„Die Ära Lindner, wie wir sie kannten, ist zu Ende.“

Gerhard Baum, 92 Jahre alt, Menschenrechtler und Arsch-huh-Aktivist und einst, von Juni 1978 bis September 1982, Bundesinnenminister in den Kabinetten von Kanzler Helmut Schmidt, hat mit Uli Kreikebaum vom Kölner Stadt-Anzeiger ein zweistündiges Gespräch über seine Weltsicht und seinen Blick auf seine Partei, die FDP unter Christian Lindner, geführt. Titel: „Wie Lindner den Abgang mitinszeniert hat, hat mich verstört.“

Der ehemalige Innenminister erholt sich von einer lebensbedrohlichen Erkrankung, einer Sepsis, aber mehr noch treibt ihn die Krise der Demokratie um. „Mit solcher Düsternis habe ich den Jahreswechsel noch nicht erlebt.“ Gleichwohl sei er entschlossen, „den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken – nicht durch Verbote, sondern durch Taten. Es geht um so viel gerade – ich habe den Eindruck, das ist vielen nicht bewusst.“

„Ich habe Sorge, dass die Erinnerung an den Holocaust verblasst und sich die Geschichte wiederholen kann. Nicht im Sinne von Völkermord, aber in überbordendem, wachsendem Antisemitismus.“ Nie seit 1949 sei die Demokratie so bedroht gewesen wie heute. Und, ja: „Ich habe Angst vor einem Dritten Weltkrieg.“

„Die Art und Weise, die Ampel zu verlassen, hat zu einem Vertrauensverlust geführt. Wie Christian Lindner den Abgang mitinszeniert hat, hat mich verstört.“ Das Problem sei, so der Kölner Stadt-Anzeiger weiter, dass „die FDP zu einer Ein-Mann-Partei geworden ist. Wohl und Wehe hängt von einer Person ab“. Christian Lindner habe er „lange für eines der größten politischen Talente“ gehalten. Aber: „Die Ära Lindner, wie wir sie kannten, ist zu Ende.“

Die Zeitung zitiert Baum, der ratlos die Schultern zuckt mit dem Satz: „Es ist zumindest nicht unmöglich, dass sie fünf Prozent schaffen.“ Baum habe, so der Stadt-Anzeiger, in einem ersten Statement nach dem kalkulierten Koalitionsbruch gesagt, die FDP sei „eine Partei mit einem Prozent Sachkompetenz und vier Prozent Wählern“. Es sei ihm, Baum, darum gegangen, vor Selbstüberschätzung zu warnen. „Mit dem kompromisslosen Festhalten an der Schuldenbremse ist die FDP in einer Sackgasse gelandet.“

Die Frage, ob er in den vergangenen Monaten daran gedacht habe, aus der FDP auszutreten, beantwortet Gerhard Baum mit einem entschiedenen Nein. „Es braucht eine starke liberale Partei. Die allerdings viel stärker auf Bürgerrechte, Einhegung der Digitalkonzerne und Klimaschutz setzt. Sie darf keine Klientelpartei für Wohlhabende sein.“ Er wolle, sagt er, „die FDP nicht verlassen, ich möchte sie verändern“.

„Ich werde weitermachen“, so Gerhard Baum. „Solange es eben noch geht.“ Dem Fazit des Kölner Stadt-Anzeigers ist unbedingt zuzustimmen: „Es ist auch eine Zustandsbeschreibung dieses Landes, dass der 92-jährige Gerhart Baum gerade sehr dringend gebraucht wird.“

Beitragsfoto: Gerhard Baum © Superbass – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0,

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