Das große 1 x 1 der Bundestagswahl

Den Beitrag entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach


Das deutsche Wahlsystem ist mit seiner Erst- und Zweitstimme ohnehin nicht ganz einfach und erlaubt die Möglichkeit, taktisch zu wählen. Jetzt sorgt zudem eine Wahlrechtsreform dafür, dass auch die Person, die den Wahlkreis direkt gewinnt, nicht mit Sicherheit in den Bundestag einzieht. Wir erklären, was wichtig ist.

Jeder Wahlberechtigte hat zwei Stimmen. Daher gibt es auf dem Wahlzettel zwei Spalten, in jeder gibt man eine Stimme ab.

Mit der Erststimme wählt man den oder die Direktkandidat:in im eigenen Wahlkreis – der oder die damit direkt in den Bundestag einzieht. Aber nur in der Regel – dazu später mehr.

Mit der Zweitstimme wählt man eine Partei. Die Zweitstimmen sind die wichtigeren Stimmen, denn sie bestimmen, wieviel Prozent der Mandete eine Partei im Bundestag erhält.

Hinweis der Redaktion: eine Erklärung und auch die Programme der Parteien in leichter Sprache finden Sie zum Beispiel bei der Lebenshilfe.

Es gilt eine Fünf-Prozent-Hürde. Parteien, die weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten, sind draußen.Mit einer Ausnahme: Gewinnt eine Partei drei Direktmandate, zieht sie trotzdem in den Bundestag ein und erhält soviele Mandate, wie ihr aufgrund des Stimmanteils zustehen.

Den komplette Musterstimmzettel für den Wahlkreis 99 (Rhein-Berg) dokumentieren wir unten.

Was die Wahlrechtsreform verändert hat

Mit der Wahlrechtsreform der Ampel 2023 sind die Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft worden. Überhangmandate hatte bis dahin eine Partei bekommen, wenn sie mehr Direktmandate gewann, als sie an Zweitstimmen holt. Dadurch erhielt jeder, der ein Direktmandat gewann, einen Sitz im Bundestag. Damit dadurch das Wahlergebnis nicht verzerrt wurde, erhielten die anderen Parteien Ausgleichsmandate – und der Bundestag wurde immer größer.

Jetzt kommen tatsächlich nur noch so viele Abgeordnete in den Bundestag, wie die Partei Zweitstimmen erhalten hat, die Zahl der Bundestagsmitglieder ist also nach oben gedeckelt.

Damit hat aber auch derjenige, der ein Direktmandat gewonnen hat, keine Garantie mehr, in den Bundestag zu kommen – sondern steht in Konkurrenz zu den anderen Gewinner:innen in der eigenen Partei: diejenigen mit den besten Wahlergebnissen bekommen ein Mandat. Dabei zählt nur der erzielte Stimmanteil und nicht der Abstand zu den Nächstplatzierten.

Das ist vor allem für CDU und CSU relevant, die in der Vergangenheit in vielen Regionen mehr Direktmandate gewonnen hatten, als laut Zweitstimmen ihnen zustanden.

Auf der Website zweitstimme.org haben Wissenschaftler:innen der Uni Mannheim ein Modell entwickelt, das die Chancen der jeweiligen Kandidat:innen berechnet. Für den Rheinisch-Bergischen Kreis (Wahlkreis 99) fällt die Prognose eindeutig aus: Demnach gewinnt Caroline Bosbach (CDU) mit Abstand das Rennen und setzt sich auch innerhalb der eigenen Reihen mit dem Direktmandat durch.

Aber Achtung: auch dieses Modell beruht auf Annahmen und Prognosen, die Realität kann ganz anders aussehen.

Über die Liste in den Bundestag

Umgekehrt gibt es Parteien, die in der Regel weniger Direktmandate gewinnen, als ihnen laut Zweitstimmen-Ergebnis zusteht. Einige Parteien gewinnen keine oder nur einzelne Direktmandate, aber 10 oder gar 15 Prozent der Zweitstimmen. Dann werden die Sitze im Bundestag auf der Grundlage der Landeslisten vergeben, die die Parteien im Vorfeld aufgestellt haben.

In Rhein-Berg ist das für einige Kandidaten relevant, die auch in der vergangenen Legislaturperiode in den Bundestag eingezogen waren. Denn hier hatte unser Kreis mit vier Abgeordneten eine Sonderrolle gespielt:

Christian Lindner steht als Parteichef auf Platz eins der Liste seiner Partei. Kommt die FDP über fünf Prozent hat er ein Mandat sicher.

Maik Außendorf steht dieses Mal auf Platz 20 der NRW-Landesliste. Nach seinen eigenen Berechnungen müssen die Grünen in NRW mindestens 14 Prozent der Stimmen gewinnen, damit er ein neues Mandat erhält. Das ist möglich, aber alles andere als sicher.

Harald Weyel ist auf der Landesliste der AfD weit nach unten gerutscht. Mit Platz 20 hat er kaum eine Chance, wieder in den Bundestag zu kommen.

Die Sache mit dem Stimmensplitting

Die meisten Wähler:innen geben ihre Erst- und Zweistimme derselben Partei, einige teilen sie aber auf und wählen den/die Direktkandidat:in der einen Partei und mit der Zweistimme eine andere Partei.

Davon hatte in der Vergangenheit zum Beispiel die FDP profitiert, wenn sie von CDU-Wählern die Zweitstimme abgreifen konnte. Da sie bereits über das Direktmandat zum Zuge kam hatte das der CDU weniger geschadet als jetzt nach der Wahlrechtsreform.

Wenn man aber damit rechnet, dass die bevorzugte Partei nicht mehr Direktmandate als Zweitstimmen erhält, kann man die Erststimme anders vergeben..

Denn es gibt auch jetzt Argumente, taktisch zu wählen und nicht der eigentlich präferierten Partei die Stimme zu geben. Bei der Erststimme zum Beispiel dann, wenn der/die Direktkandidat:in der eigenen Partei chancenlos ist, man aber dem/der Zweitplatzierten zum Sieg verhelfen könnte. Umgekehrt trägt eine Stimme für den/die Zweitplatzierten aber nicht dazu bei, zur verhindern, dass der/die Gewinner:in tatsächlich ein Mandat bekommt.

Bei der Zweitstimme kann es Sinn machen, wenn ein übergeordnetes Ziel (etwa die Verhinderung des Siegs einer extremistischen Partei oder die Erzielung einer stabilen Mehrheit) schwerer wiegt als die eigene Parteipräferenz.

Verlorene Stimmen?

Wer eine Partei wählt, die dann an der 5-Prozent-Hürde scheitert, erreicht mit seiner Stimme auf den ersten Blick nichts, seine Stimme ist verloren. Sinnlos ist es aber dennoch nicht. Denn erstens weiß niemand, ob eine Partei nicht doch noch einen Sprung macht. Zweitens bekommen die Parteien, die wenigstens 0,5 Prozent der Stimmen erreichen, eine staatliche Entschädigung für die Wahlkampfkosten und können sich damit besser für die nächste Wahl aufstellen.

Und drittens erhöht jede Stimme die Wahlbeteiligung und stärkt damit die repräsentative Demokratie. Also, nutzen Sie Ihre Stimme!

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