Auf dem Arbeitsmarkt: Migrant:innen profitieren kaum vom „Pretty Privilege“

Wie steht es um die Integration von Personen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt? 

Wissenschaftler:innen der Bergischen Universität Wuppertal haben sich dieser Frage nun im bislang noch unerforschten Kontext körperlicher Attraktivität gewidmet. In einer Studie untersuchten sie, ob sich die Höhe der sogenannten Schönheitsprämie beim Verdienst zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet. Die Analysen liefern erneut deutliche Hinweise darauf, dass als attraktiv eingeschätzte Personen ohne Migrationshintergrund mehr verdienen als ihre weniger attraktiven Kolleginnen. Bei Personen mit Migrationshintergrund ist das Bild dagegen nicht ganz so klar. Die Ergebnisse wurden nun im Journal of Economic Behavior & Organization veröffentlicht.

In vielen europäischen Ländern sind in den vergangenen Jahren die Bevölkerungsanteile mit Migrationshintergrund stark gewachsen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der Integration von Personen mit Migrationshintergrund von großer gesellschaftlicher Bedeutung. Attraktivität gilt als ein wichtiger Faktor für Lebenschancen: Von ihrer Umwelt werden attraktive Menschen im Allgemeinen vorteilhaft behandelt. Gilt dies auch für Personen mit Migrationshintergrund? 

Vorteile führen zu Ungleichheiten

Für Personen ohne Migrationshintergrund lieferte die Forschung in der Vergangenheit immer wieder Belege dafür, dass als attraktiv wahrgenommene Menschen mehr verdienen – eine unbewusste Bevorzugung in Form einer Schönheitsprämie. Erklärt wird dies damit, dass den als attraktiv wahrgenommenen Menschen auch andere positive Eigenschaften zugeschrieben werden. „Vorteile im Laufe des Lebens, wozu natürlich auch ein höherer Verdienst zählt, können sich zu erheblichen Ungleichheiten in einer Vielzahl von Bereichen summieren“, erklärt Soziologe Prof. Dr. Reinhard Schunck, der an der Bergischen Universität Wuppertal zu den Themen Migration und Familie forscht. 

Wenig bekannt dagegen ist, ob das allgemein unter dem Begriff „Pretty Privilege“ diskutierte Phänomen auf dem Arbeitsmarkt auch für Menschen mit Migrationshintergrund gilt. Schunck: „Es gibt verschiedene Überlegungen dazu. Es könnte sein, dass Attraktivität für benachteiligte Gruppen besonders wichtig ist. Andererseits könnte es auch sein, dass benachteiligte Gruppen davon nicht profitieren können.“

Die jetzt veröffentlichte Untersuchung ist Teil eines größeren Forschungsprojekts, das Prof. Schunck, gemeinsam mit Mitarbeiterin Emily Hellriegel und Kolleg:innen vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES), Dr. Johanna Gereke und Joshua Hellyer, durchführt. Das Projekt verfolgt zwei Ziele: den Zusammenhang zwischen körperlicher Attraktivität und dem Arbeitsmarkterfolg von Personen mit Migrationshintergrund zu untersuchen sowie zu verstehen, wie die Wahrnehmung körperlicher Attraktivität von Kulturunterschieden beeinflusst wird. „Was als attraktiv gilt, ist ja nicht überall gleich, das gilt es natürlich zu berücksichtigen“, so Schunck.

Keinen Zusammenhänge

In der aktuellen Untersuchung kommen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass als attraktiv eingeschätzte Personen ohne Migrationshintergrund mehr verdienen als ihre weniger attraktiv wahrgenommenen Kolleg:innen. Bei Frauen beträgt der Verdienstunterschied demnach ca. drei Prozent, bei Männern fünf Prozent. 

Für viele Gruppen von Migrantinnen lassen sich dagegen keine Zusammenhänge zwischen der Attraktivität und ihrem Arbeitseinkommen feststellen. Die Studie gibt Hinweise auf eine relativ große Schönheitsprämie bei türkischstämmigen Frauen – sie verdienen ca. elf Prozent mehr als ihre nicht als attraktiv eingeschätzten Kolleginnen ohne Migrationshintergrund – und bei männlichen Spätaussiedlern (ca. acht Prozent mehr Verdienst gegenüber den als nicht attraktiv eingeschätzten Kollegen). Die Ergebnisse bei diesen Gruppen seien allerdings mit relativ großer Unsicherheit verbunden. 

„Empirisch gesehen liefern wir den ersten Hinweis dafür, dass ethnische Zugehörigkeit möglicherweise die Auswirkung von körperlicher Attraktivität auf das Einkommen beeinflusst“, resümiert der Wuppertaler Soziologe. Anders formuliert: Die meisten als attraktiv wahrgenommene Personen mit Migrationshintergrund haben weniger wahrscheinlich Vorteile auf dem deutschen Arbeitsmarkt als attraktive einheimische Kolleg:innen. Insgesamt würden die aktuellen Ergebnisse helfen zu verstehen, wie die wahrgenommene körperliche Attraktivität mit beruflichen Karrieren sowie der Schichtzugehörigkeit und damit auch den Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe zusammenhängt.

„Schönheitsprämien werden zu Recht oft als problematisch wahrgenommen, denn in den wenigsten Fällen hängt die wahrgenommene Attraktivität mit der Produktivität zusammen. Trotzdem gibt es Schönheitsprämien, sie scheinen aber nicht für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu wirken. Im nächsten Schritt geht es darum zu verstehen, warum dies so ist“, so Schunck.

Methodisches Vorgehen

Mithilfe von Längsschnittdaten aus Deutschland, dem Beziehungs- und Familienpanel, untersuchten die Wissenschaftler:innen, ob die Verdienste je nach körperlicher Attraktivität und Migrantenstatus variieren. Bei der Befragung der Menschen aus der Zufallsstichprobe nahmen die damaligen Interviewerinnen die Bewertung der Attraktivität vor. Zudem enthält der Datensatz Informationen über das Einkommen der Personen im Laufe der Zeit sowie über den ethnischen Hintergrund.

„Unser Vorgehen liefert robuste Hinweise auf den Zusammenhang von wahrgenommener körperlicher Attraktivität und dem Einkommen“, fasst Schunck zusammen. Gemeint ist, dass die Wissenschaftler:innen verschiedene Analyseverfahren genutzt haben, um die Ergebnisse zu überprüfen: Statt wie üblich nur eine Analyse durchzuführen, haben die Wissenschaftlerinnen um Schunck eine Vielzahl verschiedener Analysen durchgeführt, um sicher zu gehen, dass es sich nicht um einen Zufallsbefund handelt. Im Kontext des Gesamtprojekts sind zudem noch weitere Experimente geplant, die ein besseres Verständnis darüber liefern sollen, wie die Wahrnehmung des Migrationshintergrundes die Attraktivitätseinschätzung beeinflusst.

Link zum Fachartikel: https://doi.org/10.1016/j.jebo.2023.09.012

Beitragsfoto (c) Colourbox

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