Den Beitrag Von Carsten Wolf entnehmen wir dem Mediendienst Integration. Dort finden Sie weitere Links, Quellenhinweise und Informationen.
VON CARSTEN WOLF
In Großunternehmen arbeiten immer mehr Menschen aus Asylherkunftsländern. Das zeigt eine neue MEDIENDIENST-Recherche. Doch die Integration läuft langsamer als in kleinen und mittleren Unternehmen. Zwei DAX-Unternehmen stechen besonders hervor.
Die Integration kommt voran: Mehr als 9.200 Beschäftigte aus Asylherkunftsländern und über 1.000 aus der Ukraine arbeiten inzwischen in Dax-Unternehmen in Deutschland – insgesamt 10.248 Personen. Das sind mehr als anderthalb mal so viel wie bei der letzten Umfrage vor zwei Jahren. Zwei Unternehmen stechen dabei besonders hervor: Dreiviertel der Geflüchteten arbeiten bei der DHL Group (Ex-Deutsche Post, 5.593) und bei BMW (2.500).
Von den 40 Unternehmen im Deutschen Aktienindex (DAX) haben 32 auf die Anfrage des MEDIENDIENSTES geantwortet. 17 Unternehmen konnten konkrete Zahlen nennen. Neben DHL und BMW beschäftigen die anderen Dax-Unternehmen etwa 2.200 Menschen aus Asylherkunftsländern und der Ukraine: Continental (650), Deutsche Telekom (305), Bayer (217), Vonovia (182), E.ON (156), Infineon (145), Henkel (100), Deutsche Börse (91), SAP (81), Adidas (59), Commerzbank (44), Qiagen (33), Covestro (30), Allianz (29), Heidelberg Materials (23) und Brenntag (10). Zum Vergleich: Insgesamt arbeiteten 2020 hierzulande in den Top-Börsen-Unternehmen etwa 1,5 Millionen Menschen.
Viele Dax-Unternehmen hatten 2015 angekündigt, mehr Geflüchtete ausbilden und einstellen zu wollen. Diesen Ankündigungen sind nicht überall Taten gefolgt. Auch wenn viele Unternehmen über fehlende Arbeitskräfte klagen, bemühen sie sich oft nicht systematisch um Geflüchtete. “Gerade bei den großen Unternehmen ist der Fachkräftemangel noch nicht so angekommen wie bei kleinen und mittleren”, sagt Arbeitsmarktforscher Sekou Keita vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Auch bei der Ausbildung bemühen sich Dax-Unternehmen nicht so stark wie andere. Aktuell arbeiten 169 Auszubildende aus Asylherkunftsländern bei Dax-Unternehmen, die auf die Umfrage geantwortet haben, und nur 18 aus der Ukraine. Vor zwei Jahren gab es noch 380 Auszubildende aus Asylherkunftsländern in Dax-Unternehmen. Damit ist die Zahl der Auszubildenden aus Asylherkunftsländern in den letzten Jahren um die Hälfte zurückgegangen.
Insgesamt zeigen die Zahlen aber in eine positive Richtung: Mehr als zwei Drittel der Geflüchteten, die seit 2015 gekommen sind, haben inzwischen einen Job gefunden (64% Erwerbstätigtenquote), so ein neuer Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Ihre Beschäftigung ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.Quelle
Besonders viele Geflüchtete arbeiten bei DHL
Ein Unternehmen ragt besonders bei der Beschäftigung von Geflüchteten heraus: die DHL Group, ehemals Deutsche Post DHL Group. Sie beschäftigt rund 5.200 Menschen aus Asylherkunftsländern und rund 400 aus der Ukraine – und damit mehr als die Hälfte aller Geflüchteten in Dax-Unternehmen. “Wir sind das internationalste Unternehmen von allen”, sagt DHL-Personalvorstand Thomas Ogilvie gegenüber dem MEDIENDIENST. Besonders in Deutschland habe man viel unternommen, um Geflüchtete einzustellen. In Communities auf sozialen Netzwerken werbe man gezielt in den Landessprachen. Eine eigene App solle Paketzustellern und -zustellerinnen beim Sprache lernen helfen. Auch im Job bemühe DHL sich um einfachen Zugang – so seien zum Beispiel die Handscanner beim Ausliefern der Pakete in verschiedenen Sprachen programmiert.
“Wir haben natürlich einen strukturellen Vorteil auf diesem Gebiet”, sagt Ogilvie. Über 80 Prozent der DHL-Beschäftigten arbeiteten im operativen Bereich. “Wir haben niedrigschwellige Einstiegsangebote in jedem Winkel der Bundesrepublik beim Transport und dem Zustellen von Post und Paketen.” So könnten auch ungelernte Arbeitskräfte mit geringen Sprachkenntnissen im Unternehmen anfangen. Aber es gehe eben auch um eine “Willkommenskultur”. Und die zahlt sich aus: Laut Unternehmensangaben haben im Unternehmen seit 2015 rund 22.000 Geflüchtete gearbeitet, sei es in einem Praktikum, auf einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz.
Doch auch bei der DHL stagniert die Zahl der Beschäftigten aus Asylherkunftsländern in den letzten Jahren. “Wir haben in der Zustellung gerade im starken Weihnachtsgeschäft viele zusätzliche temporäre Jobangebote”, sagt Personalvorstand Ogilvie. Das bedeute mehr Fluktuation. Viele Beschäftigte würden bei der DHL den Einstieg in den Arbeitsmarkt finden und dann in anderen Berufen weiter arbeiten, in denen sie vorher gearbeitet hätten.
Bisher wenig Beschäftigte aus der Ukraine
Auch bei Flüchtlingen aus der Ukraine kündigten die Dax-Konzerne Integrationsbemühungen an. Doch bisher ist wenig passiert: Rund 1.000 Menschen aus der Ukraine haben einen Job in einem Dax-Unternehmen gefunden, viele davon wiederum bei DHL (386). Auch bei Infineon arbeiten viele (145). Der Softwarekonzern hat ein Werk in Lwiw in der West-Ukraine und beschäftigt Angestellte weiter, die hierher geflohen sind.
Eigentlich sind die Voraussetzungen für Ukraine-Geflüchtete günstiger. Sie sind vergleichsweise gut ausgebildet und erhalten sofort eine Arbeitserlaubnis. Außerdem soll ein “Job-Turbo” dabei helfen, dass sie schneller in Arbeit kommen. Doch trotzdem geht es langsam voran. Dafür sieht Arbeitsmarktforscher Keita vor allem zwei Gründe: Die Anerkennung der ausländischen Abschlüsse dauere im Schnitt zwei Jahre oder länger. Das sei aber nötig, damit Hochqualifizierte in eine passende Beschäftigung kämen. Und zweitens: Unter den Ukraine-Geflüchteten seien 65 Prozent Frauen und 30 bis 40 Prozent alleinerziehend. Die könnten nur dann arbeiten, wenn die Kinderbetreuung gesichert sei. Das sei noch nicht überall der Fall.
Zur Methode
Für diese Recherche wurden im Februar und März 2024 die 40 Unternehmen im Deutschen Aktienindex (DAX) befragt. 32 Unternehmen haben geantwortet. 15 gaben an, keine Zahlen bieten zu können. 17 Unternehmen konnten konkrete Zahlen nennen.
Weil der Aufenthaltsstatus der Mitarbeitenden von den Unternehmen häufig nicht erfasst wird, haben wir zusätzlich nach Beschäftigten mit einer Staatsbürgerschaft aus den acht häufigsten außereuropäischen Asylherkunftsstaaten gefragt (Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea, Somalia, Nigeria und Pakistan) – unabhängig davon, ob sie einen Status als Geflüchtete haben. Und auch nach den Beschäftigten aus der Ukraine.
Bei vorherigen Befragungen vor 2019 waren es noch 30 Unternehmen im Dax. Seit 2020 sind es 40 Unternehmen. Außerdem gibt es jedes Jahr Veränderungen bei der Zusammensetzung des Dax: Wirecard, Lufthansa oder Delivery Hero sind nicht mehr dabei. Neu hinzugekommen sind zum Beispiel Rheinmetall und die Commerzbank.
Große Unternehmen beschäftigen weniger Geflüchtete
Je nach Unternehmensgröße zeigen sich Unterschiede. “Große Unternehmen beschäftigen vergleichsweise weniger Geflüchtete”, sagt Arbeitsmarktforscher Keita, der dazu im Jahr 2022 mit Kollegen eine Studie durchgeführt hat. Kleinere und mittlere Unternehmen beschäftigten hingegen mehr Geflüchtete. “Daran dürfte sich wenig geändert haben”, sagt Keita.
Aus der Umfrage zur Studie ging 2022 hervor: Kleine Betriebe beschäftigten 56 Prozent der Geflüchteten, aber nur 43 Prozent der Beschäftigten insgesamt. Und diese Tendenz gibt es auch heute, wie aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen. So arbeiteten rund 18 Prozent der Beschäftigten in Großbetrieben (Betriebsstätten mit über 500 Beschäftigten), aber nur 14 Prozent der Geflüchteten und 12 Prozent der Ukrainer*innen, so das Statistische Bundesamt auf Anfrage des Mediendienstes.
Große Unternehmen können sich Beschäftigte noch aussuchen
Ein Grund könnte die Personalrekrutierung sein. In großen Unternehmen arbeiteten Vollzeitkräfte daran, geeignete Arbeitskräfte zu finden. Sie könnten mehr Bewerbungen sichten und auch im Ausland suchen, so Keita. Außerdem könnten sie mit einem höheren Gehalt locken. Dadurch könnten sie sich ihr Personal gewissermaßen “aussuchen”. Im Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte setzten sie sich meistens gegen kleinere und mittlere Unternehmen durch. Geflüchtete seien da möglicherweise nicht die erste Wahl.
“Vielleicht haben große Unternehmen zu hohe Erwartungen bei den Sprachkenntnissen”, vermutet Keita, der aktuell zum “Job-Turbo” forscht. Kleinere Unternehmen seien eher bereit, bei möglichen Arbeitskräften Zugeständnisse zu machen. Sie könnten es sich wegen des Personalmangels oft nicht aussuchen. Und bei ihnen sei der Arbeits- und Fachkräftemangel schon deutlicher spürbar.
Auch die Berufswahl der Geflüchteten selbst dürfte eine Rolle spielen. Diese arbeiten häufig in den Bereichen Gastronomie, Transport, Logistik oder Zeitarbeit – alles Bereiche, die eher kleinbetrieblich organisiert sind. Und in DAX-Unternehmen arbeiten überdurchschnittlich viele Hochqualifizierte. Bereiche, in denen nur geringe Qualifikationen gebraucht werden, werden oft ausgegliedert und an Subunternehmer vergeben, wie etwa in der Reinigung, der Sicherheit oder im Service.
Fachkräftemangel dürfte noch zunehmen
Doch auch für die großen Unternehmen könnte sich das bald ändern. “Beim Fachkräftemangel sind wir noch relativ am Anfang”, sagt Forscher Keita. Seit 2019 würden die Zahlen der Beschäftigten demographisch bedingt sinken. Dieser Rückgang dürfte noch bis mindestens 2030 weitergehen, bevor sich die Bevölkerungszahlen wieder stabilisierten. Der Bedarf an Arbeitskräften dürfte also weiter steigen und die Suche weitergehen – auch unter den Geflüchteten.
Beitragsfoto: Integration erleichtern © DHL