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Seit der Terrorattacke der Hamas gibt es auch in Deutschland einen starken Anstieg antisemitischer Vorfälle. Forderungen nach Strafrechtsverschärfungen werden laut, Antisemiten sollen abgeschoben und das Bekenntnis zu Israel Voraussetzung für die Einbürgerung werden. Inwiefern das umsetzbar ist, erläutert die Juristin und Antisemitismus-Expertin Kati Lang im Interview.
VON DONATA HASSELMANN
MEDIENDIENST Integration: Frau Lang, seit der Terrorattacke der Hamas gegen Israel gibt es in Deutschland mehr antisemitische Straftaten und Übergriffe. Jetzt werden Verschärfungen von antisemitischen Straftatbeständen wie etwa der Volksverhetzung gefordert. Ist das der richtige Weg?
Dr. Kati Lang: Nein. Es gibt bei antisemitischen Straftaten keine Strafbarkeitslücke. Gewaltaufrufe gegen Juden und Jüdinnen, die Unterstützung oder Verherrlichung der Hamas, das Verbrennen von Israelfahnen – all diese Handlungen sind bereits strafbar. Rufe nach Gesetzesverschärfungen sind Effekthascherei. Wer sich fachlich mit dem Thema beschäftigt, weiß: Es gibt vorrangig kein Gesetzes-, sondern ein Vollzugsdefizit.
Was bedeutet das?
Vollzugsdefizit heißt, dass bereits bestehende Gesetzesnormen nicht ausreichend umgesetzt werden. Wir haben zum Beispiel einen ausreichend scharfen Paragrafen zur Volksverhetzung. Aber sehr oft kommt es nicht zu einer effektiven Strafverfolgung, wenn eine Volksverhetzung begangen wurde.
Warum? Kommen Polizei oder Justiz bei der Strafverfolgung nicht hinterher?
Beides. Dass vor kurzem eine propalästinensische Demonstration in Dresden nicht, wie vielerorts, pauschal verboten wurde, halte ich für juristisch korrekt. Die Polizei in Dresden hatte aber nur einen einzigen arabisch sprechenden Dolmetscher dabei. Dieser hatte viel zu viel zu tun. Die mehrheitlich deutschsprachige Polizei vor Ort hat antisemitische Parolen, die auf der Demonstration skandiert wurden, daher überhaupt nicht verstanden, geschweige denn konnte sie sie umfassend unterbinden.
Und wo bestehen Vollzugsdefizite in der Justiz?
Vor allem darin, dass antisemitische Hetze nicht als solche erkannt wird, sondern mit Bezug auf die Meinungsfreiheit erlaubt wird. In Niedersachsen etwa befand die Staatsanwaltschaft Braunschweig es als zulässig, dass Journalisten als „Judenpack“ bezeichnet werden. In Dresden habe ich aktuell einen Fall noch aus 2022: Da haben Rechtsextremisten ein Plakat mit der Aufschrift „Ihr nennt es Befreiung. Wir nennen es Massenmord! Bombenholocaust“ durch Dresden getragen, also die Bombardierung Dresdens mit der Vernichtung der europäischen Juden gleichgesetzt. Wir haben Anzeige wegen Volksverhetzung, nämlich Holocaustverharmlosung erhoben, aber die Staatsanwaltschaft Dresden hat das Verfahren einfach eingestellt. Natürlich haben wir dagegen sofort Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft erhoben – aber bis heute hat diese darüber schlicht nicht entschieden. Sogar das Internationale Auschwitzkomittee hat sich beschwert. Das ist verheerend, man signalisiert den Tätern: Es passiert eh nichts.
Was ist mit Rufen wie „Free Palestine from the River to the sea“, auf Deutsch etwa „für ein freies Palästina vom Jordan bis zum Mittelmeer“, also über das israelische Staatsgebiet hinweg?
Auch das muss man nicht mit einer Gesetzesverschärfung regeln, sondern es geht hier um die Auslegung und Anwendung der bestehenden Strafvorschriften. Die Parole ist meiner Meinung nach widerlich und inhaltlich absolut abzulehnen. Das Strafrecht ist aber nicht dazu da, um politische Auseinandersetzungen abzuwürgen. Das Strafrecht ist im Rechtsstaat „ultima ratio“, also das äußerste Mittel. Ich sehe hier die Justiz in der Pflicht, sorgfältig zu prüfen, wann die Parole strafbar ist und wann nicht. Eine pauschale Strafbarkeit der Parole sehe ich nicht, vielmehr ist der jeweilige Einzelfall und der Kontext zu berücksichtigen: In letzter Zeit also der Zusammenhang mit dem Bejubeln des terroristischen Angriffs der Hamas oder dem Gleichsetzen von getöteten Palästinensern und Palästinenserinnen mit dem Holocaust.
Mehrere Politiker fordern: Wer Antisemit ist, solle nicht in Deutschland bleiben dürfen. Wie lässt sich das rechtlich umsetzen?
Auch das ist Effekthascherei. Das Ausweisungsrecht in Deutschland ist bereits jetzt sehr scharf: Wer antisemitische Straftaten begeht, kann ausgewiesen werden. Auch hier bestehen eher Probleme in der Praxis: Für Personen aus Gaza etwa ist eine Abschiebung faktisch gar nicht möglich, da weder die israelische noch die ägyptische Regierung bereit sind, Abschiebungen in den Gaza-Streifen zu organisieren.
Dazu kommt: Deutschland hat sich mit der Unterzeichnung zahlreicher internationaler Konventionen zum Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz und dem Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entschieden, keine Menschen in den Tod oder in ein unwürdiges Leben zu schicken. Das gilt auch für Straftäter und auch für Antisemiten. Eine Syrerin etwa kann man derzeit nicht ins Assad-Regime abschieben, selbst wenn sie antisemitische Straftaten begangen hätte. Man muss sozusagen in den sauren Apfel beißen und sich hier in Deutschland mit dem Antisemitismus der Leute auseinandersetzen und Prävention und De-Radikalisierung betreiben.
Eine weitere aktuelle Forderung ist, dass nur wer sich zum Existenzrecht Israels bekennt eingebürgert werden soll. Wie kann man das rechtlich verankern?
Man kann könnte das entweder im Staatsangehörigkeitsrecht verankern, gegebenenfalls mit einer entsprechenden Folgeregelung in Paragraf 4 des Bundesverfassungsschutzgesetz. Dort sind inhaltliche Kriterien für eine Einbürgerung festgelegt, wie etwa das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Ex-Kanzlerin Angela Merkel äußerte 2008 erstmals den Satz, das Bekenntnis zum Staat Israel sei Teil der deutschen Staatsraison. Umfasst die freiheitlich-demokratische Grundordnung dieses Bekenntnis?
Das ist eine sehr spannende Frage. Meiner Ansicht nach muss man zunächst fragen, ob die Raison eines Staates überhaupt für den Einzelnen gilt, also ob jeder Einzelne hinter dieser Raison stehen muss. Juristisch hätte ich eher Zweifel daran, dass die Gerichte eine solche gesetzliche Verankerung einer politischen Staatsraison als Pflicht für den Einzelnen aufrechterhalten würden.
Mal angenommen, das Bekenntnis zu Israel würde als Einbürgerungskriterium aufgenommen werden: Wie sähe das in der Praxis aus, wie könnte man das überprüfen?
Ich denke, in der Praxis wäre das nicht umsetzbar. Wenn die Einbürgerungsaspiranten einfach einen Zettel unterschreiben, ist das wertlos. Zudem gibt es ja bereits eine umfangreiche politische Überprüfung: Bevor Einwanderungsbehörden jemanden einbürgern, fragen sie bei Polizei und Verfassungsschutz nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die eine Abkehr von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung signalisieren. Wer antisemitisch strafffällig geworden oder in Organisationen aktiv ist, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, wird schon jetzt rausgefiltert. Eine Überprüfung darüber hinaus, konkret auf das Bekenntnis zu Israel bezogen, halte ich nicht für machbar.
Dr. Kati Lang ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkten Strafrecht und Migrationsrecht. Sie vertritt zahlreiche Betroffene von antisemitischer, rassistischer und rechtsextremer Gewalt und war unter anderem Nebenklageanwältin im Prozess gegen den Attentäter des antisemitischen Anschlags auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019. Lang hat über Vorturteilskriminalität promoviert und ist Mitherausgeberin des Buchs “Recht gegen Rechts”.
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