VON WOLFGANG HORN
Die Meinungsfreiheit ist konstitutiv für die Demokratie. Sie ist eines der höchsten Güter, das die Verfassung allen Menschen garantiert, die hier leben. Dieses Recht, offen und öffentlich seine Meinung darzulegen, gilt für jedermann, ganz unabhängig von seiner politischen Position, für Menschen jeden Glaubens und jeder Herkunft, für alle sozialen Schichten, für Kluge und Dumme gleichermaßen, für Kotzbrocken und Sympathieträger, für Prominente und Unbekannte, für Rechte und Linke, Liberale oder Hausbesetzer.
Die Meinungsfreiheit ist universell. Dabei darf bei weitem nicht alles gesagt werden. Antisemitismus beispielsweise, Rassismus, Aufrufe zur Gewalt, Holocaust-Leugnung sind verboten und gehören bestraft. Die Meinungsfreiheit wird beschränkt durch Gesetze. Nur durch Gesetze. Nicht durch Lautstärke, Krawalle, Trillerpfeifen, Verstärker oder große Menschengruppen.
Als neulich eine Buchvorstellung des Ex-Innenministers de Maizière in Göttingen blockiert wurde, war das kein „Akt des zivilgesellschaftlichen Protests“, wie die Verantwortlichen vorgaben, sondern eine ungesetzliche Beschränkung der Meinungsfreiheit. Wenn Hans-Georg Maaßen oder Bernd Lucke, letzterer gar an seinem Arbeitsplatz, daran gehindert werden, öffentlich zu sagen, was sie zu sagen haben, ist das eine Einschränkung des Grundrechtes auf Meinungsfreiheit dieser beiden Herren, mögen sie einem auch noch so wenig sympathisch erscheinen.
Das Label „Antifa“ mag einem dagegen noch so sympathisch sein: wenn unter dieser Flagge Menschen andere daran hindern, öffentlich aufzutreten, sind sie an der undemokratischen Beschneidung von Grundrechten beteiligt. Zur Meinungsfreiheit gehört eben auch die Kraft, Dissens auszuhalten. Es ist ein Merkmal unserer Demokratie, daß unterschiedliche, auch gegensätzliche Auffassungen nebeneinander stehen dürfen, mit dem gleichen Recht. Gegen jede Meinung darf eine andere, eine gegensätzliche gestellt werden. Mit dem Recht der Meinungsfreiheit. Man darf gegen einzelne Positionen, politische Auffassungen, Sprache, Texte Stellung beziehen, man darf Kritik üben, opponieren, auch protestieren. Das ist das Salz in der Suppe der Demokratie.
Nichts aber rechtfertigt ungesetzliche und individuelle Gewalt gegen Einzelne, die lediglich ein von der Verfassung garantiertes Recht wahrnehmen. Selbst brachiale Formen des Protestes gegen beispielsweise AfD-Politiker, ihr Ausschluss aus dem Diskurs werden nicht bewirken können, daß Ressentiments, die diese vertreten, verschwinden. Andersdenkenden ihre Plattform zu nehmen, ist der Auftakt zu einem repressiven Meinungsklima, das sich über kurz oder lang gegen jene wenden wird, die sich für die Sicherung und Weiterentwicklung der Demokratie in unserem Land einsetzen. Wer auf die beschriebene Weise die Axt an ein Menschenrecht anlegt, spielt lediglich rechten Kräften in die Karten. Es ist nicht nur ungesetzlich und falsch, Aktionen gegen die Rede- und Meinungsfreiheit durchzuführen, sondern auch dumm. In der Disziplin, sich als Opfer zu gebärden, sind Rechte und Populisten nachgerade unschlagbar. Laßt sie reden und schreien. Und bietet ihnen keinen Vorwand, in die Opferrolle zu schlüpfen. Ihnen geht es nicht um die Rede- und Meinungsfreiheit, um die Demokratie, ihnen geht es um ein Zurück in unheilvolle Jahre, um ein Roll-Back demokratischer Errungenschaften, um das Wiederaufleben von nationalistischer Enge und scheuklapprig-völkischer Dumpfheit. Schützen wir gemeinsam die Grundrechte, die Meinungs- und Redefreiheit, gegen alle, die sie beeinträchtigen, gleich, wo sie stehen.
Beitragsfoto: Speaker’s Corner – Redner und Publikum © Colin Smith 1. Februar 1998,, CC BY-SA 2.0
Redefreiheit und die freie Wahl, wem man zuhört.