„Pepe Mujica“. Von Heidi Specogna (Arte Mi 06.07.2016, 22.55-00.25)

Von Fritz Wolf

„Wenn ich mich selbst beschreiben soll, dann bin ich ein Erdklumpen auf Füßen“. Das sagt Pepe Mujica von sich, der ungewöhnlichste Staatspräsident auf diesem Planeten -inzwischen ist er wieder normaler Abgeordneter. Heidi Specogna erzählt in einem berührenden Film von diesem homo politicus. (Arte Mi 06.07.2016, 22.55-00.25)

Mit dem Erdklumpen auf Füßen meint Pepe Mujica nicht nur, dass er von der Erde lebt und für die Erde, sondern auch, dass er gern Bauer ist, dass er Raum braucht für sich, Land und Erde und Blumen. Er war einer der militärischen Leiter der Untergrundorganisation Tupamaros, die sich gegen die Militärdiktatur bewaffnet zur Wehr setzten, verbrachte lange Jahre im Gefängnis verbrachte. Seit 2010 ist er Präsident Uruguays und ein Bauer geblieben. Er wohnt auf der alten Finca und gärtnert, wenn er Zeit hat. Bei ihm ist seine Frau Lucia, bei den Tupamaros haben sie sich kennen gelernt. Sie ist in die Politik gegangen wie er und sie ist Parlamentspräsidentin. Seine Vereidigung zum Staatspräsidenten hat sie ihm abgenommen. Und sie räumt ihm in ihrer Funktion immer noch die Hindernisse aus dem Weg. Uruguay, ein Familienunternehmen?

Die Filmemacherin Heidi Specogna kennt Josè Mujica, genannt Pepe, schon lange. 1996 hat sie einen Film über ihn gedreht („Tupamaros“) , über die Zeit im bewaffneten Kampf, über die Massenflucht aus dem Gefängnis in Buenos Aires, über seinen Einstieg in die Politik. Eigentlich habe er keine Lust, Abgeordneter zu werden, sagte er damals. Er hatte doch, 2010 ist er Präsident geworden. Jetzt ist er 80, seine Amtszeit ist im Vorjahr zu Ende gegangen. Die Autorin, die auch sonst in ihren Filmen immer langen Atem beweist, zieht noch einmal den historischen Bogen und sie stellt die Frage aller Fragen: Was wird aus den Idealen, was aus den Träumen, wenn die Macht ruft? Was ist aus dem sozialistischen Tupamaro geworden?

Eine schöne Szene erzählt davon, wie in einem Dorf an Arme neue, winzige Häuser übergeben werden. Mujica hält wieder eine Rede. Er hält viele Reden. Er spricht von den Träumen, die man nicht aufgeben darf, dass die Not noch lange nicht gelindert ist und dass die Frauen die meiste Last zu tragen haben, wenn die Männer sich nach zwei, drei Kindern davonmachen. Im Interview sagt er dann: Ein Haus zu übergeben, nein, das sei nicht Sozialismus, das sei keine Revolution. Aber es diene der menschlichen Würde. Er ist ein Prediger der einfachen Leute und ein Prediger des einfachen Lebens.

Offenbar ist Mujica ein volkstümlicher Präsident. Er folgt lateinamerikanischen Sitten und hält lange Ansprachen im Radio. Was seine Politik angeht, konzentriert der Film sich auf das, womit Uruguay in den letzten Jahren das meiste Aufsehen erregt hat: die Legalisierung von Marihuana. „Der Krieg gegen die Drogen“ ist gescheitert, so Mujicas Credo, man müsse neue Wege gehen, der Drogenmafia den Boden entziehen. Er gewinnt die Abstimmung im Parlament. Sein Gegner ist Bordaberry, der Sohn eines früheren argentinischen Präsidenten, der die Tupamaros bekämpft und in die Gefängnisse gesteckt hat. Sie respektiere dessen Ansichten, sagt Lucia, die Parlamentspräsidentin. Sie könne die Irritation der Opposition verstehen, wenn ein früherer Tupamaro nunmehr Präsident sei. Sie sagt es aber so, dass man weiß, wieviel Genugtuung es ihr bereitet, so generös sein zu können.

Einmal kommt Pepe Mujica auch zum Staatsbesuch nach Deutschland. Er reise nicht mehr gerne, sagt er: „Wer alt wird, bewegt sich nur ungern aus dem Haus“. Aber sein Außenminister nervt ihn schon seit langem. Und wieder hält er eine Rede. Erst merkt er selbstironisch an, er sei hier, um Uruguay zu verkaufen, um Uruguay anzubieten, da es keine Zauberei gebe, brauche es Investitionen. Zu Hause hat er zwei alte VW-Käfer in einem Verschlag stehen, hier wird er mit Staatskarosse durch Berlin kutschiert. Noch nie sei er in einem so großen Auto gefahren, sagt er zu Merkel, er fahre privat immer nur Käfer. Und die Kanzlerin hört sich das an, lächelt freundlich, Ach, einen Käfer, wirklich? Irgendwie muss er ihr vorgekommen sein wie ein Mann von einem anderen Stern.

Der versammelten Politprominenz in Berlin jedenfalls sagt Mujica, was er wohl schon tausendmal gesagt hat, dass nämlich die Politik die Wirtschaft dazu bringen müsse, Verantwortung zu übernehmen. Vieles, was er sagt, hat er wohl schon oft gesagt. Immerzu geht es ihm ums Leben, er argumentiert gegen Hektik, gegen rasenden Konsum, gegen den Kapitalismus und dass es falsch sei, dessen Spielregeln zu verinnerlichen. Einmal beginnt er seine Rede mit den Worten: „Ich will hier laut denken, gemeinsam mit Euch.“

Und neben den Reden ist da dieser alte hellwache Mann im Interview, das eigentlich ein Gespräch ist, in dem er nachdenkt, reflektiert, den nahenden Tod bedenkt. Er formuliert seine Gedanken, ob das neue Drogengesetz der Jugend hilft. Einmal spielt er einen Tango vor und singt leise und melodiös mit.

Von ihm könnte man lernen, denkt man, wie Politik geht, wie einfach Politik sein kann (Mujica trägt übrigens wie Tsipras und Varoufakis keine Krawatte, auch nicht bei Staatsbesuchen, aber ein Anzug passt ihm nie und nimmer, kein Anzug der Welt), und dann schaut er in die Kamera und sagt, die Realität sei viel komplexer als das Bild, das er sich davon mache und die Arbeit mit den Händen helfe ihm, geistig nicht abzuheben.

Seine Frau Lucia ist meist bei ihm, privat und im Staatsapparat, seine „Gefährtin“ wie er sie nennt. Undramatisch beschreiben sie ihre Liebesgeschichte: „Man hat sich eben zusammengetan“. Die Schlusseinstellung des Films zeigt sie beide auf ihrem Hof. Er liest Zeitung, sie bringt einen Kaffee. Er liest noch etwas, dann steckt er die Zeitung hinter sich, nimmt den Kaffee – und greift dann hinter sich und gibt die Zeitung seiner Frau. Jetzt liest sie Zeitung und er trinkt Kaffee. Gesten voller Vertrautheit, alltäglich, lapidar, großartig.

http://www.pepe-mujica.de/

www.wolfsiehtfern.de

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