Wuppertaler Professor Philipp Trotter forscht
an nachhaltiger Energieplanung in Afrika
VON UWE BLASS
„Soziale Ungleichheit hat mich schon sehr früh interessiert“ sagt Philipp Trotter, Professor für Substainability Management in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität. Bereits mit 18 Jahren erlebte er auf einer Reise nach Ghana zum ersten Mal die Unterschiede zwischen deutschen und westafrikanischen Lebensstandards, die ihn sehr prägten und seither beschäftigen. Trotter studierte Energietechnik mit dem Wunsch, gegen den Klimawandel etwas zu unternehmen und sagt: „Irgendwann kam dann die Idee, ich könnte die beiden Sachen ja kombinieren und sozusagen mein Wissen in Energietechnik auf die Situation in Afrika anwenden, denn da gibt es riesige Probleme. 600 Millionen Menschen in Afrika haben immer noch keinen Stromzugang. Daran zu arbeiten, spornt mich jeden Tag an.“
Soziale Ungleichheit erkennen
Trotter wuchs mit drei Brüdern bei seiner alleinerziehenden Mutter in finanziell nicht immer einfachen Verhältnissen auf und sagt: „Ich habe gesehen, dass man in Deutschland, auch wenn man in einfacheren und nichtakademischen Verhältnissen aufwächst, trotzdem viele Möglichkeiten und Strukturen hat, sich selber zu entfalten. Es gibt Stipendien, es gibt BAFÖG, es gibt Bildung umsonst, sowohl gymnasiale Bildung als auch universitäre Bildung, d.h., wenn man das Glück gehabt hat, in Deutschland geboren zu sein, dann kann man trotz struktureller Nachteile, das alles wieder wettmachen. Das ist nicht der Fall in der Mehrheit der Länder, die wir auf der Welt haben.“
Substainability Management
In Wuppertal leitet der Juniorprofessor den Lehrstuhl Substainability Management. „Meine Professur beschäftigt sich damit, dass Unternehmen anders wirtschaften müssen, wenn wir die Möglichkeit von zukünftigen Generationen nicht behindern wollen, ihre Bedürfnisse zu verwirklichen. Derzeit leben wir in einer Welt, die die Ressourcen viel zu schnell verbraucht und weder nachhaltig wirtschaftet noch nachhaltig lebt. Das macht jetzt schon Probleme für viele Bevölkerungsschichten hier, aber eben vor allem auch in Entwicklungsländern“, sagt der Wissenschaftler. Diese Probleme kämen in naher Zukunft vermehrt auch auf uns zu, erklärt er weiter und verweist auf die jüngsten Meldungen zur Flutkatastrophe in Spanien. „Meine Professur beschäftigt sich mit Lösungsversuchen, die ein Umdenken in Wirtschaftsbereichen ermöglichen. Das müssen wir anders hinbekommen! Und die Frage ist: Wie kann die Ressourcennutzung, das Ausstoßen von CO2 und auch das soziale Miteinander gestaltet werden, dass es für alle nachhaltig ist?“
Nachhaltigkeit durch enge Zusammenarbeit
Ein Unternehmen nachhaltig zu führen, sei unbestritten komplexer, als nach reiner Gewinnmaximierung zu streben, stellt Trotter sachlich fest, weil ein Management grundsätzlich immer darüber nachdenken müsse, wie man investiere, um möglichst viel Geld zu generieren. „Das Problem, wenn ich mir Nachhaltigkeit anschaue, ist, dass zu diesen ökologischen Zielen dann auch soziale Ziele und umweltbezogene Ziele hinzukommen, und die können sich auch wiedersprechen. Ich habe Zielkonflikte und bin, egal wie groß das Unternehmen ist, in meiner Macht limitiert, soziale und umweltbezogene Ziele zu erreichen. Das funktioniert nicht. Ich muss also viel breiter denken, in Netzwerken denken.“ Das bedeute, man müsse entlang einer Lieferantenkette denken, an die Nutzer der Produkte sowie an die Politik denken, man müsse an globale Zusammenhänge und auch an die Umwelt denken. „Wenn ich also einen Impact auf Nachhaltigkeit haben möchte, dann funktioniert das nur durch Zusammenarbeit und den Netzwerkgedanken. Ich habe immer Zielkonflikte und muss mit viel mehr Stakeholdern zusammenarbeiten“, erklärt der Fachmann.
Ungleichgewicht zwischen dem Norden und Süden des Kontinents
In Fragen der Nachhaltigkeit herrscht zwischen dem afrikanischen Süden und dem afrikanischen Norden ein starkes Ungleichgewicht. „Das stimmt“, sagt Trotter spontan, „selbst bei Nachbarländern ist das so. Wenn ich mir Botswana und Simbabwe anschaue, dann ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Simbabwe ist ein sehr armes, heruntergewirtschaftetes Land. Die Menschen haben eine sehr geringe Lebenserwartung, während Botswana geografisch ähnlich liegt, aber viel reicher ist, viel besser dasteht. Auch die Lebenserwartung der Bevölkerung ist dort viel höher.“
Die Ursachen seien sehr vielschichtig, die Strukturen individuell, und daher müsse man sich jedes Land separat anschauen. Global gesehen könne man sagen, es gebe institutionelle, strukturelle Probleme und da müsse man Institutionen schaffen, die stark genug seien, Ressourcen wie erneuerbare Energien oder Bodenschätze auf die Breite zu verteilen. Eine andere Herausforderung sei das Finanzwesen. Dazu Trotter: „Das Problem in vielen afrikanischen Ländern ist, dass die Kapitalkosten extrem hoch sind, Investoren sehen Investitionen als sehr risikobehaftet an. Das ist im Norden Afrikas anders. Dort ist es einfacher, Geld für Investitionen zu bekommen. Wenn man ganz fundamental ansetzt, ist natürlich Bildung ein riesiges Thema. Ich habe dort eine sehr junge Gesellschaft und da müssen massive Bildungsprogramme passieren, damit das große Potential dieses jungen Kontinents genutzt werden kann, um produktiv zu sein.“
Energieplanung in Afrika – Langzeitplanungsstudien fehlen
Bei der Implementierung einer langfristigen Energieplanung in Afrika gibt es diverse Hürden. „Es gibt ein paar Länder, die das schon sehr gut machen“, sagt Trotter, „Südafrika gehört dazu. Die Planungskapazitäten dort sind sehr gut. Sie haben zwar große Probleme mit ihrem Energiesektor, das steht außer Frage, dort gibt es auch schon mal mehrere Stunden am Tag kompletten Stromausfall, das ist aber ein geplanter Stromausfall, weil einfach zu wenig Kapazität da ist. Aber da sind die analytische Fähigkeit und ein gesellschaftlicher Diskurs da, um diese Probleme zu benennen und anzugehen.“
Ganz anders sehe es z. B. in Mali oder Niger aus, denn dort seien die intellektuellen Fähigkeiten und die Institutionen, die diese Planungen durchführen könnten, nicht gegeben. Trotter nennt ein Beispiel, dass verdeutlicht, wie weit der Weg zu einer flächendeckenden Energieplanung in Afrika noch ist: „In Deutschland haben wir ca. 150 verschiedene, unabhängige Forschungseinrichtungen und -gruppen, die in irgendeiner Weise Energiemodellierung für den Standort Deutschland machen. Z.B. das Wuppertal Institut. Wenn da die Leitung zur Landes- oder Bundesregierung geht und diese berät, dann wird einfach eine Metastudie über all die Studien, die wir haben, gemacht, und dann schaut man aufgrund der umfangreichen Datenbasis, welche Szenarien man durchspielen könnte. Für den Großteil der afrikanischen Länder gibt es keine einzige vernünftige Langzeitplanungsstudie von Energiesystemen. Eine Vielzahl der 48 Länder in Subsahara Afrika haben gar keine Studien, d.h. die Entscheidungen, die dort getroffen werden, werden mehr oder weniger ins Blaue getroffen, und das ist eine unheimliche Gefahr, weil dann teilweise Narrative die Oberhand gewinnen, die mehr aus dem Bauch heraus statt evidenzbasierte Entscheidungen treffen.“
Entwicklungspfad muss aus Afrika selber kommen
Trotter hat mit Kolleg:innen ein Papier zur Weltklimakonferenz 2022 veröffentlicht, in dem sie ein Umdenken bei Politikerinnen und Politikern, Geldgeberinnen und Geldgebern und Forscherinnen und Forschern in Bezug auf die Energiewende auf dem afrikanischen Kontinent hin zu länderspezifischen und ganzheitlicheren Lösungen, um das Potenzial von Energie als Treiber nachhaltiger Entwicklung in Afrika voll ausschöpfen zu können, gefordert haben. „Das Papier hat ziemlich viel Gehör gefunden“, sagt er, „gerade auf der Klimakonferenz gab es mehrere Events innerhalb verschiedener Gremien. Wir konnten mit Politikerinnen sprechen und wir haben einen Nerv getroffen.“
Viel zu oft sei der Fehler gemacht worden, Afrika immer als großes und Ganzes zu sehen, aber Afrika habe 54 Länder, in Süd Subsahara Afrika seien es allein 48 mit erheblichen Unterschieden. „Wenn ich mir das aus der deutschen Entwicklungshilfeperspektive anschaue und dann sage, ich brauche hier ein Afrikaprogramm, dann ist die Gefahr sehr groß, dass das scheitert. Die ganze afrikanische Energietransformation muss auf eine sozial und entwicklungspolitisch gerechte Art und Weise passieren. Ich kann nicht nach Afrika gehen und sagen, ihr müsst jetzt diesen oder jenen Pfad einschlagen, weil der gut für die gesamtglobale Gesellschaft ist, sondern es ist wichtig, dass es einen aus Afrika getriebenen Entwicklungspfad gibt, den verschiedene afrikanische Länder für sich definieren und für ihre Bevölkerung auf eine gerechte Art und Weise umsetzen können.“
Auf der Weltklimakonferenz in Baku im November stand daher die Klimafinanzierung solcher Projekte ganz oben auf der Tagesordnung.
Erneuerbare Energien sind die Gegenwart und die Zukunft
„Wir sehen gerade im Energiesektor diesen Switch zu erneuerbaren Energien“, sagt Trotter, „Deutschland hat mittlerweile einen Energiemix, der im letzten Jahr fast 60% des Stroms aus erneuerbaren Energien gewonnen hat. Das sah vor 20 Jahren noch anders aus. Da haben wir eine wahnsinnige Transformation hinbekommen, die Deutschland auch ganz stark durch die frühen Solarsubventionen in den 2000er Jahren mit initiiert hat, so, dass wir jetzt global auf einem Weg sind, der völlig unumkehrbar ist. Erneuerbare Energien sind die Zukunft, und oft auch bereits die Gegenwart. Die sind günstiger und grüner. Bis auf Gas, das noch auf Wasserstoff umgestellt wird, bauen wir ja gar keine fossilen Kraftwerke mehr. Und das ist in Großteilen Europas und auch in Amerika genauso. Da habe ich eine sehr schöne Synergie aus ökonomischen und sozialverträglichen und auch umwelttechnischen Lösungen.“ So weit so gut.
Aber wie sieht es in Afrika aus? „In Afrika, dem sonnenreichsten Kontinent, habe ich praktisch gar nichts, was auf der Solarseite passiert“, stellt der Forscher traurig fest, „die Investitionen sind ganz gering, obwohl rund 50% der Sonnenenergie weltweit auf diesem Kontinent sind. Da ist diese riesige Saharawüste, die 1000 Mal mehr Sonnenschein abbekommt als der gesamte Primärenergiebedarf der Welt pro Jahr. Wir könnten also mit einem kleinen Teil der Saharawüste den gesamten Primärenergiebedarf der Welt decken. D.h. wir haben diese tolle Technologie, die so viele Vorteile bietet, aber wir haben eine völlige Unterinvestition in Afrika, und die macht mir Sorgen. Wir müssen nun schauen, wie wir das auch für Afrika hinbekommen. Wir müssen den Afrikanerinnen und Afrikanern günstigen Strom zur Verfügung stellen.“
Energiemodelle bauen, Entwicklungshilfe effektiver gestalten
„Thomas Edison hat vor 144 Jahren die Glühbirne erfunden. Wir haben in Deutschland vollständige Elektrifizierung seit den 50er Jahren. Wir wissen, wie man Strom an Menschen verteilt. 600 Millionen Menschen in Afrika haben keinen Stromzugang und das ist kein technisches Problem. Wir wissen, wie das geht. Das sind andere Probleme und viele davon sind sozialer und politischer Natur“, erklärt der Fachmann. Wenn also keine Forschungen im Land selber vorlägen, müsse ein Planer eben überlegen, welche Faktoren er bedienen müsse, damit die Bedürfnisse der Entscheidungsträger berücksichtigt würden. „Deswegen überlege ich mit Kollegen aus Afrika zusammen, können wir Energiemodelle bauen, die vielleicht in Deutschland gar keinen Sinn ergeben würden, aber in Afrika schon?“ Auch unsere Entwicklungshilfe müsse effektiver werden, fordert der Wissenschaftler und erklärt: „Das Hauptproblem ist oft in der Entwicklungshilfe folgendes: Es wird Geld gegeben, um eine Lösung zu bauen. Und wenn diese Lösung dann da steht, macht man ein Foto für seinen Report und geht weg. Aber allein die Tatsache, dass ich da bspw. eine Stromanlage hinbaue, in Dörfern, die nicht einmal das Geld für eine Waschmaschine haben, die man damit betreiben könnte, zeigt zwar einen hohen Bedarf aber eine niedrige Nachfrage. Der Strom wird dort vielleicht für Licht und ein Handy benutzt, aber nicht produktiv eingesetzt.“
Natürlich fragt sich der Forscher an dieser Stelle, ob das nicht auch anders gehe. „Ich schaffe dann vielleicht für das ein oder andere Dorf am Meer noch eine Eismaschine zusätzlich an, damit der Fischer seinen Fang länger frisch halten kann und das Obst kühl gelagert wird, weil sonst alles bei dieser Hitze sofort verdirbt. Dadurch können die Menschen höhere Preise erheben, die Ware bleibt länger frisch.“ Dazu könne man die Leute trainieren, bis sie das verstanden hätten. Und gehe dann die Eismaschine kaputt, werden die Menschen sie reparieren lassen, weil sie verstanden haben, welche Vorteile sie biete. „Dann habe ich einen Langzeitwert geschaffen. Ich muss mit der lokalen Bevölkerung denken und Anreize schaffen, dass es einen Wert vor Ort gibt.“
Es gebe bereits interessante, kreative Start-ups mit relativ geringen Mitteln, weiß Trotter und sagt abschließend: „Die Lösungen müssen aus Afrika kommen, wobei der Norden Afrikas da auch eine wichtige Rolle spielen muss. Wir können dann z. B. mit technischem Know-how bei der Umsetzung helfen.“
Prof. Dr. Philipp Trotter leitet den Lehrstuhl für Substainability Management in der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität.
Beitragsfoto © Bettina Engel-Albustin