Dr. Stefan Neumann zum 100. Geburtstag von Vicco von Bülow
VON UWE BLASS
Woran denken Sie spontan, wenn Sie den Namen ´Loriot` hören?
Neumann: Ach was! (Loriot hat in seinen Sketchen diese Interjektion oft in lakonischer Weise verwendet, um die Komik der Situation zu verstärken; sein Ausruf Ach (was)! ist inzwischen Allgemeingut. Anm. d. Red.)
Loriot, der eigentlich Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow hieß, wäre am 12. November 100 Jahre alt geworden. Er war ein vielseitiges Allroundtalent. Woran erkennt man das?
Neumann: Man kann es auf eine ganz einfache Formel bringen. Loriot ist Trends nicht gefolgt, er hat sie gemacht. Das gilt für seine frühe Karriere als Zeichner ebenso wie für seine Karriere als Fernseh- und Filmemacher. Sein Humor ist einzigartig. Er hat Dinge verändert und neu erfunden. Loriot ist feinsinnig, kultiviert und entlarvend, ohne seine Figuren oder sein Publikum bloßzustellen. Als Grundlage dient seine Lebenserfahrung, die genaue Beobachtung seiner Mitmenschen und natürlich seine handwerklichen Fähigkeiten und Genauigkeiten in den Bereichen Timing, Inszenierung und Umsetzung. Auch die Requisiten sind sehr detailgetreu und liebevoll gemacht.
Loriots Komik basiert auf der Angst, dass die bürgerliche Welt einstürzt, dass man selbst ungeschützt und als Versager dasteht. Wie der Chef der Vereinigten Europa-Trikotagen GmbH, der versucht, ein Verhältnis mit seiner Sekretärin zu beginnen, dabei schon an der Physik eines Kusses scheitert und dessen verzweifeltes „Andere machen es doch auch“ man auf vieles beziehen kann. Loriots Komik ist vielschichtig. Und deshalb ist sie oft nicht eindeutig. Zwar verstehen wir sie sofort und lachen, aber, wenn man nachfragt, was genau da so komisch ist, wird es schwierig. Loriots Komik ist Kunst auf hohem Niveau. Er hat sehr akribisch gearbeitet und er war sehr fordernd seinen Mitarbeitern gegenüber, jedoch immer menschlich humorvoll, ein sehr umgänglicher Mensch.
Was bedeutet eigentlich der Name Loriot?
Neumann: Vicco von Bülow hat in Hamburg Kunst studiert und wollte eigentlich bildender Künstler werden. Quasi nebenher verdiente der frisch verheiratete Loriot mit Grafiken und Humorzeichnungen für Zeitungen seinen Lebensunterhalt. Und für diesen Brotberuf wollte er seinen Namen nicht hergeben. Also nahm er den Wappenvogel der Familie von Bülow, einen Pirol, und übersetzte den Namen dieses Vogels ins Französische, denn damals waren in der Karikaturisten-Szene französische Zeichner gerade sehr erfolgreich. So kam es zu Loriot.
Loriot war eigentlich studierter Maler und Grafiker. Zu seinen ersten Zeichnungen gehörte eine heute noch bekannte Figur, die er als Werbegrafiker auch oft in der Zeitschrift „Stern“ verwandte. Um welche Figur handelt es sich dabei?
Neumann: Das berühmte Knollennasenmännchen kennt fast jeder. Es ist eine stilisierte männliche Figur mit dicker Nase, meist im Stresemann gekleidet, jenem staatstragenden Anzug aus den 1920er Jahren, in der sich hoher Anspruch und tückisches Scheitern schon in der Person vereinen. Wenn ich das Knollnasenmännchen vor mir sehe mit seinem ungläubig staunenden, etwas entrückten Gesichtsausdruck und diesen schon in den 1950er Jahren altmodischen Klamotten, dann denke ich immer: Ach was! Das Äußere und das Innere dieser Figur widersprechen sich und man kann sich selbst darin sehr gut wiedererkennen.
An seinen Humor mussten sich die Deutschen aber erst gewöhnen. Es gab auch Proteste und der ´Stern` beendete sogar die Zusammenarbeit mit ihm. Aus welchem Grund?
Neumann: Loriot hat während seiner Kariere immer wieder Grenzen verschoben. Das begann mit seiner ersten größeren Cartoonserie, in der er die Rollen von Menschen und Hunden ausgetauscht hat, ein klassisches „Verkehrte-Welt-Motiv“, das aber den Menschen der 1950er Jahre unerhört erschien: In einer Zeichnung sieht man eine junge Frau mit mehreren Kindern in einem Körbchen. Um das Körbchen herum steht eine erschüttert dreinblickende Familie von großen Hunden, von denen einer sagt: „“Man hätte sie eben keine Minute aus den Augen lassen dürfen.“ Das kam in der damaligen Gesellschaft der prüden Sexualmoral und der Vorstellung des Menschen als Krone der Schöpfung nicht so gut an. Es gab körbeweise erboste Leserbriefe und der „Stern“ druckte fast 20 Jahre lang keine weiteren Cartoons von Loriot mit Ausnahme einer Kinderbeilage, in der er weiterhin zu vorgegebenen Texten das Nashorn Reinhold zeichnen durfte.
In den späten 1960ern zeigte Loriot dann in seiner ARD-Fernsehserie „Cartoon“ das erste Mal im deutschen Fernsehen nackte Menschen. Auch da gab es Leute, die das nicht lustig fanden. Aber je bekannter Loriot wurde und je weiter sich die bundesdeutsche Gesellschaft liberalisierte, desto besser wurde das Verhältnis.
Keiner wollte seine Zeichnungen veröffentlichen. Das änderte sich aber mit dem Diogenes-Verlag. Warum?
Neumann: Daniel Keel, der Verleger des frisch gegründeten Diogenes Verlages, war jung, experimentierfreudig und wusste Populärkultur und künstlerisches Niveau miteinander zu verbinden. Deshalb war Loriot dort genau richtig. Er war von einer Bekannten auf den Verlag aufmerksam gemacht worden und kam so mit Keel in Kontakt. Dessen Reihe mit kleinen Geschenkbüchern, die in Bahnhofsbuchhandlungen und Geschenkläden verkauft wurden, waren ein ideales Medium für die frühen Loriot-Zeichnungen. Im Gegensatz zum „Stern“ traute sich Keel auch abseits des Mainstreams zu veröffentlichen. Loriot ist dann zeitlebens bei diesem Verlag geblieben.
In den 70er Jahren schuf er seinen wohl bekanntesten Hund. Wer war das?
Neumann: Wum war das Maskottchen der Aktion Sorgenkind, das Loriot gezeichnet hatte. Die Aktion Sorgenkind war eine Fernsehlotterie, mit deren Erlösen man damals die Opfer des Contergan-Skandals unterstützen wollte. In einem kleinen Zeichentrick-Sketch, gezeichnet und gesprochen von Loriot, wies Wum auf die Show zur Fernsehlotterie hin, die „3 mal 9“ hieß und später in „Der große Preis“ umbenannt wurde. Da gab es dann auch noch weitere Charaktere wie den Elefanten Wendelin und den Blauen Klaus. Der Showmaster hieß Wim Thoelke, daher der Name Wum. Wum wurde schnell der Liebling der Nation und zum Höhepunkt der jeweiligen Fernsehshow, in die jeweils ein Sketch eingebettet wurde, in dem Wum ziemlich aberwitzige Dinge tat. Für Kinder war das ein absoluter Höhepunkt der Fernsehwoche und man bettelte, damit man aufbleiben durfte, bis Wum gezeigt wurde. Damals bin auch ich als Kind vom Loriot-Virus infiziert worden. Später gab es sogar einen Schlager mit Wums Gesang mit dem Titel „Ich wünsch mir `ne kleine Miezekatze…“, der in den Musik-Charts bis Platz 1 kam.
Loriot war in frühen Filmproduktionen als Schauspieler involviert, z.B. in Bernhard Wickis Die Brücke, machte sich aber erst durch seine eigene Fernsehserie und die nachfolgenden Filme ab den 70er Jahren bei den Zuschauern unsterblich. Vor allem seine Sketchserie ´Loriot`, die er mit sechs Folgen präsentierte, haben bis heute Kultstatus. Was macht sie so besonders?
Neumann: Die Klassiker, die bis heute im Gedächtnis der Nation sind, sind vor allem die Sketche, die er in Loriot I bis VI in den Jahren zwischen 1976 und 1978 produziert hat. Hier stimmte einfach alles. Die liberalen 1970er Jahre ließen vieles zu, was vorher unmöglich gewesen wäre. Bei Radio Bremen redete Loriot niemand hinein und er hatte ein erstklassiges Ensemble. Allen voran natürlich Evelyn Hamann. Hier entstanden die Klassiker wie „Der Lottogewinner“, „Das Jodeldiplom“, „Die Nudel“ und viele andere. Dabei spielen Loriots handwerkliches Können mit seiner visuellen Vorstellungskraft und seinem außergewöhnlichen Gefühl für Sprache sich gegenseitig in die Hände. Wenn man diese Zeit verstehen will, jene bundesdeutsche Wohlstandsgesellschaft mit damals von Loriot schon deutlich angemahnter Warnung vor Umweltzerstörung und dem bundesdeutschen Selbstverständnis zwischen Größenwahn und Verklemmtheit, muss man Loriot schauen. Er ist ein Meister seines Faches und ein ausgewiesener Kenner der Befindlichkeiten seiner Zeit.
Was viele nicht wissen, auch im Bereich der Oper war er aktiv.
Neumann: Da gab es eine große Affinität zur Oper seit seiner Kindheit, die er bei Großmutter und Großtante verbrachte, als die Eltern sich getrennt hatten. Die beiden Damen haben ihn zur Belohnung immer mit in die Oper genommen, und das hat er von klein auf geliebt. Er gilt auch als großer Wagnerfan. Zunächst hat er Zwischentexte für Opern verfasst, z. B. 1975 zu Saint-Saens ´Karneval der Tiere’, 1982 für ´Peter und der Wolf’. Später hat er Erläuterungstexte zu Opern bei Galakonzerten am Münchner Gärtnerplatz geschrieben. Das kam gut an, weil seine Texte auch sehr witzig waren und man die Opern dadurch besser verstand, denn er erklärte die Zusammenhänge leicht und humoristisch. Sein Freund, der Opernintendant Klaus Schulz, hat ihn lange überredet, bis er schließlich eine Inszenierung übernahm. Das war zunächst die Oper ´Martha’ von Flotow Ende der 1980er Jahre und dann den ´Freischütz’ von Weber, beides wurden große Erfolge.
Herr Neumann, Loriot wurde 2001 die Ehrendoktorwürde der Bergischen Universität verliehen. Sie selber haben aber auch persönliche Begegnungen mit ihm gehabt. Wie kam es dazu?
Neumann: Der Gedanke zur Ehrendoktorwürde entstand im Kontext mit meiner Forschung zu Loriot, den ich im Laufe meiner Recherche auch persönlich getroffen hatte. Beim Überlegen, welches Dissertationsthema ich wählen könnte, hatte ich meinem Doktorvater, Prof. Heinz Rölleke, vorgeschlagen, ob ich nicht etwas zur sprachlichen und literarischen Anbindung von Loriot machen könnte und befürchtete, er würde mich achtkantig rauswerfen, denn er war nicht dafür bekannt, dass er sich mit populärwissenschaftlichen Themen befasste. Aber er ließ dankenswerterweise das Thema zu. Es ging ihm dabei um Loriots sprachliche Kreativität, sein genaues Hinhören. Und so erregte meine Forschung ein bisschen Aufmerksamkeit und durch die Hilfe einer engagierten Ehrenbürgerin der Bergischen Universität, Frau Stella Baum, die Loriot persönlich kannte, habe ich Herrn von Bülow kennenlernen dürfen und konnte vor Ort bei ihm zuhause eine Woche lang recherchieren. Ich durfte in seinem Archiv arbeiten, das war wunderbar. Auch menschlich war er ein ganz besonderer Zeitgenosse. So verfestigte sich die Idee, ihm die Ehrendoktorwürde anzutragen, denn ich konnte in meiner Arbeit nachweisen, dass er tatsächlich auf literarischem und sprachlichem Gebiet nicht nur vieles gut beobachtet und meisterhaft dargestellt hat. Und das zeigt sich nicht nur in den Zeichnungen oder Sketchen auf der visuellen Ebene, sondern noch viel stärker auf der sprachlichen Ebene. Rilke wird konterkariert mit einem Blödelreim, pingelig genaue Geschäftssprache mit Anzüglichkeiten. Loriot setzt einen sehr elaborierten Code gegen das Scheitern der Sprache und das macht er großartig. Wir haben uns sehr gefreut, dass er die Ehrendoktorwürde der Bergischen Universität 2001 angenommen hat.
Dr. Stefan Neumann arbeitet in der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften der Bergischen Universität im Bereich Didaktik der deutschen Sprache und Literatur.