeinsamkeiten also nicht aus, die ja für eine Gruppenzugehörigkeit auch wichtig seien, zeige dies schon eine offenere Einstellung gegenüber Menschen aus anderen Gruppen.
Den zweiten Blick zulassen
In einer Maßnahme mit dem Titel ´Identitätsprojekt`, die Kolleg:innen von Schwarzenthal dazu an einer Schule in Berlin durchgeführt haben, zeigte sich, dass sich die Einstellungen zu anderen Gruppen veränderten und offener wurden, sobald die Schülerinnen sich aktiv mit kulturellen Hintergründen auseinandergesetzt hätten.
„Menschen,“ sagt Schwarzenthal abschließend, „nehmen Ähnlichkeiten auf den ersten Blick nicht unbedingt wahr, sondern der zweite Blick wird wichtig. Und wenn der nicht erfolgt, werden Freundschaften erschwert.“
Dr. Miriam Schwarzenthal ist neue Juniorprofessorin für Schulische Sozialisationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Sozialisation in Schul-, Familien- und Peerkontexten, vor allem in Bezug auf kulturelle Vielfalt und soziale Ungleichheit.
Beitragsfot0: Freundschaften in der Migrationsgesellschaft, Jun.-Prof. Dr. Miriam Schwarzenthal / Institut für Bildungsforschung © Friederike von Heyden / Fotos im Text © Pexels.com