„Das sagt man nicht.“

Gedanken zur Politischen Kultur in Wermelskirchen

VON WOLFGANG HORN

Eigentlich ist es sinnvoll und schade zugleich, daß sich der Stadtrat am Montag mit einem Text auseinandersetzen wird, den die Fraktion der SPD eingebracht hat. Es geht um die Art der öffentlichen Kommunikation und die Sprache, derer sich auch hiesige Kommunalpolitiker befleißigen.

In diesem Antrag wird die Sorge vor einer „schleichenden Destabilisierung“ unserer Demokratie durch rechtsextreme und völkisch-nationalistische Kräfte zum Ausdruck gebracht und das Augenmerk auf eine Öffentliche Kommunikation und die Verwendung einer Sprache gerichtet, die von Beleidigungen und Herabwürdigungen geprägt und mit häufig deutlich im öffentlichen Raum formuliertem Hass auf Eliten und Hetze gegen Minderheiten geeignet sind, das Gemeinwesen zu polarisieren und zu spalten.

Der Rat solle, so der Antrag, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in jeder Form verurteilen sowie jeden Sprachgebrauch, der politische Gegner oder gesellschaftliche Minderheiten verunglimpft. Zudem solle der Rat die vielfach formulierte „Begründung“ zurückweisen, man wende sich auf diese Weise gegen die „Sprechverbote einer vermeintlichen political correctness“ („das wird man ja wohl noch sagen dürfen“). Weiterhin möge sich der Rat entschieden gegen die völkische Vereinnahmung aller Deutschen und alles vermeintlich Deutschen und deren scharfe Entgegensetzung zu anderen Ethnien verwahren. In Internetforen und sozialen Medien werde häufig eine Sprache verwendet, die geeignet sei, die Un-Kultur des Hasses zu befördern. „Wenn die Hemmungsgrenzen der Sprache fallen, ist mitunter der Übergang von der sprachlichen zur körperlichen Gewalt nicht weit“, heißt es weiter in dem SPD-Antrag. Und schließlich sollten sich die Ratsmitglieder gegen digitale und analoge Manipulationsversuche und Desinformationen zur Wehr setzen. Damit sind etwa Verschwörungsideen gemeint, nach denen das deutsche Volk durch den Zuzug von Flüchtlingen ausgelöscht werden solle („Umvolkung“), oder die wahrheitswidrige Denunziation von Parteien als „Systemparteien“ oder die der Medien als „Lügenpresse“ sowie die verächtliche Bezeichnung der Zivilgesellschaft als „Gutmenschen“.

Sinnvoll ist die Behandlung eines solchen Antrages, weil die politische Kultur nicht nur in unserem Land in den letzten Jahren deutlich ramponiert worden ist. Rechtspopulistische Kräfte zunächst, zusehends mehr völkisch-nationalistische sowie rechtsextremistische und gewaltbereite Bewegungen und Parteien verbreiten in sogenannten sozialen Medien und Internetforen ihre Auffassungen und versuchen mehr und mehr, auch die Straßen und Plätze des Landes zur Bühne für ihre demokratiefeindlichen Positionen zu machen. Schlimmer noch: die politisch motivierte Gewalt von Rechts nimmt zu. Nach den Mordtaten des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) gegen Menschen mit Migrationshintergrund ist die Ermordung des hessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen mutmaßlichen Rechtsextremisten der jüngste traurige Höhepunkt dieser Entwicklung.

Mit dem Begriff der Politischen Kultur sind nicht nur die Umgangsformen im demokratischen System gemeint. Die repräsentative Demokratie ist angelegt auf die Verständigungskraft und Kompromißfähigkeit derer, die um politische Interessen streiten, und das Vertrauen auf die Einhaltung von Regeln, geschriebenen und ungeschriebenen.

Die Demokratie braucht Streit und Kontroverse. Und: Die Demokratie braucht Regeln und ihre Einhaltung, sie braucht gegenseitige Achtung und Respekt der Handelnden und Streitenden. Nur so lassen sich Kompromisse finden im Widerstreit der Interessen. Eine Polarisierung, die Spaltung des demokratischen Gemeinwesens in ein „Wir“ und in ein „Die“, die übertrieben deutliche Betonung eines „Lagerdenkens“ führen nicht zu wechselseitigem Verständnis, zu Respekt und Achtung. Die politische Kultur der Demokratie besteht im wesentlichen darin, unterschiedlicher Auffassung sein zu können bei gleichzeitiger Achtung der Persönlichkeit wie der politischen Positionen der politischen Mitbewerber.

Zur politischen Kultur gehört auch, komplizierte Sachverhalte beharrlich und angemessen zu behandeln, sie verständlich zu machen und sie möglichst allgemeinverständlich zu formulieren. Die grobe Vereinfachung, die Verschlagwortung der Politik, die populistische Reduktion und Simplifikation entziehen sich jeder Gemeinsamkeit, jedem Kompromiß, jedem weitergehenden Verständnis von Politik und Demokratie. Die holzschnittartige Zeichnung, die populistische Zurichtung appelliert an das Gefühl, weckt das Ressentiment und steht der Abwägung, der bedachten Püfung, der Vernunft entgegen.

Die politische Kultur der Demokratie erfordert einen achtsamen Umgang mit der Sprache im politischen „Kampf“, in der politischen Auseinandersetzung. Beleidigungen und Herabwürdigungen dürfen keinen Platz finden in der Auseinandersetzung von Demokraten. Wenn politische Mitbewerber beispielsweise als „versifft“ bezeichnet werden, ist das die Absage an alles Gemeinsame, mehr noch: dann handelt es sich um schiere Ausgrenzung. Wenn die Wahrheit nicht mehr zählt und durch willfährige Lügen ersetzt wird, kann politische Kultur nicht mehr gedeihen. Wenn die Sprache roh wird, gewalttätig, darf man sich über eine rohe Gesellschaft, in der Gewalt eine zusehends größere Rolle spielt, nicht wirklich wundern.

Die Demokratie ist gerade in Deutschland eine zivilisatorische Großtat, hat sie doch in ihrer Verfassung nach den leidvollen Erfahrungen mit dem Faschismus den Menschenrechten und zuvörderst der Menschenwürde einen überragenden Platz zugewiesen. Zudem hat sie eine feine Balance, die Gewaltenteilung aller demokratischen Institutionen an die Stelle des autoritären Staates gesetzt. Sie hat die Meinungsfreiheit, die Rede- und Versammlungsfreiheit garantiert und die Zensurfreiheit postuliert. In der demokratischen Bundesrepublik sind Männer und Frauen gleichberechtigt, hier ist das Eigentum geschützt, hier ist die Ausübung der Religion gesichert, hier kann jeder nach seiner Facon selig werden. Niemals hat es in der deutschen Geschichte eine freiheitlichere, eine demokratischere Verfassung gegeben, niemals auch, bei allen Mängeln und Problemen, eine demokratischere Gesellschaft als die des vereinten Deutschland. Hier kann sich jeder nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen entwickeln und entfalten, so er die Gesetze achtet und die Interessen anderer Menschen nicht verletzt.

Dieses Deutschland verdient, daß wir alle daran mitwirken, seine demokratische Struktur, die Institutionen und Organe, seine Gesetze und Regeln zu schützen vor jenen, die zurückwollen in historisch andere Verhältnisse, in den autoritären Nationalstaat, womöglich gar zurück in die Zeiten der Diktatur.

Es ist also allemal sinnvoll, auch in einem Stadtrat, auch auf kommunaler Ebene über die Demokratie und die Politische Kultur zu sprechen, auch zu streiten und sich zu verständigen.

Aber: Es ist auch schade, daß am Montag der Antrag der SPD im Stadtrat behandelt werden muß. Zeugt doch dieser Vorgang davon, daß es offenbar am Ort durchaus veritable Probleme mit der Politischen Kultur der Demokratie gibt. Hier in Wermelskirchen gibt es keine Aufmärsche von rechtsextremistischen Parteien oder gewaltbereiten Hooligans. Hier in Wermelskirchen gibt es keine politisch motivierte Gewalt. Hier in Wermelskirchen gibt es keine nennenswerte Unterstützung für völkisch-nationalistische Gruppierungen, für „Reichsbürger“ oder „Identitäre“.

Aber es gibt in den sozialen Medien bisweilen eine verrohte und verächtliche Sprache, derer sich leider sogar Menschen befleißigen, die in den hiesigen Parteien verantwortliche Position einnehmen. Mehr noch: auch Stadträte, also Politiker mit einem Mandat der Wahlbürger, sind beteiligt am Ressentiment gegen Minderheiten, an der Herabwürdigung demokratischer Institutionen und Politiker, an der verächtlichen Beleidigung politischer Mitbewerber und Gegner. Oder wie kann man diesen Text aus Facebook anders beschreiben?

„Wenn zwischen der Stoßstange und der Wand Merkel, Roth und Konsorten kleben, ist das ein prima Kurs.“

Wer Merkel und Roth gemeinsam zwischen Stoßstange und Wand wünscht, ist schmerzfrei, aber unanständig. Und hat sich auf jeden Fall als seriöser Partner politischer Kommunikation selbst vom Feld genommen. Das Bild von zwei Frauen mit ungenannten Begleitern, von einer Stoßstange an die Wand geklebt, verbietet sich in der öffentlichen und nicht-öffentlichen politischen Kommunikation.

Wer von einer

„links-grüne(n) Clique in der Justiz“

schwadroniert, geht gewiß nicht pfleglich mit den Institutionen dieser Republik um. Dazu paßt ein Kommentar, in dem ein Organ des demokratischen Staates beleidigt, einer der ranghöchsten Repräsentantinnnen der Demokratie Gewalt angedroht und ein politischer Mitbewerber mit einer hämischen Formulierung bedacht wird:

„Ich hätte zuerst dieser Sozi-Gerichtspräsidentin und dann dem Merkel eine reingehauen und wäre dann zurückgetreten! Entschuldigung??? Wofür denn??? Diese CDU ist nur noch Volldünger für die AfD

Eigentlich ist es kaum vorstellbar, daß ein Stadtrat, dem doch eigentlich eine Vorbildfunktion zukommt, öffentlich folgende Frage stellt:

„Ich frage mich, wann eine Staatsanwaltschaft soviel Mumm hat und gegen die Frau Bundeskanzlerin wegen Beihilfe zu Tötungsdelikten (…) Ermittlungen aufnimmt.“

Ähnlich verhält es sich mit dem dem folgenden Zitat:

„… weil wir Deutsche eine derart bescheuerte Bunskanzlerin (im Original, W.H.) haben und es offenbar keine Instrumentarien in unserer Verfassung gibt, wie man solche Vertrags- und Rechtsbrecherin in solch einer dramatischen Situation schnell quitt wird …“

Wie man Haß gegen eine gesellschaftliche Minderheit kombiniert mit roher Attacke auf politische Gegner, macht der folgende Kommentar aus Facebook deutlich:

„Jedem Grünen und Tiefroten scheint bei jedem ankommenden Flüchtling hier vor lauter Freude die Sonne aus dem Hintern, weil sie damit ihrem Ziel, unseren Staat und unsere Gesellschaft mittels Multikulti kaputt zu machen, einen Schritt näher kommen.“

Unverhohlen wird im nächsten Beispiel schäbiger Politjargon aus der Gosse mit der Anmutung physischer Gewalt verrührt oder wie soll der Hinweis auf die Hetzjagd seinerzeit in Chemnitz anders zu verstehen sein:

„Der Tag ist nicht mehr fern, wo Millionen sich diese links-grünen Verarsche und den ‚Umbau‘ Deutschlands nicht mehr gefallen lassen und auf die Straße gehen werden – und dagegen wird Chemnitz ein Martinsumzug gewesen sein …“

Kurzum: Es ist in der Tat sehr schade, daß es offenkundig auch in Wermelskirchen genügend Anlaß zur Debatte über die Politische Kultur gibt. Das sind nur einige der vielen leicht auffindbaren Texte von politisch Verantwortlichen in den sozialen Medien und Internetforen.

„Das sagt man nicht.“ Warum sollte dieser Grundsatz, den Kinder bereits sehr früh zu hören bekommen in der Erziehung durch ihre Eltern, im Kindergarten, in der Schule, in Vereinen oder unter Freunden nicht auch unter Erwachsenen, unter Politikern, bei Stadträten in Wermelskirchen durchgehend wieder eine größere Rolle spielen? Möge die Debatte am Montag im Stadtrat dazu beitragen.

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

    • stephan wind
    • 05.10.19, 23:03 Uhr

    Ausgezeichnet!

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    • Stefan - Maria Wiersbin
    • 06.10.19, 8:56 Uhr

    Politik war und ist nichts für zartbesaitete Zeitgenossen. In der Politik geht es zeitweilig ruppig und deftig zu. Jedoch muss festgehalten werden, dass dies mit dem Aufkommen der national-völkischen AfD deutlich an Heftigkeit zu genommen hat. Plötzlich wurde aussprechbar, was bisher im gesellschaftlichen Konsens unaussprechbar war und allenfalls in den heimischen vier Wänden gesagt wurde. Seit diese Partei in den Parlamenten sitzt hat der Hass auf alles was vermeintlich nicht Deutsch ist, wer zu einer Minderheit gehört, auf unsere demokratischen Strukturen und auf die, die diese Repräsentieren Konjunktur. Bisher hauptsächlich in der verbalen Auseinandersetzung, aber die Geschichte lehrt uns, dass dies der Anfang ist.
    Ich hoffe, dass der Rat der Stadt Wermelskirchen sich mit großer Mehrheit hinter dem Antrag der SPD stellt!

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