VON WOLFGANG HORN
Autofahrer wissen es. Runderneuerte Reifen sind keine neuen Reifen. Es sind gebrauchte Reifen, denen man ein neues Profil eingeschnitten oder aufgeklebt hat. Man darf sie verwenden, es ist legal und gesetzlich geregelt in Deutschland. Und: sie sind billiger. Gleichwohl: Es bleibt ein ungutes Gefühl. Runderneuerung, wie heute in den Nachrichtensendungen im Fernsehen allenthalben zu hören, Runderneuerung ist mithin keine wirklich gute Vokabel zur Beschreibung des Prozesses, vor oder in dem sich die CDU befindet. Will sich die CDU wirklich mit nachgeschnittenem Profil auf alten Reifen auf den Weg in die Zukunft machen? Mit Merz oder Zimiak, mit Röttgen oder Spahn? Stehen diese Namen, auch wenn zwei ihrer Träger jünger sind als die beiden anderen, wirklich für Aufbruch, für Zukunft, für Erneuerung? Für konsequente Klimapolitik, für Erneuerung des Gesundheitswesens, für konsequente Digitalisierung, für Decarbonisierung, für eine bessere Bildungslandschaft in der Republik, für bezahlbares Wohnen, eine anständige Altersrente, für ein Eindämmen der sozialen Spaltung des Landes? Nein. Dafür war in 16 Jahren Regierungsdominanz der Union kaum Platz. Stattdessen gab es eine an den Interessen der großen Industrieunternehmen orientierte Klientelpolitik. Der Autoindustrie nicht wehtun und den Interessen der Energiekonzerne folgen. Kein einziges digitales Projekt aus den vier Koalitionsverträgen aus anderthalb Jahrzehnten wurde umgesetzt. Die bayerischen Verkehrsminister haben allesamt total versagt. Kein Tempolimit auf den deutschen Autobahnen, wie allerorten in Europa. Die deutsche Solarindustrie wurde komplett dezimiert. Das Gesundheitswesen wurde privatisiert, mit allen schlechten Folgen, wie sie in der Pandemie sichtbar geworden sind. Die Bildungslandschaft der Republik ist verbesserungsbedürftig. Kurzum: Die Zukunft ist unter der Regierungsdominanz der Union verschlafen worden. Der Kampf um den richtigen Kurs in der CDU hat soeben erst begonnen. Häme ist da nicht angebracht. Alle Parteien sind noch auf der Suche nach dem richtigen Weg. Keine hat das Rezept, wie man Stroh zu Gold spinnen kann. Klammheimliche Freude auf anderen Parteisesseln verbietet sich, auch wenn die unionseigene Arroganz der Macht vor den Wahlen mitunter doch deutlich zu spüren war.