Der Historiker Georg Eckert über den Machtanspruch der Monarchinnen Elisabeth I. und Maria Stuart auf den englischen Thron
VON UWE BLASS
Die Nichte zweiten Grades
8.Februar 1587, Fotheringhay Castle; nach 19 Jahren Gefangenschaft schreitet die 45-jährige ehemalige schottische Königin Maria Stuart, ganz in dunkelrot gekleidet, zum Schafott. Drei Schläge soll der Henker gebraucht haben, um Kopf und Rumpf zu trennen. Den Anspruch auf den englischen Thron hatte sie nie aufgegeben. Vollzogen wurde das Todesurteil auf Anordnung der amtierenden Monarchin Elisabeth I. nach jahrelangem Ringen. Aber woher kam der beiderseitige Anspruch auf das Königinnenamt?
Das Verwandtschaftsverhältnis der beiden Adeligen erklärt der Wuppertaler Historiker Georg Eckert so: „Sie waren keine Cousinen, wie man mitunter zu lesen bekommt. Die schottische Königin war vielmehr eine Nichte zweiten Grades der englischen Königin. In dieser Verwandtschaftskonstellation bilden sich Ambitionen aufstrebender Dynastien ab: zuallererst der Tudors, die im Jahre 1485 nach den Rosenkriegen auf den englischen Königsthron gelangt waren. Der erste Tudor-König, Heinrich VII., war der gemeinsame Ahne beider Königinnen, von denen keine als Herrscherin vorgesehen war. Eigentlich sollte Heinrichs ältester Sohn, Arthur Tudor, den Thron besteigen“, fährt der Geschichtswissenschaftler fort, doch dieser starb bereits in Jugendjahren, so dass sein jüngerer Bruder, Heinrich VIII. schließlich die Geschicke des Landes übernahm.
Berühmt durch seine acht Ehefrauen, von denen er zwei köpfen ließ, heiratete er in zweiter Ehe Anne Boleyn, die Elisabeth I. zur Welt brachte. „Elisabeth, die erst nach dem Tod ihrer Halbgeschwister zur englischen Königin wurde, war also eine Enkelin Heinrichs VII., Maria Stuart eine Urenkelin. Maria Stuarts Großmutter Margaret Tudor, die älteste Schwester des späteren Königs Heinrichs VIII., war ihrerseits verheiratet mit dem schottischen König Jakob IV. aus dem ebenfalls ambitionierten Hause Stuart. Nach dem frühen Tod ihrer Brüder und ihres Vaters Jakob V. wurde Maria Stuart zur schottischen Königin Maria I. und verfügte durch ihre Mutter, Marie de Guise, zudem über enge Verbindungen zu einem mächtigen französischen Adelsgeschlecht.“
Sieg der Machtpolitikerin
Über die Frage nach der legitimen Nachfolge auf dem englischen Thron stritten sich Zeitgenossen erbittert, weiß Eckert, sie mobilisierten dafür sämtliche Argumente, respektive entdeckten in rastlosem Eifer neue und schlachteten sie publizistisch aus. Ob dynastische, politische, konfessionelle und in allen Rubriken auch solche, die man heute misogyn (frauenfeindlich) nennen würde. „Entscheidend war allerdings nicht, wer das bessere Argument für sich hatte, sondern wer seine Ansprüche durchsetzen konnte – und das war Elisabeth I., eine überaus gewandte Machtpolitikerin. Für sie zahlte sich auch aus, dass sie auf Annäherungsversuche Maria Stuarts niemals einging. Sie erhielt sich in England eine hinreichende Unterstützung, während Maria ihr Machtfundament in Schottland einbüßte, so dass sie als Königin Maria I. im Jahre 1567 abdanken und ein Jahr später sogar in die am Ende tödliche Obhut Elisabeths fliehen musste.“
Die Rolle der Katholischen Kirche
Politik und Konfession waren damals stark verwoben. Dazu Eckert: „Schon die Abspaltung der Anglikanischen Kirche von der Papstkirche durch Heinrich VIII. ist nicht ohne dessen genealogische Konstellation zu erklären: Papst Clemens VII. hatte sich geweigert, die Ehe des englischen Königs mit Katharina von Aragon für nichtig zu erklären. Genau das aber war die Voraussetzung für Heinrichs Eheschließung mit der Mutter Elisabeths, Anne Boleyn. Diese Ehe war aus Sicht der nationalen wie internationalen Unterstützer der katholischen Maria Stuart also eine illegitime; Papst Pius V. exkommunizierte Elisabeth sogar im Jahre 1570. Umgekehrt gehörte es zur anglikanischen Staatsraison, mit der anhaltenden Verwerfung der päpstlichen Macht die Erbansprüche der protestantischen Elisabeth zu stärken.“ In dieser komplexen Lage hüteten sich beide Herrscherinnen vor einer klaren Positionierung und sandten sowohl Katholiken und Protestanten immer wieder Signale der Einbindung.
Die Päpste unterstützten katholische Dynastien konsequent im Kampf gegen protestantische Mächte, was sich im Kampf der spanischen Habsburger gegen die Niederländer oder die französischen Katholiken gegen die Hugenotten zeigte. Mit der Exkommunikation Elisabeths I. erwies die Kurie Maria Stuart jedoch einen Bärendienst. „Indem Papst Pius V. Engländer zum Widerstand gegen ihre eigene Königin aufrief, mobilisierte er nämlich nationale Interessen ausgerechnet zugunsten der Königin, deren Absetzung er eigentlich zu bewirken gedachte.“ Marias Hinrichtung erfolgte ein Jahr nach dem Babington-Komplott, einer weiteren katholischen Verschwörung, die Maria Stuart hätte auf den Thron bringen sollen und von Elisabeths Minister Sir Francis Walsingham vereitelt wurde. Auch ein weiterer Angriff der spanischen Armada auf England, ein Jahr nach Marias Tod, scheiterte.
Maria Stuart und ihre Rolle bei Komplotten gegen die Königin
„Maria Stuart war die Zentralfigur in diversen Verschwörungen, doch das heißt nicht, dass sie auch deren Organisatorin gewesen wäre“ erklärt Eckert. „Egal ob in der Ridolfo-Verschwörung (1570/1571), in der Thockmorton-Verschwörung (1583) oder in der Babington-Verschwörung (1586); Maria Stuart betrieb aktiv ihre eigenen Interessen, wurde aber als englische Prätendentin auch instrumentalisiert. Ihre Einsetzung als englische Königin sollte den eigenen Interessen der jeweiligen Verschwörer dienen. Dass sie eine Ermordung Elisabeths geduldet hätte, war freilich aus abgefangenen Korrespondenzen hinreichend deutlich ersichtlich.“ Daher könne man Maria sicherlich nicht für unschuldig halten. Wie die meisten Herrscher dieser Zeit sei sie wenig von Skrupeln geplagt worden. „Mord galt nicht nur diesen beiden als heikles, aber durchaus legitimes Mittel der Politik.“ Elisabeth habe deshalb lange gezögert, ehe sie Maria einem Prozess auslieferte. „Wenn sie es gewollt hätte, hätte Elisabeth schon weitaus früher abgefangene Briefe gegen Maria ausspielen können, entschied sich aber aus politischem Kalkül dagegen.“
19 Jahre Gefangenschaft bis zum Todesurteil
Die jungfräuliche Königin Elisabeth I. war, wie wir heute wissen, gar nicht so jungfräulich. Im Jahr nach ihrer Krönung stürzte die Frau ihres Favoriten Robert Dudley, Amy, die Kellertreppe hinunter und starb. Polizeiberichte, die erst im 20. Jahrhundert auftauchten, interpretieren den Unfall als Mord. Die Gerüchte um eine Beteiligung der Monarchin am Tod der jungen Frau rissen damals nicht ab. Auftragsmorde waren keine Seltenheit und auch Maria soll am Tod ihres zweiten Gatten beteiligt gewesen sein. Bis zum Todesurteil vergingen trotzdem 19 Jahre. „Elisabeth verstand es, aus einer lange eher schwachen Machtposition ihre besondere Stärke zu schöpfen, indem sie sich viele Möglichkeiten offenhielt“, beschreibt Eckert die Situation. „Dazu zählte zeitweise beispielsweise die Option, die aus Schottland verjagte Maria Stuart als von ihr abhängige Herrscherin wieder dort auf den Thron zu bringen; zudem ließ sich der Schutz einer katholischen Herrscherin auch als konfessionelles Versöhnungsangebot deuten. Elisabeth achtete jedenfalls sorgfältig auf nationale und internationale Verwicklungen ihres Tuns und Unterlassens.
Maria Stuart war aus ihrer Sicht wohl vor allem eine Figur, die ihr manche politisch-konfessionellen Schachzüge ermöglichen könnte. Auch das Zögern, die gerichtlich beschlossene Hinrichtung Marias dann auch zu befehlen, spiegelt Elisabeths kalkuliertes Agieren wider.“ Man müsse sich vor Augen führen, dass zwischen einer Petition, in der Ober- und Unterhaus die vor wenigen Tagen verurteilte Maria Stuart umgehend hinzurichten beantragten, und der Hinrichtung selbst, immerhin noch drei Monate vergingen. „An der Ermordung einer Königin mitzuwirken, und das war Maria Stuart ja als Maria I. in Schottland gewesen, wirkte wie eine Einladung zum Monarchenmord. Das konnte Elisabeth I. im eigenen Interesse keinesfalls gutheißen.“
Erst ab 1586/87 sei für die Königin nicht mehr ersichtlich gewesen, wen sie jetzt durch eine freundliche Politik gegenüber Maria noch hätte für sich gewinnen können, denn die frühere schottische Königin war nunmehr lediglich eine bloße Rivalin. Die Exekution sei zu diesem Zeitpunkt ein klares Zeichen ins In- und Ausland gewesen. „Frankreich, auf das man der ´Auld Alliance` (eine Art Defensivbündnis zwischen Schottland und Frankreich, das in einem Krieg mit England gegenseitigem Beistand vorsah, Anm. d. Red.) mit Schottland halber eine gewisse Rücksicht genommen hatte, war wegen der Hugenottenkriege mit sich selbst beschäftigt, Spanien war ohnehin nicht für Elisabeth zu gewinnen, der Papst schon gar nicht. Maria Stuart hatte ausgedient.“
Neue chiffrierte Briefe Maria Stuarts in Paris entdeckt
2023 entdeckten Wissenschaftler 57 chiffrierte Briefe Marias in der Bibliothèque nationale de France in Paris, die nun entschlüsselt werden. „Die Erforschung dieser Korrespondenz steht noch an ihrem Anfang“, weiß der Historiker. „Maria Stuart stand in engem Austausch insbesondere mit dem französischen Botschafter am englischen Königshof, Michel de Castelnau, mit Briefen und auch mit allerhand Gaben.“ Überraschend sei das im Prinzip eher nicht, im Detail aber sicherlich aufschlussreich und eine wichtige Bestätigung für schon länger gehegte Annahmen, insbesondere jene, dass Maria Stuart eben keine passive Gestalt war, sondern auch als Gefangene in England aktiv Politik betrieb. „Die Briefe zeichneten ein ganz anderes Bild von Maria Stuart und zwar dasjenige einer sehr aufmerksamen und gewandten Politikerin, die auch in der Obhut bzw. Gefangenschaft Elisabeths I. ihren Einfluss geltend zu machen und zu mehren suchte.“ Das habe die Forschung nicht immer angemessen gewürdigt.
Marias Sohn Jakob VI. wird Nachfolger Elisabeths auf dem englischen Thron
Bisher wurde immer kolportiert, dass sich Elisabeth auf dem Sterbebett als Nachfolger den Sohn Marias, Jakob I., gewünscht habe. Neuere Forschungen an den Annalen, die 1607 über die Regierungszeit Elisabeths veröffentlicht wurden, zeigen vielfach zensierte Stellen, die heute mit neuer Technik sichtbar gemacht werden können. Darin wird klar, dass die Monarchin schon Tage vor ihrem Tod nicht mehr sprechen konnte. „Elisabeth hat ihre Nachfolge zwar nicht expressis verbis verfügt“, erklärt Eckert, „aber sie hat die Thronfolge durch Maria Stuarts Sohn Jakob VI. von Schottland so geschehen lassen, dass sie als ihr Vermächtnis erschien. Jakob VI. von Schottland, als Jakob I. dann auch König von England, bezog sich in seiner Herrschaftslegitimation wiederum bezeichnenderweise insbesondere auf den Begründer der Tudor-Dynastie, also jenen Heinrich VII., von dem sowohl Elisabeth als auch Maria abstammten. So ließ sich die Herrschaft der Stuarts als lückenlose Fortsetzung derjenige der Tudors inszenieren, die Rivalität der beiden Königinnen konnte überdeckt werden.“
Rivalinnen ruhen vis-à-vis in der Westminster Abbey
Ironie des Schicksals: Heute ruhen beide Königinnen vis-à-vis in der Westminster Abbey. „Maria Stuart wurde zweimal begraben. Zunächst in der Kathedrale von Peterborough – wieder in einem raffinierten Akt Elisabeths I., den Zeitgenossen je nach Standpunkt als Würdigung oder Herabwürdigung verstehen und preisen konnten. Dort befand sich nämlich auch das Grab der ersten Frau König Heinrichs VIII., der ebenfalls katholischen, mithin entweder besonders vertrauten oder besonders fremden Katharina von Aragon. Jedenfalls war es ein standesgemäßer Ruheort für eine Königin. Jakob VI./I. indes befahl die Umbettung seiner Mutter in die Westminster Abbey, nur wenige Schritte von der Ruhestätte Elisabeths entfernt, die wiederum ein gemeinsames Grabmal mit Maria I. von England („Bloody Mary“) erhielt, um die eben erwähnte Traditionsbildung zu stärken und die Rivalitäten der Herrscherinnen vergessen zu machen.“
Dr. Georg Eckert studierte Geschichte und Philosophie in Tübingen, wo er mit einer Studie über die Frühaufklärung um 1700 mit britischem Schwerpunkt promoviert wurde, und habilitierte sich in Wuppertal. 2009 begann er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Geschichte und lehrt heute als Privatdozent in der Neueren Geschichte.
Beitragsfoto © Mathias Kehren