Karl, Ewald und Hugo Erlemann

Stolpersteinverlegung am 9. November in Radevormwald

Zur Aufarbeitung der NS-Zeit findet am 9.11.24 um 11.00 Uhr in Radevormwald, Vorm Holte 5, eine weitere Stolpersteinverlegung statt, die für Karl, Ewald und Hugo Erlemann.

Der Verein Bergische Zeitgeschichte hat die Kosten für die drei Stolpersteine übernommen.

Hier die Lebensgeschichte der drei Brüder, die die Nachfahrin und Initiatorin Petra Hafele zusammengefasst hat. Auch 

Dank von Interviews, die Wolfgang Völkel bereits 2004 aufgenommen hatte und die von Knut Reinhardt digitalisiert worden waren. Nach der Recherche im Stadtarchiv Radevormwald konnten die Lebensläufe aufgestellt und der Antrag bei der Stolpersteinstiftung eingereicht werden.

Lebensläufe der drei Brüder Karl, Ewald und Hugo Erlemann, die NS-Opfer wurden

Mit der Verlegung der Stolpersteine möchte ich der drei Brüdern Karl, Ewald und Hugo Erlemann gedenken. Sie wurden nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten festgenommen, im Radevormwalder Polizeigebäude, im Konzentrationslager Kemna und Hugo auch in Sachsenhausen brutal gefoltert. Karl Erlemann starb in direkter Folge der Folter.

Wie diese drei Brüder war die gesamte Familie Erlemann mehr oder weniger politisch aktiv. Sie waren Demokraten, die sich im Arbeiter-Bildungsverein, dem Arbeiter- Sportbund, der Wanderbewegung, dem Arbeiter-Gesangverein, der Gewerkschaftsbewegung oder in der Lokal- und Parteipolitik engagierten.

Der Vater, Carl-Theophil Erlemann gehörte zu den Veteranen der Radevormwalder Arbeiterbewegung. Er betrieb auf dem landwirtschaftlichen Hof in Radevormwald-Obernhof auch eine Schmiedewerkstatt. Dort wuchsen die insgesamt neun Kinder von Lydia und Carl-Theophil Erlemann auf und lernten, sich mit dem Gedankengut der Arbeiterbewegung, den damit einhergehenden Fragen von sozialer Gerechtigkeit und Möglichkeiten der Emanzipation auseinander zu setzen.

Wie der Vater erlernten die Söhne Handwerksberufe. Karl, der älteste Sohn der Familie, wurde am 19. November 1894 geboren. Er erlernte den Beruf des Schumachers und wurde im ersten Weltkrieg zu den Soldaten einberufen. Nach seiner Rückkehr 1918 arbeitete er in seinem Beruf in einer kleinen Werkstatt auf dem elterlichen Hof als Schumacher.

1925 heiratete er Paula Lambeck, die zwei Jahre später den gemeinsamen Sohn Günter gebar. In der Folge der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933, den anschließenden Reichstags- und Kommunalwahlen im März 1933, wo die NSDAP in Radevormwald über 47% der Stimmen erhielt, verboten die Nationalsozialisten die beiden Arbeiterparteien SPD und KPD, die freien Gewerkschaften und alle Arbeiterorganisationen.

Den folgenden Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Verhaftungen fiel auch Karl Erlemann zum Opfer. Karl war weder parteipolitisch noch gewerkschaftlich organisiert. Er war Mitglied im örtlichen Arbeiter-Sportverein. Ende August 1933 wurde er unter dem Vorwand des Besitzes seiner Karabinerwaffe, die er aus dem 1. Weltkrieg mit nach Hause gebracht hatte, vom NS Polizeidienststellenleiter Schild an seiner Wohnadresse Obernhof in Radevormwald verhaftet und im Keller der Polizeiwache fortgesetzt schwerst misshandelt.

Die Worte meines Opas Walter Erlemann „Ausgerechnet den Karl, der in keiner Partei war und der nie jemandem etwas zuleide getan hatte, griffen sie sich und schlugen ihn immer wieder bestialisch zusammen“, sind mir noch gut in Erinnerung. (*)

Die Tatsache, dass Karl über keinerlei Wissen über politische Pläne verfügte, nahmen Schild und seine NS-Kollegen zum Anlass, Karl geheime kommunistische Operationen zu unterstellen. Weil er nichts wusste und daher auch nichts aussagen konnte, schlugen sie ihn in fortgesetzt erfolgenden „Verhören“ mit extrem sadistischer Gewalt zusammen.

„Der Polizist Schild war dafür bekannt, gerne und so brutal wie möglich zu schlagen und zu quälen. Als Karl dem in die Hände gefallen war, lies der nicht mehr von ihm ab“, berichtete mein Opa darüber (*)

Anfang September 1933 überstellten die Radevormwalder Polizisten Karl in das KZ Kemna, wo er vier Monate inhaftiert blieb und fortgesetzt gefoltert wurde.

Beim Prozess gegen die Wachmannschaften des KZ Kemna im Jahr 1948 wurde aus den Aussagen protokolliert: „Karl Erlemann wurde in ausgesprochen viehischer Weise misshandelt. Er wurde derart zerschlagen, dass er nicht mehr wieder zu erkennen war.“

Die Form der Misshandlungen sei bei allen Radevormwaldern gleich gewesen. Sie seien von einem Wachkommando mit heruntergelassener Hose über ein Bank geworfen und mit verschiedenen Schlagwerkzeugen wie Ochsenziemern, Gummiknüppeln, Reitpeitschen, Koppelriemen und ähnlichem bis zur Bewusstlosigkeit geprügelt worden. Auch auf den Kopf der NS-Opfer sei dabei massiv eingeschlagen worden.Karl sei danach als „blutiger Fleischklumpen“ in den so genannten Bunker geworfen worden. Ein Zeuge, der ihn dort gesehen hatte, sagte, „dass der Erlemann total zerschlagen und nur noch ein unförmiger Klumpen Fleisch war“.

Meinem Opa Walter Erlemann gegenüber berichtete ein Zeuge, dass der Kommandant des Lagers einen Hund besessen habe. Er habe Karl befohlen, in die Hundehütte zu kriechen und dort zu bleiben, weil er ein dreckiger Hund sei.

Karl sei von seinen Folterern auch wiederholt Salz und Pfeffer in die Wunden gestreut worden. (*) Karl wurde am 23. Dezember 1933 aus dem Konzentrationslager Kemna entlassen. Schwerst körperlich und seelisch traumatisiert, wurde er als „geisteskrank“ diagnostiziert und in die damals so bezeichnete „Irrenanstalt“ Galkhausen eingewiesen. Dort verstarb er am 9. Januar 1934.

Im Gutachten des Galkhausener Oberarztes Dr. Settel vom 11.9.1934 heißt es: „Die Erkrankung kann wohl und das ist sehr wahrscheinlich, durch die Schläge auf den Kopf verursacht worden sein.“

Bei der juristischen Aufarbeitung nach 1945 sah es ein Gericht im Prozess von 1948 gegen die Kemna-Wachmannschaft als erwiesen an, „dass der Wahnsinn , in welchen Karl Erlemann verfallen ist, auf diese Misshandlungen zurückzuführen ist und der wenige Tage nach dem Wahnsinnsausbruch erfolgte Tod somit in ursächlichem Zusammenhang mit dieser Misshandlung steht.“ Die sadistischen Täter des NS-Regimes hatten ihn durch extreme und fortgesetzte Folter ermordet.

Der zweitälteste Sohn der Familie, Hugo Erlemann wurde am 15.1. 1887 geboren. Auch Hugo wurde Soldat im ersten Weltkrieg. Bald nach seiner Heimkehr heiratete er Ida Bunte, die zwei Töchter zur Welt brachte.

Hugo erlernte den Beruf des Schlossmachers und war seit früher Jugend sozialpolitisch und kommunalpolitisch aktiv. Er trat in die KPD ein und war bis zum März 1933 einer der vier gewählten Mitglieder der KPD im Rat der Stadt Radevormwald. Hugos Wahlspruch lautete: „Willst du Speck im Henkelmann, wähle Hugo Erlemann.“

Mein Opa Walter sprach des öfteren über seinen ältesten Bruder. Hugo sei sehr beliebt gewesen, weil er sich immer wieder für die Verbesserung der Rechte und Lebensbedingungen der Arbeiterfamilien engagiert habe. Häufig seien die Menschen auch mit der Bitte um seine Hilfe zu Hugo nach Hause gekommen und er habe getan, was ihm möglich gewesen sei, um zu helfen. (*)

Bei den Kommunalwahlen im März 1933 hatten die beiden Arbeiterparteien KPD und SPD in Radevormwald trotz großer Behinderung zusammen noch 24 % der Stimmen erhalten. Im Mai 1933 wurden beide Parteien verboten, die Mitglieder aus dem Rat der Stadt ausgeschlossen.

Hugo wurde Anfang Oktober 1933 unter der Beschuldigung, Waffen verschoben zu haben, vom Radevormwalder Polizisten Schild an seiner Wohnadresse Vorm Holte 3, verhaftet. Schild und weitere NS-Polizisten hielten Hugo zwei Wochen lang fest, schlugen und traten dort immer wieder auf ihn ein. Schild drohte ihm dabei, dass er in das Konzentrationslager Kemna verlegt würde, wenn er nichts zu den Waffen sage. „Ich wusste von Waffen nichts und konnte dazu auch keine Angaben machen,“ sagte er dazu. Nach dem zweiwöchigen Misshandlungen in Radevormwald wurde er in das Konzentrationslager Kemna gebracht, wo er zum Zeugen der Misshandlungen eines anderen Gefangenen wurde.

Eine weitere und besondere Grausamkeit erlebte Hugo abends in der Dunkelheit. Hugo schilderte dies so, dass sein Bruder Ewald zu ihm gekommen sei und Hugos Hand genommen habe. Ewalds Stimme sei vollkommen verändert gewesen, er habe nicht mehr richtig sprechen und sich kaum auf den Beinen halten können. Der Bruder habe ihm mit Mühen berichtet, dass er mehrfach bis zur Bewusstlosigkeit mit Knüppeln geschlagen worden sei. Am nächsten Morgen habe Ewald nicht aufstehen können und sei zerschlagen und voller Blut gewesen.

Am selben Abend wurde auch Hugo „vernommen“ und misshandelt.Hugo wurde noch mehrfach zu „Verhören“ unter Folter auf die Radevormwalder Polizeistation und in das KZ Kemna gebracht. Später wurde er in das KZ Sachsenhausen überstellt, wo er unter Hunger schwere Zwangsarbeit leisten musste. Bei der Arbeit wurde er so schwer an der Hüfte verletzt, dass er längere Zeit arbeitsunfähig war. Da er nicht arbeitete, erhielt er, so wie dies in Sachsenhausen üblich war, nichts zu Essen. Ein anderer Radevormwalder Häftling teilte die eine Schnitte Brot, die die Häftlinge pro Tag erhielten, mit Hugo. Er hätte das sonst das nicht überlebt, sagte Hugo später dazu. Infolge der Hüftverletzung in Sachsenhausen, von der er eine Gehbehinderung zurückbehielt, erhielt Hugo nach dem Krieg eine Rente von 75 DM monatlich.

Wie oft Hugo insgesamt verhaftet und von Radevormwalder Polizisten misshandelt wurde, ist nicht dokumentiert.

Aus den Berichten meines Opas, meiner Mutter und ihrer Geschwister weiß ich, dass Hugos Frau Ida immer wieder spät abends weinend mit den Worten „Sie haben ihn wieder abgeholt“ zu der nicht weit entfernt wohnenden Verwandtschaft kam.(*)

Dokumentiert ist, dass Hugo Erlemann nach dem Hitler-Attentat 1944 von der Polizei festgenommen und gemeinsam mit anderen in ein Gefängnis in Opladen verbracht wurde. Dort sei er nicht sehr lange geblieben, weil die Verbindung der Berliner Attentäter nicht herstellbar gewesen sei.

Nach 1945 blieb Hugo Erlemann politisch aktiv. Als Vorsitzender der Ortsgruppe der KPD arbeitete er für den Rat der Stadt Radevormwald im Wohnungsausschuss und im Entnazifizierungsausschuss. Hugo war dafür bekannt, dass er gerecht, offen und klar mit den Menschen umging, die „entnazifiziert“ werden wollten.

Nach dem KPD-Verbot 1956 legte Hugo alle seine Ämter nieder und betätigte sich nicht mehr politisch. Hugo starb am 7. März 1969.

Der jüngste Sohn der Familie, der am 29.8.1904 geborene Ewald Erlemann, lernte ebenfalls den Beruf des Schlossmachers. Er heiratete 1947 Johanna Lourens. Das Ehepaar hatte einen Sohn.

Ewald Erlemann war im Arbeiterbildungsverein und parteipolitisch in der KPD engagiert. Er war jedoch weniger aktiv als Hugo.

Im August 1933 wurde Ewald von den Radevormwalder Polizisten Schild und Maus unter dem Vorwand, Umsturzpläne vorbereitet zu haben, an seiner Wohnadresse Obernhof in Radevormwald verhaftet. Er wurde in das KZ Kemna eingeliefert und dort ebenfalls in sadistischer Weise schwerst misshandelt.

In dem Konzentrationslager sei er von SA-Männern über eine Bank gezerrt und auf Kommando mehrfach hintereinander von Schild und Maus so schwer verprügelt worden, dass er ohnmächtig zu Boden gefallen sei. Nachdem er aus der Ohnmacht aufwachte, habe er die Misshandlungen seines Bruders Karl mit ansehen müssen.

Auch Ewald war unter Folter nicht in der Lage, etwas über Vorbereitungen oder die Organisation von Umsturzplänen zu sagen, da er weder etwas darüber wusste, noch daran beteiligt war. Nach zwei Monaten schwerster Misshandlungen wurde er im November 1933 aus dem KZ Kemna entlassen.

Ewald Erlemann gehörte dann zu den 55 Radevormwaldern, die im Wuppertaler Prozess vom März 1935 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt wurden. Ohne jede Beweise und auch ohne jeden Hintergrund einer „Tat“ wurde er zu einem Jahr und einem Monat Haft verurteilt.

In den letzten Lebensmonaten lebte Ewald bei seinem Bruder Ernst Erlemann, wo er im Juli 1979 verstarb.

Quellen

  • Radevormwalder Stadtarchiv zu den biografischen Daten
  • David Mintert: „ Ich höre noch die Schreie der Geschlagenen“ Hrsg. BZG, Verein für Bergische Zeitgeschichte 2006
  • Hans Dürhager, Dietrich Hoffmann, Wolfgang Motte: „Begleitheft zu den Gedenktafeln am Bürgerhaus in
  • Radevormwald“ Hrsg. Stadt Radevormwald 2005
  • Dietrich Hoffmann „Radevormwald unterm Hakenkreuz 1929 bis 1933“ Hrsg. BZG, Verein für Bergische Zeitgeschichte, 2008
  • Olaf Wunder: „Mit Knüppeln geschlagen bis er bewusstlos wurde“ Remscheider Generalanzeiger 3.10.1981
  • Kopie „Beglaubigte Abschrift Haftbefehl J252/34“ gegen 55 Radevormwalder, Amtsgericht Lennep 8. Mai 1934 aus dem Nachlass von Ewald Erlemann, im Besitz des Sohnes Dietmar Erlemann
  • Dokumentiertes Interview Wolfgang Völkel mit Käthe Schaub, Tochter von Hugo Erlemann 18.7.2005
  • Die mit (*) gekennzeichneten Textstellen sind meine persönlichen Erinnerungen an die vielen Gespräche mit meinem Opa Walter Erlemann, der ein Bruder von Karl, Hugo und Ewald war.
  • Meine Mutter Brunhilde, geborene Erlemann und ihre Geschwister, die während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft Kinder bzw. Jugendliche waren, berichteten ebenfalls über die aus ihrer damaligen Kindersicht besonders beängstigenden und belastenden Ereignisse. An einer Stelle sind ihre Erinnerungen hinzugefügt

Beitragsfoto: Gebäude des ehemaligen Bergischen KZ Kemna

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