Zum Erntedankfest

Ein Wort zum Montag, dem 4. Oktober 2021 

VON CORNELIA SENG

Wieder ist Erntedankfest. Im benachbarten Seniorenheim ist schon freitags Gottesdienst. Auch hier wird Erntedank gefeiert. Vor dem Altar liegen Kartoffeln, Möhren und anderes Gemüse. Wir singen: „Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand“. Das Lied kenne ich schon aus meiner Kindheit. Als ich klein war, haben meine Eltern noch den Garten bestellt. Dankbar haben sie sich gefreut, wenn sie etwas ernten konnten. Wie lange ist das her? Heute kaufe ich das meiste im Supermarkt ein, fertig verpackt oder tiefgefroren. Passt das Lied heute noch? Passt das Erntedankfest heute noch? 

In der vergangenen Woche war ich bei unserer Tochter in Karlsruhe. Es blieb Zeit für einen Besuch im „Zentrum für Kunst und Medien“. Die aktuelle Ausstellung trägt den Titel „Critical Zones – Horizonte einer neuen Erdpolitik“. Berichte und viele Videos über Messstationen, Ergebnisse aus Laboren – alle künstlerisch aufbereitet – haben mich erwartet. Der Ort, w o ich lebe, ist nicht identisch mit den Orten, v o n denen ich lebe, erfahre ich. Natürlich, ich verbrauche Kaffee aus Afrika und Tee aus Asien. Gerade mal eine Hand voll Petersilie wächst auf unserem Balkon. Der Strom braucht Wind von der Nordsee oder Kohle oder Gas.

Alles Leben spielt sich nur auf der wenig dicken Erdkruste ab. Nur in diesem Miteinander der Elemente und der Lebewesen haben sich „lebensbejahende Bedingungen“ entwickelt. Sie greifen auf komplexe Weise ineinander und machen so das Leben erst möglich. Eigentlich weiß man noch wenig von diesen Bedingungen, nur dass „der Einfluss des Menschen innerhalb dieser dünnen, verletzlichen und hochkomplexen kritischen Zone zerstörerische Auswirkungen hat“, heißt es auf einer der Tafeln. Wie auf einer Intensivstation im Krankenhaus braucht die Erde eine „Intensivbehandlung“, wenn sie wieder gesund werden soll.

Die vielen Berichte in der Ausstellung lassen mich ehrfürchtig werden. Ehrfürchtig vor dem Geheimnis des Lebens. Ob das gelingen kann, dem „Patienten Erde“ wieder zur Heilung zu verhelfen? 

Das Lied zum Erntedankfest hatte ursprünglich eine andere erste Strophe, erfahre ich aus dem Gesangbuch (eg 508):

„Im Anfang war‘s auf Erden noch finster, wüst und leer;
Und sollt was sein und werden, musst es woanders her.
So ist es zugegangen im Anfang, als Gott sprach;
Und wie es angefangen, so geht‘s noch diesen Tag.
Alle gute Gabe kommt her von Gott, dem Herrn,
drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt,
und hofft auf ihn.“

Ja, die „lebensbejahenden Bedingungen“ auf der schmalen Erdkruste kommen von „woanders her“. Gott hat sie erdacht. Gott sei Dank!

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