„Durchhalten, bis ein Impfstoff verfügbar ist“

Den nachfolgenden Beitrag von Georg Watzlawek entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach, in-gl.de:

Rheinisch-Bergischer Kreis | Nach Einschätzung von Sabine Kieth, der Leiterin des Gesundheitsamtes, ist auch der Kreis Rhein-Berg im Kampf gegen Corona an einem gefährlichen Punkt angelangt. Nicht etwa, weil die Zahl der Fälle wieder steigt – sondern weil sich eine Lässigkeit einschleichen könnte. Der Kreis sei gut aufgestellt, jetzt komme es auf die Disziplin aller an, um eine zweite Welle und neue Einschränkungen zu verhindern.

Sabine Kieth ist Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen und Allgemeinmedizin und ging in ihrer Doktorarbeit der Frage nach, wie der Gesundheitsdienst auf Infektionen in einer Gemeinschaftseinrichtung reagieren soll. Am 1. April trat Kieth ihre Stelle als Leiterin des Gesundheitsamtes Rhein-Berg an, fand sich in einem rasch wachsenden Lagezentrum wieder und war sofort in ihrem Element. „Grundsätzlich macht mir eine Häufung von Infektionen keine Angst, damit kenne ich mich aus”, sagt die Ärztin im Gespräch mit dem Bürgerportal.

Es sind auch nicht die seit einigen Tagen wieder anziehenden Infektionszahlen, die Kieth in Sorge versetzen. Diese seien kein Beleg dafür, dass sich bereits eine „zweite Corona-Welle” aufbaut, sondern zunächst einmal eine Folge der veränderten Testpraxis. 

Mehr Tests, mehr Fälle

Seien in den Wochen zuvor nur Patienten mit eindeutigen Symptomen und ihre Kontaktpersonen getestet worden, so seien es jetzt mit den Reiserückkehrern eine große Gruppe von Personen. „Wer viel testet, der findet mehr”, sagt Kieth. 

Dass die Zahl der Tests deutlich gestiegen ist, lässt sich daran ablesen, dass die privaten Labors mit der Auswertung der Ergebnisse aktuell überlastet sind: statt ein bis zwei Tage dauert es mitunter eine ganze Woche, bis das Ergebnis vorliegt.

Dabei weiß das Gesundheitsamt gar nicht, wie viele Tests im Rheinisch-Bergischen Kreis insgesamt durchgeführt werden. Denn die Reiserückkehrer werden – ebenso wie Patienten mit Beschwerden – von den Hausärzten unter Koordination der kassenärztlichen Vereinigung getestet. Das Gesundheitsamt erfahre nur von den positiven Fällen, aber nicht die Gesamtzahl der Tests. 

„Die Hausärzte kümmern sich um ihre Patienten, um individuelle Diagnosen. Im Gesundheitsamt betreiben wir Bevölkerungsmedizin,” erläutert Kieth. 

Infektionsketten erkennen und brechen

Das heißt konkret: Sobald eine Person, die im Rheinisch-Bergischen Kreis wohnt, positiv getestet wird, geht eine Meldung an das Gesundheitsamt, das dann möglichst rasch alle relevanten Kontaktpersonen ermittelt und testet. 

Nach wie vor liege das Hauptaugenmerk des Gesundheitsamtes darauf, Infektionsketten zu erkennen und sehr schnell zu unterbrechen. Dabei gehe das Amt noch gründlicher vor als zu Beginn der Pandemie; inzwischen werde jede Kontaktperson in der Quarantäne ein oder auch zweimal getestet. 

Grundsätzliche Zweifel an den Ergebnissen der Tests hat Kieth nicht: die Tests seien sehr zuverlässig. Daher müsse man davon ausgehen, dass jeder, der positiv getestet wurde, auch infiziert und damit infektiös ist. 

Tests sind nur eine Momentaufnahme

Die Reiserückkehrer stehen zwar im Moment im Fokus, von ihnen gehe aber keine so große Gefahr für eine flächendeckende Weiterverbreitung aus, vermutet Kieth. Denn sie hätten – über die eigene Familie hinaus – in der kritischen infektiösen Zeit kaum Kontakte hier in der Heimat gehabt. 

Mit Sorge verfolgten aber die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes, dass sich in der Sommer- und Ferienzeit eine Lässigkeit im Umgang mit der Pandemie eingeschlichen habe. Und das bei Personen, die häufig hier vor Ort eine große Zahl von Kontakten haben. 

Zudem bestehe die Gefahr, dass die Rückkehrer nach einem negativen Test ebenfalls leichtsinnig werden. „Tests sind gut und schön, aber immer nur eine Momentaufnahme”, sagt Kieth. Wer heute negativ getestet werde könne morgen womöglich Viren übertragen. „Darum bleibt die AHA-Regel für jeden so wichtig: Abstand, Hygiene, Alltagsmasken”, betont die Ärztin. 

Zahl der Kontakte steigt mit Ferienende an

Umso mehr, als mit dem Ende der Ferien, dem Regelbetrieb in Kitas und Schulen die Zahl der täglichen Kontakte wieder stark ansteigt. Ein Einzelner könne dann schnell weitere Personen infizieren, befürchtet Kieth. 

Einen solchen Multiplikatoreffekt habe es in Rhein-Berg nur in wenigen Fällen gegeben, vereinzelte Infektionen in Kitas und Schulen seien eng begrenzt geblieben. Mit einer Ausnahme: in einigen Pflegeheimen war es zu Mehrfach-Infektionen gekommen, dort waren aufgrund des besonders gefährdeten Personenkreises auch die meisten der bislang 22 Todesfälle im Kreis zu verzeichnen gewesen. 

Kieth warnt davor, die gesundheitlichen Gefahren klein zu reden. Für Risikogruppen könne das Virus tödlich sein, bei jüngeren Patienten könne es zu chronischen Schäden der Lunge kommen.

Die Zahlen im Überblick (Stand: 13.8.2020)

Regeln und Konzepte einhalten

Für Gegenwart und Zukunft leitet das Gesundheitsamt aus den Erfahrungen einige Maßgaben ab. Zum einen hält Kieth das Tragen von Masken für sehr wichtig – und auch die Maskenpflicht im Unterricht der weiterführenden Schulen für notwendig. Hier komme auch den Lehrern eine Vorbildfunktion zu. 

Zum anderen müssten alle Einrichtungen daran arbeiten, die Bezugsgruppen klein zu halten – und diese Einteilung durchzuhalten. „Was hilft es, wenn sich ein Pfleger zwar immer nur um die gleichen zwei Bewohner kümmert – in der Kaffeeküche dann aber mit den Kollegen eng zusammensteht”, fragt Kieth. 

Bekommt sie da nicht mit dem Blick auf den Regelbetrieb in den Schulen ein mulmiges Gefühl? „Ja”, lautet die Kieths knappe Antwort. Soweit das Gesundheitsamt es überblicken könne hätten die Schulen viel Mühe und Aufwand in vernünftige Hygienekonzepte gesteckt. Aber die müssten jetzt auch gelebt werden. 

Mit Sorge blicke sie daher auf das Verhalten der Lehrer in den häufig engen Lehrerzimmern. Und das Verhalten der Schüler nach Schulschluss. 

Nur sehr ungern, so Kieth, wolle das Gesundheitsamt wieder ganze Schulen, Kitas oder Heime schließen müssen, auch eine drastische Beschränkung der Besuchsregeln sei sozial nicht verträglich.

Lehrerkonferenz des NCG: in der Sporthalle, mit Abstand

Gesundheitsamt hat sich vorbereitet

Die vergangenen Wochen seien gut genutzt worden, die Vorräte an Masken und anderer Schutzausrüstung seien gut gefüllt. Zudem habe sich das Gesundheitsamt von vielen Einrichtungen die Hygienekonzepte vorlegen lassen. „Wo es auch nur einen Hauch von Zweifel gibt, gehen wir hin,” betont Kieth. 

Bei besonders sensiblen Bereiche wie etwa die Sammelunterkünfte für Flüchtlinge habe das Gesundheitsamt die Hygienekonzepte systematisch überprüft, mit den Krankenhäusern gebe es einen ständigen Austausch. 

Keine Änderung der Strategie

Für die absehbare Zukunft hält Kieth an der aus ihrer Sicht bewährten Strategie der vergangenen Monate fest: Infektionsketten rasch umfassend erkennen – und unterbrechen.

Dafür sei die Kreisverwaltung organisatorisch gut gerüstet. Zwar sei das Lagezentrum, in dem zwischenzeitlich bis zu 80 Mitarbeiter zusammengezogen waren, in der Zwischenzeit wieder deutlich reduziert worden. Die Strukturen sind aber erprobt – und könnten bei Bedarf innerhalb von anderthalb Tagen wieder hochgefahren werden. 

Zudem könne das Gesundheitsamt auf einen Pool von eigenen Fachkräften zurückgreifen und externe Mitarbeiter rekrutieren, die sich auch über das Helferportal hatten registrieren lassen.

Der Verlauf der Pandemie in RheinBerg: Die Grafik zeigt jeweils die Zahl der Infektionen der vergangenen sieben Tage je 100.000 Einwohner. Der bisherige Höhepunkt war im April mit knapp 40 Fällen erreicht. Dann ging die Zahl auf fast Null zurück, derzeit sind es zwölf.

Cluster & Superspreader nicht in Sicht

Daher sieht Kieth hier vor Ort nicht die Gefahr, dass die Zahl der Infektionen so rasch anzieht, dass eine Einzelfallverfolgung nicht mehr möglich ist. Eine Neuausrichtung der Strategie, dass sich das Gesundheitsamt zum Beispiel auf sogenannte Superspreader oder Ansammlungen (Cluster) von Infektionen fokussiert, sei in Rhein-Berg kein Thema.

Natürlich sei auch hier ein Extremfall nicht auszuschließen, wie ihn etwa Gütersloh mit der Fleischindustrie erlebt habe. Aber solche kritischen Strukturen gebe es in Rhein-Berg nicht, auch mit Ischgl sei der Kreis nicht zu vergleichen. 

„Ausschließen kann man nichts – aber ich hoffe sehr, dass wir nie in die Situation kommen, in der wir einzelne Fälle nicht mehr nachverfolgen können”, sagt Kieth. 

Flächendeckende Lockdowns verhindern

Grundsätzlich geht sie auch nicht davon aus, dass es erneut zu großen, flächendeckenden Lockdowns kommen wird. Gerade dafür sollen die Hygienekonzepte sorgen – dass im Fall der Fälle nicht ganze Schulen, Kitas, Seniorenheime oder Unternehmen geschlossen werden müssen, sondern nur die jeweils betroffenen Gruppen, Klassen oder Abteilungen.

„Das setzt voraus, dass die Hygienekonzepte umgesetzt werden – und sich wirklich alle daran halten”, appelliert Kieth. 

Eine Lockerung der allgemeinen Beschränkungen, etwa für Großveranstaltungen, sei daher vorerst nicht absehbar, warnt Kieth. „Wir müssen durchhalten, bis ein Impfstoff verfügbar ist und in diesem Winter einen sehr langen Atem haben.”

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