Philip Schlaffer, verurteilter Straftäter der Neonazi-Szene und ehemals Größe im Rockerrotlichtmilieu, ist aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen und heute als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer tätig.
Als Jugendlicher in den Neonazismus eingestiegen, war er lange in der rechtsextremen Musikszene aktiv sowie Gründer und Anführer der neonazistischen „Kameradschaft Werwolf“, später auch Mitglied der Partei Die Republikaner und der rechtsextremen NPD.
Öffentliche Bekanntheit erlangte der heute 45jährige Schlaffer bereits 2006 durch ein Internetvideo vor einem seiner Neonazi-Szenegeschäfte, in welchem er und weitere Neonazis mit Baseballschlägern bewaffnet am Rande einer Demonstration gegen antifaschistische Demonstranten vorgehen wollten und von der Polizei nur mit gezogenen Waffen daran gehindert werden konnten.
Schlaffer hat nach seinem Ausstieg eine Ausbildung als Anti-Gewalt- und Deradikalisierungstrainer durchlaufen und setzt sich unter anderem im Rahmen von Schulbesuchen gegen den Rechtsextremismus ein.
Den Lübecker Nachrichten hat er ein Interview gegeben zum Thema „Remigration“. Hier einige Auszüge aus seinen Antworten:
Wenn man sieht, wer sich da alles getroffen hat, Rechtsradikale und Rechtsextremisten aus Wirtschaft und Politik, dann sollte man schon sehr alarmiert sein.
Wenn man das, was Sellner sagt, für bare Münze nimmt, dann bedeuten seine Vorstellungen von Ethno-Pluralismus und Remigration letztlich Gewalt – mit allen Konsequenzen. Weil, wenn aus seiner Sicht jemand Nicht-Deutsches nicht freiwillig geht, wie soll es anders durchgeführt werden? Man sollte also genau hinhören, was er sagt, und verstehen, was mit dem beschönigenden Begriff Remigration gemeint ist. Das knüpft an den Madagaskar-Plan der Nazis an, wo im Zweiten Weltkrieg vier Millionen europäische Juden nach Afrika deportiert werden sollten.
Ich war damals als Rassist unterwegs und der Meinung, ich sei aufgrund meiner Herkunft die Krone der Schöpfung. Im Ethno-Pluralismus sieht man sich gleichwertig mit anderen Ethnien – ist aber der Meinung, dass jeder Mensch da leben sollte, wo er herkommt. Das ist die neue Masche der Rechten. Es klingt tolerant, meint aber im Grunde ethnische Säuberung.
Das Wort Remigration ist nicht neu. Es wird bei den Rechten seit der Flüchtlingswelle 2015 benutzt und ist jetzt nur mehr in den Fokus gerückt, weil die AfD es geschafft hat, das Wort wieder aktiv in den Sprachgebrauch einzubringen. Und da wird es auch bleiben, weil es für viele nicht das Unwort des Jahres ist – sondern das Lösungswort.
Vor so einem Zustand kommen immer Angst, Frust und Wut. Das, was viele Menschen in den vergangenen Jahren erlebt haben, war einfach zu viel. Angefangen mit der ersten Flüchtlingswelle hin zur Pandemie, zum Krieg in der Ukraine, der Inflation, der Energiewende und jetzt dem Nahost-Konflikt. Das sind sehr viele Krisen mit spürbaren Auswirkungen. Viele waren nicht darauf vorbereitet, dass der Gürtel nun etwas enger geschnallt werden muss. Viele haben Angst um ihre Existenz. Sie sind überfordert und suchen Verantwortliche. Das können Flüchtlinge sein, das können Politiker sein. So war das damals bei mir auch.
Man muss die Wut am Laufen halten. Heutzutage gibt es unzählige Echokammern und Hetzaccounts im Netz, die das professionell übernehmen. Wer Wut hat, der geht heute über Messenger-Dienste oder Social Media in irgendeine Gruppe, wo er den ganzen Tag mit Narrativen bedient und aufgepeitscht wird. So lange und so intensiv, dass viele gar nicht merken, dass sie irgendwann demokratischen Boden verlassen. Und dann ist kein Gespräch mehr möglich.
Wut war mein Hauptantrieb. Wut darüber, nicht gesehen zu werden. Wut darüber, nicht gehört zu werden. Wut darüber, dass die Politik über mein Leben bestimmt. Da ist man den ganzen Tag auf Zinne. Und Social Media ist heute ein fürchterlicher Katalysator dieser negativen Gefühle. Wenn man täglich damit bespielt wird, driftet man komplett ab – und die rationale, demokratische Gegenrede kommt da nicht hinterher. Und radikale Parteien wie die AfD wollen genau das, weil es die Leute zu ihnen treibt. Um politische Inhalte geht es ja gar nicht. Und während man die Meute aufpeitscht, können die Funktionäre in den Hinterzimmern echte Pläne schmieden? Ich denke nicht, dass man jetzt den großen Umsturz fürchten muss. Wichtig aber war, zu sehen, welche Verbindungen und Ideen es im Hintergrund gibt, und dass man keine Hemmungen hat, sich mit Rechtsextremen wie Martin Sellner zu treffen und seinem Masterplan über Remigration zuzuhören.
Weiter im Gespräch bleiben und uns mehr vor Augen führen, dass in Deutschland nicht alles so scheiße ist, wie die Leute das sehen. Es wird zu viel katastrophiert. Und ich glaube, dass die anderen Parteien sich Themen wie Migration und Integration besser stellen müssen, um den Rechtsextremen ihre Inhalte wegzunehmen. Nicht alle, die die AfD wählen, sind rechtsextrem. Aber sie dulden Rechtsextreme, weil sie so wütend sind.
Den ganzen Tag Hass und Wut zu empfinden kostet unglaublich viel Kraft. Ich war ein richtiger Menschenfeind, war gewalttätig und nur umgeben von negativen Gefühlen. Dieser Dauerzustand hat irgendwann dafür gesorgt, dass ich komplett ausgebrannt war und gemerkt hab’, dass mein Leben so zu nichts führt.
Beitragsfoto: Philip Schlaffer © de:Benutzer:Smalltown Boy Eigenes Werk, CC0