Die letzten 19 Jahre ihres Lebens wohnte Martha Minna Kottner in der Wielstr. 16 in Wermelskirchen. Am Freitagmittag wurden zum Gedenken an sie und ihren bereits 1941 ermordeten Ehemann in Dresden-Plauen (Klingenberger Str. 3) zwei Stolpersteine von dem Künstler Gunter Demnig persönlich verlegt. Dazu waren auch zwei ihrer Urenkel angereist. Die Verlegung wurde von dem in Wermelskirchen geborenen Autor T. Martin Krüger initiiert. Er hatte die Geschichte erforscht und 2022 in einem Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Eine Bibel schön und groß, haben sie gefunden, diese Sünde, denkt euch bloß, kostet viele Arbeitsstunden“.
Martha Kottner war eine mutige Frau. Die 1879 in Thüringen geborene Frau beteiligte sich mit ihrem Mann Gustav Hermann Kottner, sowie 3500 weiteren Zeugen Jehovas am 12. Dezember 1936 an der Verteilung von 100.000 Flugblättern, der wohl größten öffentlichen Protesthandlung in der NS-Diktatur. Darin findet sich eine „Warnung an die Herrscher in Deutschland […], die die wahren und treuen Nachfolger Christi Jesu grausam verfolgen“. Ohne dass die Gestapo ihr zu diesem Zeitpunkt eine Beteiligung an der Aktion nachweisen konnte, wurde Martha Kottner am 14.09.1937 verhaftet und wegen illegaler Tätigkeit für die verbotene IBV (Internationale Bibelforschervereinigung) zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt.
Auch ihr Ehemann wurde im gleichen Jahr verhaftet, weil er in Wermelskirchen ein Untergrundtreffen leitender Zeugen Jehovas organisiert hatte. Obwohl ein Gericht ihm bereits 1938 bescheinigt hatte, dass er haftunfähig sei, wurde er 1940 in Dresden erneut verhaftet und gefoltert. Dabei musste er im Winter in einer Zelle stehen, in der ihm das eiskalte Wasser bis zum Hals reichte und verstarb kurz darauf an den Folgen der Misshandlung.
Am 24.11.1943 wurde Martha Kottner in Dresden erneut verhaftet, während sie auf ihre damals 7-jährige Enkelin Inge aufpasste. Die Polizisten ließen das kleine Mädchen unbeaufsichtigt in der leeren Wohnung zurück. Ihre Großmutter Martha Kottner wurde nach München überführt, wo sie mit über 200 weiteren Zeugen Jehovas des Hochverrats und der Wehrkraftzersetzung angeklagt wurde. Da das dortige Gefängnis bereits überfüllt war, wurde sie nach Traunstein verlegt. Die Staatsanwaltschaft bezeichnete sie als „fanatisch“ und begründete die Anklage damit, dass sie „etwa 12 illegale Bibelforscherschriften zum Lesen erhalten“ habe. Weiter heißt es in der Anklageschrift: „Seit Frühjahr 1942 spendete sie für die illegale Organisation der IBV etwa fünfmal Geldbeträge in Höhe von 1 – 1,50 RM.“ Das allein reichte für eine Anklage auf Hochverrat. Während einige Zeugen Jehovas zum Tod oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, wurde das Verfahren weiterer Beschuldigter vom Hauptverfahren abgetrennt. Zu ihnen gehörte Martha Kottner, die nach eigener Aussage bis zu ihrer Befreiung aus dem Gefängnis im April 1945 damit rechnete, ebenfalls verurteilt und in ein KZ gebracht zu werden.
Infokasten: Stolpersteine Stolpersteine sind 96 x 96 mm kleine, beschriftete Messingtafeln, die auf einem Betonwürfel befestigt im Boden vor dem letzten Wohnhaus eines in der NS-Zeit inhaftierten, vertriebenen oder ermordeten Menschen an diesen erinnern. Seit Gunter Demnig 1992 den ersten Stolperstein in Köln verlegte, wurden bereits mehr als 100.000 Steine in 30 europäischen Ländern verlegt.
Martha Kottner kehrte zunächst nach Dresden zurück und erhielt dort den Status „Opfer des Faschismus“ (OdF). Doch im April 1950 forderte der Prüfungsausschuss der DDR die damals 70jährige auf, „für den demokratischen Aufbau […] im Rahmen der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands mitzuarbeiten.“ Man knüpfte damit den NS-Verfolgtenstatus einer Frau, die wegen ihrer apolitischen Haltung von der NS inhaftiert wurde, erneut an ein politisches Statement. Da sie dazu nicht bereit war, verlor sie ihren OdF-Status. Im August 1950 besuchte sie in Wermelskirchen ihre Tochter Else und ihren Schwiegersohn Friedrich Brosius, der wegen seines Glaubens mehr als 7 Jahre in KZ-Haft verbrachte. Für ihn wurde 2002 der erste Stolperstein in Wermelskirchen verlegt. Am 30.08.1950 wurden Jehovas Zeugen in der DDR erneut verboten. Daher entschied sich Martha Kottner dafür, nicht zurückzukehren und Wermelskirchen zu ihrer neuen Heimat zu machen.
Infokasten: Jehovas Zeugen in Wermelskirchen In Wermelskirchen sind Jehovas Zeugen seit dem Jahr 1900 aktiv. Bisher sind 36 Männer, Frauen und Kinder bekannt, die in Wermelskirchen wohnten und zwischen 1933 und 1945 Opfer der NS-Verfolgung wurden. 1960 baute die Gemeinde ihren eigenen Königreichssaal (Gotteshaus). In Wermelskirchen sind aktuell 112 Personen aktiv. Weltweit gehören über 8 Mio. Personen der christlichen Religionsgemeinschaft an. Seit 2006 sind Jehovas Zeugen in Deutschland Körperschaft des öffentlichen Rechts. Internet: www.jw.org und www.jehovaszeugen.de
Ich bin im Moment dabei, mit der Hilfe von Herrn Krüger, ein Buch über die Zeugen Jehovas im Bergischen Land zu schaffen. Es trägt den Titel “Ihr Glaube war stärker, die Leidenswege der Zeugen Jehovas im Bergischen Land während der Nazizeit”. Die ersten 100 Seiten sind fertig. Ich zeige die Einzelschicksale der Zeugen Jehova aus Remscheid, Solingen, Mettmann, Wuppertal, Hattingen, Leverkusen, Wülfrath und Wermelskirchen, auf.