Boden- und Grundwasserfachmann Jörg Rinklebe über die Wasserqualität in unseren Bächen, Flüssen und Seen
VON UWE BLASS
Mit ‚Hier sprudelt die Natur’ oder ‚Aus dieser Quelle trinkt die Welt‘ werben die einen, mit ‚Baden, wandern, Natur genießen, das ist ihr Urlaub am See in Deutschland‘ locken die anderen. Beide loben unsere Gewässer werbewirksam über den Klee und ignorieren dabei den tatsächlichen Zustand unserer Bäche, Flüsse und Seen. Tatsächlich sind nämlich nach Angaben der Europäischen Umweltagentur EEA zwei Drittel unserer sogenannten Oberflächengewässer in einem schlechten Zustand.
Für Professor Jörg Rinklebe, Leiter des Lehr- und Forschungsgebietes Boden- und Grundwassermanagement an der Bergischen Universität, ist das in keiner Weise überraschend und so formuliert er die Situation unmissverständlich drastisch, indem er sagt: „Unsere Flüsse fungieren traditionell als Kloaken der Gesellschaft.“
Flüsse sind Hotspots schädlicher Stoffe
„Wer sich ein bisschen mit der Thematik auskennt“, sagt Rinklebe, „der weiß, unsere Flüsse fungieren oft als Kloaken der Gesellschaft. Das muss man sich vergegenwärtigen! Auch historisch gesehen, jeglicher Müll ging und geht in die Flüsse hinein.“ Das könne man in ganz vielen Entwicklungsländern beobachten, wo es keine Kläranlagen gibt. Sämtlicher Müll, kommunaler Abfall, Exkremente, industrieller Abfall, alles werde in die Flüsse geleitet. Und das sei früher ebenso in Deutschland gewesen. Auch in Wuppertal wurde das vor 100 Jahren, als die Färberindustrie hier boomte, so gehandhabt. „Die Wupper war oft richtig bunt. Mal rot, grün, blau, je nachdem in welcher Farbe die Textilien gerade gefärbt wurden.“ Immer schon haben sich daher Schadstoffe in und an den Gewässern abgelagert. Da viele Fließgewässer schließlich auch in Seen oder das Meer münden, seien natürlich auch diese Gewässer verschmutzt.
29% der Gewässer sind stark chemikalienbelastet
Mehr als 90% des Grundwassers in der EU wird laut einem Bericht der Europäischen Umweltagentur EEA als gut bewertet, mit Blick auf die Chemikalienbelastung sind es allerdings lediglich 29%. „Und das ist absolut alarmierend“, erklärt der Fachmann, „insbesondere, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir 60 – 70% unseres Trinkwassers aus dem Grundwasser gewinnen. D.h., wir brauchen sauberes Grundwasser, sauberes Trinkwasser, damit wir auch die menschliche Ernährung sicherstellen und keine gesundheitlichen Probleme bekommen. Je schlechter die Qualität unseres Grundwassers ist, desto mehr müssen wir tun, um es als Trinkwasser aufzubereiten.“ Das Grundwasser sei dabei aber nicht nur für die menschliche Gesundheit wichtig, sondern auch für die Ökosysteme selbst, ergänzt er. „Pflanzen, Tiere, alle ernähren sich davon. Es gibt aufsteigendes Grundwasser aus dem Boden, und wenn das schon belastet ist, dann belastet das auch die Pflanzen. Die Wildtiere fressen es, und es geht in den gesamten Kreislauf über.“
Der Schadstoffcocktail unserer Gewässer
Die Substanzen, die sich in unseren Gewässern nachweisen lassen sind sehr umfangreich. Dazu Rinklebe: „Häufig ist es ein Schadstoffcocktail. Am bekanntesten ist natürlich das Nitrat, das sind ganz viele Stickstoffdünger, die wir als diffuse landwirtschaftliche Einträge bezeichnen.“ Für eine gute Entwicklung und einen guten Ertrag brauchen Pflanzen sehr viele Makronährelemente, „das sind Stickstoff, Phosphor und Kalium, d.h., damit wird stark gedüngt. Es ist sehr schwierig, in der Praxis das Optimum zu finden.“ Daher wisse man, dass die Bauern, um einem Mangel vorzubeugen, in der Regel zu viel düngen. „Aber das führt zur Überdüngung, der Boden kann das dann nicht mehr aufnehmen, und es geht dann ins Grundwasser.“
Pflanzen nehmen Stoffe meist nur in elementarer Form und nicht in ionischer Form auf, erklärt der Forscher, was bedeute, dass Nitrat nie direkt von den Pflanzen aufgenommen werde. Zudem könne auch der Boden nur begrenzt Nitrat festhalten. „Gerade Deutschland hat eine industriemäßige landwirtschaftliche Produktion. An ganz vielen Messstellen sind die Grenzwerte überschritten. Deshalb hat die EU auch Deutschland verklagt.“
Aber die Stickstoffdünger in der Landwirtschaft sind nicht die einzige Zutat im Schadstoffcocktail. „Es gibt die große Gruppe der organischen Schadstoffe“, erklärt Rinklebe, „das sind die PFAS (Per- und polyfluorierte Chemikalien). Dann gibt es die PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), es gibt PCBs (Polychlorierte Biphenyle) und natürlich noch sehr viel mehr. Mikroplastik, Hormone, die auch massenhaft in der Tierproduktion eingesetzt werden, Antibiotika, alles das geht auch in unsere Abwässer, wird nicht ausreichend in unseren Kläranlagen filtriert und gelangt letztlich in die Umwelt.“
Das Problem in den Filteranlagen liegt an den bisher eingesetzten drei Reinigungsstufen. Eine vierte Stufe, die auch die letztgenannten Schadstoffe absorbieren könnte, wird im Augenblick noch erforscht und getestet und kann nur in Pilotanlagen bereits umgesetzt werden. Eine weitere Schadstoffquelle sind Schwermetalle. „Schwermetalle sind ein großes Problem. Arsen, Kadmium, Blei, Chrom, Kupfer, Quecksilber, das ist eine ganze Schadstoffpalette, mit der wir uns schwerpunktmäßig in unserer Forschung auch beschäftigen. Das ist eines unserer größten Umweltprobleme, das wir überhaupt haben!“
Klimawandel versus Schadstoffbelastung
„Der Klimawandel ist wichtig“, betont der Forscher, „an ihm müssen wir uns orientieren! Aber das allein ist nicht ausreichend. Noch viel größer ist eigentlich das Problem der Schadstoffbelastung in der Umwelt und im Menschen weltweit. Es wurden ja selbst im Blut und Gehirn Mikroplastik und Antibiotika gefunden, und selbst in der Muttermilch wurde es nachgewiesen.“ Aufklärung ist in diesem Falle das A und O. „Das ist ja auch die Aufgabe der Wissenschaft“, sagt Rinklebe, „auf die Probleme hinzuweisen und nicht nur in Fachjournalen zu publizieren, sondern auch an die Presse und das Fernsehen heranzutreten, um auch eine Bewusstseinsbildung zu gestalten. Ich glaube, die Tatsache, dass Chemikalien ein großes Umweltproblem sind, ist in den meisten Köpfen noch nicht drin. Das liegt auch daran, dass viele Menschen heute durch Informationen gesättigt sind und es gar nicht mehr hören wollen. Das Problem dabei ist aber, man merkt es nicht unmittelbar, sondern erst nach Jahren oder gar Jahrzehnten.“ Rinklebe sieht in der Aufklärung und Information nach außen eine große Aufgabe für die Universitäten, die im weiteren auch unsere handelnden Politiker beraten müssen.
Hohe Bleikonzentration in NRW
Jedes Land und jede Region hat mit unterschiedlichen Schadstoffbelastungen zu kämpfen. Viele Altlasten sind den Bürgern auch nicht mehr präsent. „Ganz klar haben wir im Bergbau immer noch die Schwermetalle“, sagt Rinklebe. „In Sachsen haben wir durch den Uranbergbau noch aus DDR-Zeiten starke Schadstoffaltlasten, als die Sowjets dort Uran für ihre Atomwaffen abgebaut haben. In NRW ist eine erhöhte Bleikonzentration aus der alten Industriezeit festzustellen, flächenhaft für große Teile von NRW.“ In diesem Zusammenhang seien auch viele Luftemissionen zu nennen, deren Qualität sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland zwar deutlich verbessert hätten, doch die über den Feinstaub luftgetragenen Schadstoffe seien nun mal da. „Wir haben Schadstoffe in unseren Gebäuden, Asbest ist da ein Thema, d.h., die Probleme sind sehr vielfältig.“
Und die Wupper?
Der Wupperverband schreibt auf seiner Homepage: „In den vergangenen Jahren hat sich die Qualität des Wupperwassers stetig verbessert. Inzwischen schwimmen wieder zahlreiche Fischarten in dem Fluss.“ Rinklebe sagt: „Die Wasserqualität in den Flüssen hat sich in Deutschland grundsätzlich ziemlich gebessert.“ Zwar finden sich in den Sedimenten immer wieder eine Reihe von Schadstoffen, die man durch Ausbaggern an ruhenden Gewässern, wie den Talsperren aber auch mittlerweile gut trennen könne. Ein weiterer Schritt hin zu Renaturierung unserer Gewässer klingt aus dem Mund des Forschers dann abschließend doch sehr ermutigend: „Neuerdings versucht man auch wieder, die Flussbegradigungen rückgängig zu machen und die Flüsse in ihre alten, natürlichen Betten zurückzuführen. Auch die Flusssäume will man wieder mit Gehölzen bepflanzen oder Feuchtbiotope anlegen. Es werden Brutplätze für Singvögel eingerichtet und Plätze für Lurche und Kleintiere geschaffen.“
Univ.- Prof. Prof. mult. Dr.-Ing. agr. Jörg Rinklebe ist seit 2006 Professor für Boden- und Grundwassermanagement an der Bergischen Universität Wuppertal. Er gilt weltweit als einer der einflussreichsten Wissenschaftler in seinem Fachgebiet. Seine Arbeiten werden sehr häufig zitiert, weshalb er zum „Highly Cited Researcher“ gekürt wurde. Auf der Weltrangliste für Umweltwissenschaften steht er auf Platz 4, wobei bisher nur wenige deutsche Wissenschaftler überhaupt unter den ersten 100 Plätzen gelistet sind. Von 1997 bis 2006 war er als Wissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter in der Sektion Bodenforschung des UFZ-Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle GmbH in Halle tätig. Er studierte ein Jahr Ökologie an der Universität Edinburgh in Schottland (UK). An der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg studierte er Landwirtschaft und spezialisierte sich auf Bodenwissenschaften und Pflanzenernährung.
Beitragsfoto: Univ.- Prof. Prof. mult. Dr.-Ing. agr. Jörg Rinklebe / Boden- und Grundwassermanagement © UniService Transfer