Eine aktuelle Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung kommt zu dem Schluss, dass Menschen in Deutschland für rechtsextreme und demokratiefeindliche Einstellungen empfänglicher geworden seien. Der Anteil der Bürger mit einer klar rechtsextremen Orientierung habe sich im Vergleich zu den Vorjahren auf etwa acht Prozent verdreifacht.
Anstiege verzeichnet die Studie auch bei der Zustimmung zu nationalchauvinistischen Einstellungen, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus sowie der Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten.
Schuster: Brauchen “Politik der Mäßigung”
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, äußerte sich besorgt. Es bleibe bei immer mehr Menschen nicht bei Protest oder von Populismus und Desinformation genährter Unzufriedenheit, sagte er dem “RedaktionsNetzwerk Deutschland”. Vielmehr seien radikale völkische und rechtsextreme Positionen auf dem Vormarsch. “Wie zu erwarten war, betrifft das auch antisemitische Einstellungen”, sagte Schuster. Das gesamte Spektrum der politischen Mitte brauche ein Umdenken “weg von der Orientierung an den extremistischen Rändern”. Nötig sei eine “Politik der Mäßigung”, sagte Schuster.
Hier einige wenige Ergebnisse der Studie: Tatsächlich unterscheiden sich in der aktuellen Studie die rechtsextremen Einstellungen von Befragten, die überwiegend in Ost- oder Westdeutschland aufgewachsen sind: Unter jenen, die in Ostdeutschland sozialisiert wurden, ist der Anteil der Zustimmung bei allen Subdimensionen des Rechtsextremismus höher. Mehr als ein Viertel der ostdeutschen Befragten stimmt dem Nationalchauvinismus zu und mehr als ein Fünftel der Fremdenfeindlichkeit. Insgesamt vertreten 16% aus Ostdeutschland ein rechtsextremes Weltbild gegenüber 6% aus Westdeutschland.
Die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen steigt in der Mitte der Gesellschaft. Ebenso steigt der Anteil an Antworten im Graubereich zu der völkisch-nationalistischen Ideologie. Zugleich sinkt der Anteil an Menschen in der Mitte, die rechtsextreme Einstellungen klar und deutlich ablehnen, auch wenn die Mehrheit der Befragten den Rechtsextremismus ablehnt.
Die Demokratie steht mit Blick auf den Rechtsextremismus der Mitte größeren Herausforderungen gegenüber als vor zwei Jahren. Deutschland ist mit mehr Rechtsextremismus aus der Coronakrise gekommen – und damit in die nächsten Krisen hineingegangen. Das Land kann zwar auf eine absolute Mehrheit einer nicht rechtsextremen Mitte bauen, aber diese Mitte schrumpft. Menschen der Mitte scheinen deutlicher von der Demokratie abzurücken, vermutlich um von der Dominanz und Höherwertigkeit des Nationalen, die der Rechtsextremismus verspricht, zu profitieren.
Der Nationalchauvinismus wird von jeder sechsten Person befürwortet und hängt von der Zurückweisung derer ab, die als »national fremd« markiert werden. Der Wert der eigenen nationalen Bezugsgruppe bemisst sich an der Abwertung »der Anderen«. Es verwundert daher nicht, dass vor allem die sozial-völkischen Dimensionen des Rechtsextremismus – die Fremdenfeindlichkeit, der Antisemitismus und der Sozialdarwinismus – mehr Zuspruch finden als in den Vorjahren. Dass es sich dabei um einen Rechtsextremismus handelt, der in der Mitte verankert ist, zeigen die Verteilungen in den Bevölkerungsgruppen. Zusammenfassend zeigt sich: Rechtsextreme Einstellungen sind politisch mit eher rechtskonservativen Positionen verbunden und besonders stark unter AfD-Wähler:in- nen vertreten. Jüngere Personen zwischen 18 und 34 Jahren zeigen ebenfalls eine auffällige Verbreitung rechtsextremer Einstellungen, obgleich sie doch Zielgruppe zahlreicher Programme politischer Bildung sind. Aber auch ein klassischer Bildungs- oder Schichtungseffekt ist nicht zu finden. Höhere Schulbildung und ökonomische Absicherung schützen nicht unmittelbar vor der Anfälligkeit für den Rechtsextremismus. So wird beispielsweise der Verharmlosung des Nationalsozialismus oder auch der sozialdarwinistischen Vorstellung einer Höher- beziehungsweise Minderwertigkeit von »Leben und Völkern« in unterschiedlichen Bildungs- und Schichtgruppen auf einem ähnlichen Niveau zugestimmt. Zwar sind Personen in Arbeiter:innenberufen sowie Gewerkschaftsangehörige deutlich eher rechtsextrem eingestellt, aber auch dies sind Zustimmungen, die aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Geschlechterunterschiede spielen bis auf einen stärkeren Antisemitismus unter Männern hingegen keine Rolle.
Die rechtsextremen Einstellungen stehen in engem Zusammenhang zur Billigung und Legitimation von politischer Gewalt. Grundsätzlich würden 17% der Befragten die Anwendung von Gewalt billigen, »wenn sich andere bei uns breitmachen«; weitere 19% meinen, das wäre »teils/teils« richtig. Zudem hält fast jede zehnte Person Gewalt zur Erreichung politischer Ziele für moralisch gerechtfertigt und 13% hätten auch nichts dagegen, wenn Gewalt gezielt Politiker:innen trifft. Unter Befragten mit einem manifest rechtsextremen Weltbild wird Gewalt noch stärker gebilligt: Zum Beispiel meinen 44,5% von ihnen: »Gewalt ist zur Erreichung politischer Ziele moralisch gerechtfertigt« und 61% finden, Politiker:innen hätten es verdient, »wenn die Wut gegen sie auch schon Mal in Gewalt umschlägt«.